Heiligtum in Fatima, Predigt von Benedikt XVI. *UPDATE
Apostolische Reise nach Portugal anlässlich des 10. Jahrestages der Seligsprechung der Hirtenkinder von Fatima, Jacinta und Francisco (11.-14. Mai 2010)
Quelle
Die Bedeutung Fatimas für unsere Zeit
‘Die prophetische Mission Fatimas ist nicht beendet’
Heilige Messe Predigt von Benedikt XVI., Heiligtum in Fatima, Donnerstag, 13. Mai 2010
Liebe Pilger!
„Ihre Nachkommen werden bei allen Nationen bekannt sein […] Das sind die Nachkommen, die der Herr gesegnet hat“ (Jes 61,9). Diese Worte, mit denen die erste Lesung dieser Eucharistiefeier begonnen hat, finden ihre wunderbare Erfüllung in dieser gottesdienstlichen Gemeinschaft, die sich so andächtig zu Füssen der Gottesmutter versammelt hat.
Liebe Schwestern und Brüder,
auch ich bin als Pilger nach Fatima gekommen, zu diesem „Haus“, das Maria erwählt hat, um in unserem modernen Zeitalter zu uns zu sprechen. Ich bin nach Fatima gekommen, um mich an der Gegenwart Marias und ihrem mütterlichen Schutz zu erfreuen. Ich bin nach Fatima gekommen, weil die pilgernde Kirche, die ihr Sohn als Werkzeug der Evangelisierung und Sakrament des Heils stiften wollte, am heutigen Tag an diesem Ort zusammenströmt. Ich bin nach Fatima gekommen, um mit Maria und so vielen Pilgern für unsere Menschheit zu beten, die von Leid und Not geplagt wird. Und schliesslich bin ich mit den gleichen Gefühlen nach Fatima gekommen, von denen auch die seligen Francisco, Jacinta und die Dienerin Gottes Lucia erfüllt waren, um der Gottesmutter vertrauensvoll zu bekennen, dass ich Jesus „liebe“, dass die Kirche und die Priester Jesus „lieben“ und ihren Blick fest auf ihn richten wollen. Zudem möchte ich zum Abschluss des Priesterjahres die Priester, die Männer und Frauen des geweihten Lebens, die Missionare und alle Menschen, die Gutes tun und so das Haus Gottes zu einem gastfreundlichen und angenehmen Ort werden lassen, dem mütterlichen Schutz Marias anempfehlen.
„Das sind die Nachkommen, die der Herr gesegnet hat…“ Eine vom Herrn gesegnete Nachkommenschaft bist du, geliebte Diözese Leira-Fatima, mit deinem Hirten Bischof Antonio Marto, dem ich für das Wort des Grusses danke, das er zu Beginn dieses Gottesdienstes an mich gerichtet hat, und für die Fürsorge, die er mir in diesem Heiligtum auch durch seine Mitarbeiter entgegenbringt. Ich grüsse den Herrn Staatspräsidenten und alle weiteren Vertreter des öffentlichen Lebens, die im Dienst dieser ruhmreichen Nation stehen. Im Geiste schliesse ich alle Diözesen Portugals, die hier durch ihre Bischöfe vertreten sind, in die Arme und vertraue alle Völker und Nationen der Erde dem Schutz des Himmels an. In Gott trage ich alle ihre Söhne und Töchter in meinem Herzen, vor allem jene, die Situationen der Not und Verlassenheit durchleben, und möchte ihnen jene grosse Hoffnung vermitteln, von der mein Herz erfüllt ist und die hier an diesem Ort gleichsam greifbar zu spüren ist. Diese unsere grosse Hoffnung möge Wurzeln fassen im Leben eines jeden von euch, liebe hier versammelte Pilger, sowie all jener, die durch die sozialen Kommunikationsmittel mit uns verbunden sind.
Ja, der Herr ist unsere grosse Hoffnung, er ist bei uns. In seiner barmherzigen Liebe gibt er seinem Volk eine Zukunft: eine Zukunft in Gemeinschaft mit ihm. Das Volk Gottes, das die Erfahrung der Barmherzigkeit und des Trostes Gottes gemacht hat, der es bei seiner beschwerlichen Rückkehr aus der babylonischen Gefangenschaft nicht alleingelassen hat, ruft aus: „Von Herzen will ich mich freuen über den Herrn. Meine Seele soll jubeln über meinen Gott“ (Jes 61,10). Die erhabenste Tochter dieses Volkes ist die Jungfrau und Gottesmutter von Nazaret, die Begnadete, die über das Wirken Gottes in ihrem jungfräulichen Schoss erstaunt war. Und auch sie bringt eben diese Freude und Hoffnung im Gesang des Magnifikat zum Ausdruck: „Mein Geist jubelt über Gott meinen Retter“. Dabei sieht sie sich aber nicht als Privilegierte inmitten eines unfruchtbaren Volkes, sondern sie sagt ihnen vielmehr die süssen Freuden einer wunderbaren Gottesmutterschaft voraus, denn „er erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht über alle, die ihn fürchten“ (Lk 1,47.50).
Beredtes Zeichen hierfür ist dieser heilige Ort. In sieben Jahren werdet ihr euch erneut hier einfinden zur Feier des hundertsten Jahrestages der ersten Erscheinung jener Frau, die „vom Himmel gekommen ist“ und als Lehrerin die Seherkinder in die innerste Erkenntnis der dreifaltigen Liebe einführt und sie dazu anleitet, sich an Gott als dem schönsten Gut ihres Lebens zu erfreuen. Durch diese gnadenvolle Erfahrung haben sie zur Liebe Gottes in Jesus gefunden, so dass Jacinta ausrufen konnte: „Es bereitet mir so grosse Freude, Jesus zu sagen, dass ich ihn liebe! Wenn ich es ihm mehrmals sage, dann habe ich den Eindruck, ich hätte ein Feuer in der Brust, das mich aber nicht verbrennt“. Und Francisco sagte: „Am meisten hat es mir gefallen, unseren Herrn in jenem Licht zu sehen, das unsere Mutter uns ins Herz gelegt hat. Ich habe Gott so lieb! (Memorias da Irmã Lúcia [Erinnerungen von Schwester Lucia], I, 40 und 127).
Brüder und Schwestern, wenn wir diese unschuldigen und tiefsinnigen mystischen Bekenntnisse der Hirtenkinder hören, könnte manch einer angesichts dessen, was sie gesehen haben, mit ein wenig Neid auf sie blicken oder mit der enttäuschten Resignation jener, denen dieses Glück nicht zuteil geworden ist, die aber trotzdem gerne sehen würden. Jenen Menschen sagt der Papst mit den Worten Jesu: „Ihr irrt euch, denn ihr kennt weder die Schrift noch die Macht Gottes“ (Mk 12,24). Die Heilige Schrift lädt uns zum Glauben ein: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“ (Joh 20,29), doch Gott – der tiefer ist als unser eigenes Innerstes (vgl. hl. Augustinus, Bekenntnisse, III, 6,11) – hat die Macht, – vor allem durch die inneren Sinne – zu uns vorzudringen, so dass die Seele sanft berührt wird von einer Realität, die über das sinnlich Wahrnehmbare hinausgeht und sie befähigt, zum Nichtsinnlichen zu gelangen, zu dem, was den menschlichen Sinnen nicht zugänglich ist. Hierzu bedarf es einer inneren Wachheit des Herzens, die unter dem Druck der gewaltigen äußeren Wirklichkeiten und der die Seele erfüllenden Bilder und Gedanken meistens nicht gegeben ist (Theologischer Kommentar zur Botschaft von Fatima, 2000). Ja, Gott kann uns erreichen, indem er sich unserer inneren Schau darbietet.
Zudem ist jenes aus der Zukunft Gottes kommende Licht, von dem die Hirtenkinder erfüllt waren, dasselbe Licht, das sich gezeigt hat, als die Zeit erfüllt war, und das für alle gekommen ist: der menschgewordene Sohn Gottes. Dass er die Macht hat, auch die kältesten und traurigsten Herzen zu entflammen, sehen wir an den Emmausjüngern (vgl. Lk 24,32). Unsere Hoffnung hat daher eine reale Grundlage, denn sie beruht auf einem Ereignis, das in der Geschichte geschehen ist und sie zugleich übersteigt, nämlich Jesus von Nazaret. Die Begeisterung, die seine Weisheit und sein Heilswirken bei den Menschen seiner Zeit hervorrief, war so gross, dass – wie wir im Evangelium gehört haben – eine Frau aus der Menge rief: „Selig die Frau, deren Leib dich getragen und deren Brust dich genährt hat.“ Jesus aber erwiderte: „Selig sind vielmehr die, die das Wort Gottes hören und es befolgen“ (Lk 11,27.28). Doch wer nimmt sich die Zeit, sein Wort zu hören und sich von seiner Liebe ergreifen zu lassen? Wer wacht mit betendem Herzen in der Nacht des Zweifels und der Ungewissheit? Wer erwartet das Morgengrauen des neuen Tages, ohne dabei die Flamme des Glaubens verlöschen zu lassen? Der Glaube an Gott lässt den Menschen offen werden für eine sichere Hoffnung, die nicht enttäuscht; er gibt ihm ein festes Fundament, auf dem er sein Leben furchtlos aufbauen kann; er verlangt von ihm, dass er sich vertrauensvoll der göttlichen Liebe überantwortet, von der die Welt getragen wird.
„Ihre Nachkommen werden bei allen Nationen bekannt sein […] Das sind die Nachkommen, die der Herr gesegnet hat“ (Jes 61,9): Er hat sie gesegnet mit einer unerschütterlichen Hoffnung, aus der die Frucht einer Liebe hervorgeht, die sich für die anderen aufopfert, statt sie zu opfern; vielmehr gilt, was wir in der zweiten Lesung gehört haben: „Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand (1 Kor 13,7). Ein anspornendes Beispiel hierfür sind die Hirtenkinder, die ihr Leben für Gott hingegeben und es aus Liebe zu Gott mit ihren Nächsten geteilt haben. Die Gottesmutter hat ihnen geholfen, ihre Herzen der Universalität der Liebe zu öffnen. Vor allem die selige Jacinta war unermüdlich in ihrer Sorge um die Armen und in ihrem aufopferungsvollen Wirken für die Bekehrung der Sünder. Nur mit dieser von Brüderlichkeit und Anteilnahme beseelten Liebe wird es uns gelingen, die Zivilisation der Liebe und des Friedens aufzubauen.
Wer glaubt, dass die prophetische Mission Fatimas beendet sei, der irrt sich. Hier an diesem Ort wird jener Plan Gottes wieder lebendig, der die Menschheit seit frühesten Zeiten mit der Frage konfrontiert: „Wo ist dein Bruder Abel? […] Das Blut deines Bruders schreit zu mir vom Ackerboden“ (Gen 4,9). Dem Menschen ist es gelungen, einen Kreislauf des Todes und des Schreckens zu entfesseln, den er nicht mehr zu durchbrechen vermag… In der Heiligen Schrift ist häufig davon die Rede, dass Gott nach Gerechten sucht, um die Stadt der Menschen zu retten, und ebendies tut er hier, in Fatima, wenn die Muttergottes die Frage stellt: „Wollt ihr euch Gott hingeben, um alle Leiden ertragen zu können, die er euch aufzubürden gedenkt, als Sühne für die Sünden, durch die er geschmäht wird, und als flehentliche Bitte um die Bekehrung der Sünder?“ (Memorias da Irmã Lúcia [Erinnerungen von Schwester Lucia], I, 162).
In Anbetracht einer Menschheitsfamilie, die bereit ist, ihre heiligsten Pflichten auf dem Altar kleinlicher Egoismen im Namen der Nation, Rasse, Ideologie, Gruppe oder des Individuums zu opfern, ist unsere gebenedeite Mutter vom Himmel herabgekommen, um all jenen, die sich ihr anvertrauen, voller Hingabe die göttliche Liebe ins Herz zu legen, die auch in ihrem Herzen brennt. Zu jener Zeit waren es nur drei Personen, deren Lebensbeispiel sich – insbesondere durch die Weitergabe der Wandermuttergottes – in zahllosen Gruppen auf der ganzen Erde verbreitet und vermehrt hat, die sich dem Anliegen brüderlicher Solidarität widmen. Möge in den sieben Jahren, die uns noch vom hundertsten Jahrestag der Erscheinungen trennen, der angekündigte Triumph des Unbefleckten Herzens Mariens zu Ehren der Allerheiligsten Dreifaltigkeit näherkommen.
Grusswort an die Kranken (am Ende der Eucharistiefeier)
Liebe kranke Brüder und Schwestern!
Bevor ich nun zu euch, die ihr hier versammelt seid, die Monstranz mit dem eucharistischen Jesus trage, möchte ich ein Wort der Ermutigung und Hoffnung an euch richten, in das ich alle Kranken einbeziehe, die sich uns über Radio und Fernsehen angeschlossen haben. Mein Gruss geht auch an all jene, die nicht über diese Möglichkeit verfügen, jedoch im Glauben und im Gebet auf tiefe geistige Weise mit uns verbunden sind:
Lieber Bruder, liebe Schwester, in den Augen Gottes bist du „so viel wert, dass er selbst Mensch wurde, um mit dem Menschen mit-leiden zu können, ganz real in Fleisch und Blut, wie es uns in der Passionsgeschichte Jesu gezeigt wird. Von da aus ist in alles menschliche Leiden ein Mitleidender, Mittragender hineingetreten; in jedem Leiden ist von da aus die con-solatio, der Trost der mitleidenden Liebe Gottes anwesend und damit der Stern der Hoffnung aufgegangen“ (Benedikt XVI., Enzyklika Spe salvi, 39). Mit dieser Hoffnung im Herzen kannst du aus dem Treibsand der Krankheit und des Todes herausfinden und auf dem festen Felsen der göttlichen Liebe stehen. Mit anderen Worten: Du kannst das Gefühl der Nutzlosigkeit des Leidens überwinden, das den Menschen in seinem Innersten verzehrt und aufgrund dessen er sich als Last für die anderen vorkommt. In Wirklichkeit dient das gemeinsam mit Jesus gelebte Leid jedoch dem Heil unserer Brüder und Schwestern.
Wie ist dies möglich? Die Quellen der göttlichen Macht entspringen eben gerade mitten unter unseren menschlichen Schwächen. Darin besteht das Paradoxon des Evangeliums. Daher hat es der göttliche Meister vorgezogen, anstatt die Gründe des Leidens eingehend zu erklären, einen jeden in seine Nachfolge zu rufen, indem er sagt: „Nimm dein Kreuz auf dich und folge mir nach!“ (vgl. Mk 8,34). Komm mit mir! Nimm durch dein Leiden an diesem Heilswerk in der Welt teil, das sich durch mein Leiden und durch mein Kreuz vollzieht. Wenn du dein Kreuz annimmst und dich im Geiste mit meinem Kreuz vereinst, wird sich vor deinen Augen nach und nach der heilbringende Sinn des Leidens enthüllen. Du wirst im Leiden inneren Frieden und sogar geistliche Freude finden.
Liebe kranke Menschen, nehmt diesen Ruf Jesu an, der im Allerheiligsten Sakrament an euch vorüberzieht. Vertraut ihm alle Widrigkeiten und Leiden, mit denen ihr konfrontiert seid, an, damit sie – gemäss seinem Heilsplan – zum Werkzeug der Erlösung für die ganze Welt werden. So werdet ihr zu Erlösern im Erlöser, wie ihr Söhne im Sohn seid. Unter dem Kreuz … steht die Mutter Jesu, unsere Mutter.
© Copyright 2010 – Libreria Editrice Vaticana
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