Was den Sonntag zum Sonntag macht
Christian Schaller, stellvertretender Direktor des Instituts Papst Benedikt XVI. in Regensburg, stellt in den Gesammelten Werken die Predigten von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. vor
Quelle
Seit wann gibt es den Zölibat
Regina Einig, 05. Dezember 2019
Christian Schaller, stellvertretender Direktor des Instituts Papst Benedikt XVI. in Regensburg, stellt in den Gesammelten Werken die Predigten von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. vor – Wir dokumentieren hier vier Auszüge von bisher unveröffentlichten Ansprachen.
Die Tagespost dokumentiert vier Auszüge von bisher unveröffentlichten Ansprachen von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI.
Was den Sonntag zum Sonntag macht – München, 29. November 1980
Lesejahr A; Jesaja 2,1-5
Wir alle werden uns das wieder bewusst machen müssen, dass der Sonntag nur dann und nur so lang Tag der Menschen bleibt, als er Tag des Herrn ist. Weil Gott Zeit für uns hat, bekommen wir Zeit füreinander. Und nur wenn wir Zeit für Gott als etwas Wichtiges ansehen, entsteht auch Zeit für den Menschen. Der Tag Gottes, und nur der, ist so recht auch der Tag des Menschen. (…) Die Liturgie des heutigen Tages führt uns auf einen Gipfel, der Jesaja heisst. In seiner Lesung, gleichsam in der Höhenluft dieses Berges, können wir etwas von dem Atem, von der Hoffnung Israels verspüren, aus dem der Advent der Kirche gewachsen ist. Aber wir können auch verspüren, was die Liturgie, was der festliche Gottesdienst für Israel bedeutet hat. Wir können sehen, dass Glaube immer Hoffnung ist, und dass Glaube und Hoffnung immer mit Liturgie und Gottesdienst zusammengehören.
Freilich, wenn man den Text zunächst anschaut, sieht er eher märchenhaft aus. Es wird eine Welt des Friedens vorausgesagt, eine einige Welt, in der alle Völker nur ein Heiligtum, dasjenige Israels, haben und dorthin pilgern. Zu den Zeiten, als Jesaja das schrieb, als Israel ein winziger, verlorener Staat am Ende der Welt war und die Welt noch weit und unerforscht, durch Ozeane und strassenlose Wüsten voneinander getrennt, musste es noch märchenhafter erscheinen als heute. Wie sollte je dieses armselige Volk die Mitte der Welt sein, sein Gott der Gott aller Völker werden? Und tatsächlich hat Jesaja Märchenelemente als Bilder in sein prophetisches Wort aufgenommen, oder sagen wir lieber, er hat Urvorstellung, Ursehnsüchte aus der Tradition der Völker, die durch alle Erdteile hindurchgehen, hier hereinverwoben.
Da ist das Bild von dem Gottesberg, von dem Berg, der so hoch ist, dass er bis in den Himmel hineinragt, dass man da zu den Göttern hinaufsteigen und selber in den Himmel hineinrühren kann. Das Bild von dem Paradies, das irgendwo auf einem Berg geheimnisvoll verwahrt ist, die Sehnsucht aller Völker, ihr Berg möchte der höchste der Welt sein und ihr Land die Mitte der Welt werden, vor der sich alle beugen; die Sehnsucht der Völker, von ihnen möge die Weltherrschaft ausgehen.
Den Mut der Wahrheit lernen – Palmsonntag, Paris, 8. April 2001
Lesejahr C; Jesaja 50,4-7; Philipper 2,6-11; Lukas 22,14-23,56
So spüren wir schon, dass das Hörenlernen auf Gott und erst recht das Zeugnisgeben für ihn keine bloss intellektuelle Angelegenheit ist. Beim Propheten geht das Erzählen von der Öffnung der Ohren ganz unvermittelt in eine Leidensgeschichte über: „Ich hielt meinen Rücken denen hin, die mich schlugen und denen, die mir den Bart ausrissen, meine Wangen. Mein Gesicht verbarg ich nicht vor Schmähungen und Speichel“: Der Prophet stellt das Bild des leidenden Christus vor uns hin. In einer Welt, in der die Lüge Macht hat, in der Heuchelei und Mitläufertum wie normal erscheinen, wird die Wahrheit zur Passion. Die Wahrheit braucht das Leiden, einen anderen Weg hat sie in dieser Welt nicht.
“Die Zeugen der Wahrheit und der Liebe, die Zeugen Gottes, die den Tyrannen widerstanden, waren zugleich die grossen Leidenden des Jahrhunderts”
Schauen wir auf das vergangene Jahrhundert zurück, das ein Jahrhundert der Martyrer war wie keines zuvor: Die Zeugen der Wahrheit und der Liebe, die Zeugen Gottes, die den Tyrannen widerstanden, waren zugleich die grossen Leidenden des Jahrhunderts. Die um der Wahrheit willen Leidenden sind die Lichter der Geschichte, die dem Sieg der Finsternis entgegenstehen; sie sind zugleich die Apologie Gottes und des Menschen. Ihretwegen brauchen wir nicht am Menschen zu verzweifeln, als ob er ein missglücktes Geschöpf wäre. Von ihnen her können wir an den Schöpfer glauben – an den Gott, der sich aus der Geschichte nicht zurückgezogen hat.
Mit diesen Gedanken kommen wir zum Kern des Prophetentextes, der in der Entwicklung des Alten Testaments eine neue Stufe bedeutet. Immer schon waren die Propheten um ihres Auftrags willen Leidende geworden; am dramatischsten ist es sichtbar bei Elija und bei Jeremia, dessen Passionsgeschichte in vielem die Passion Jesu vorausnimmt. Aber Jeremia lehnt sich noch auf gegen das Leiden, er wehrt sich gegen die Zerstörung, die ihm um Gottes willen widerfährt. Der Prophet, der hier spricht, gibt Neues zu erkennen: Er weiss, dass Gott von ihm das Ja zum Leiden erwartet und dass gerade sein Leiden ein Dienst ist, durch den er Gott näher wird, durch den Gott zu den Menschen spricht.
„Siehe ich bin die Magd des Herrn“ – München, 25. März 1995
Hebräer 10,4_10; Lukas 1,26-38
„Siehe, ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe, was du gesagt hast.“ In diesen Worten liegt ein grosses Geheimnis. Gott macht sich abhängig vom Ja Marias, vom Ja seines Geschöpfs. Der heilige Augustinus hat diesbezüglich gesagt: „Der dich ohne dich geschaffen hat, wollte dich nicht erlösen ohne dich.“ (Vgl. AUGUSTINUS, Serm 169, 11 (PL 38, 923)].
Gott hat uns geschaffen und dem Menschen die Freiheit gegeben. Und jetzt respektiert er sie und erwartet die freie Antwort seines Geschöpfs, er gibt sich in die Hände seines Geschöpfs. Gott schafft sein Reich in der Welt nicht mit einer Verfügung seiner Macht; sein Reich kann nur aus der Freiheit, aus der Liebe seines Geschöpfs entstehen, weil das Reich Gottes auf der Freiheit, auf der Liebe gegründet ist.
“Das Dogma von der Erbsündenfreiheit hat eben den Sinn zu zeigen, dass […] Maria
schon von Anfang an […] von der Liebe Gottes umfangen und erfüllt war”
Der heilige Bernhard von Clairvaux hat in seinen Predigten mit extremer, aber wahrer Dramatik das Ereignis dieses Moments ausgelegt: Er zeigt, wie Gott und die ganze Welt auf die Antwort dieser Frau warten, von der das Schicksal der Menschheit abhängt. Gott wartet. Es ist der heilige Bernhard, der so zu Maria spricht und sagt: „Du, schweigsame Frau, sei nicht schweigsam in diesem Moment! Sprich, antworte! Du, kluge Jungfrau, in diesem Moment warte nicht, sondern beeile dich! Wir brauchen dein Ja!“ (Vgl. Bernhard von Clairvaux, In Laud virg; ed. Winkler 4, 112)
Natürlich müssen wir, um diese Realität der Abhängigkeit vom menschlichen Geschöpf, die Gott eingeht, nicht falsch zu verstehen, bedenken, dass die Gnade diesem Ja vorausgeht. Das Dogma von der Erbsündenfreiheit hat eben den Sinn zu zeigen, dass es nicht die Autonomie eines Menschen ist, der sich in sich selbst verschliesst, der der Welt die Erlösung bringt, sondern dass Maria schon von Anfang an, noch bevor sie geschaffen wurde, von der Liebe Gottes umfangen und erfüllt war; dieses Ja ist ein Geschehen, das eine Frucht der Gnade ist, die vorausgeht; der Gnade, die die Freiheit nicht zerstört, sondern sie stärkt.
„Mehre uns den Glauben“ – Manchester, Rom 13. November 1995
Lukas 17,1-10
Die Grundvoraussetzung des priesterlichen Dienstes – und in noch höherem Maße gilt das für den bischöflichen Dienst – lautet, dass der Priester als ein Zeuge der Auferstehung Jesu handelt, und die wesentliche Begründung dieses Zeugnis-Gebens ist eine innere Gemeinschaft mit Jesus, ein „Mit-Ihm-Sein“, mit ihm in Liebe verbunden sein. Ohne dieses innerliche „Sein mit“ Christus, dieses innere Leben von „Gleichzeitigkeit“ mit ihm, wird aus dem Priester nur ein Diener der Kirche, und dann ist er nicht länger ein Zeuge.
Dieses „Sein mit dem Herrn“ erfordert eine bestimmte Innerlichkeit, bewirkt aber auch eine Teilhabe an der Dynamik von Sendung, insofern der Herr in seinem ganzen Sein der Eine ist, der gesandt ist; er ist der, der vom Himmel herabgekommen ist, um unter den Menschen, Männern und Frauen, zu leben. Er, der sein Sein vom Vater hat, ist der, in dem der Vater seine grenzenlose Liebe für seine Geschöpfe kundtut. Das Tun des Priesters ist strukturiert durch diese Einbezogenheit in die Dynamik der Sendung Jesu Christi, und das bedeutet, dass er sein „Sein mit“ Christus an andere weitergibt.
“Unsere Priesterweihe […] ist nicht bloss eine private Erfahrung, sondern vielmehr ein sakramentales Ereignis, das die Kirche einschliesst”
Wir erkennen dann, dass die grundlegende Identität des Priesters gefunden wird im Verlieren seiner selbst in das Geheimnis Jesu Christi hinein, sodass er sagen kann: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir“ (Gal 2, 20). So, dass es nicht länger ich bin, der lehrt, sondern dass Jesus Christus durch mich lehrt.
Und das stellt uns vor eine wesentliche Wahrheit unseres Dienstes, der Bedeutung eines Dienstes, der in völliger Übereinstimmung mit der Kirche ausgeübt wird. Denn unsere Priesterweihe, in der wir mit Jesus Christus gleich gestaltet wurden, um auf die bestmögliche Weise Zeugnis abzulegen für ihn, dass wir in ihm dem Vater das eucharistische Opfer darbringen, ist nicht bloss eine private Erfahrung, sondern es ist vielmehr ein sakramentales Ereignis, das die Kirche einschliesst. Dass wir durch das Sakrament der Weihe zu seinen Dienern, seinen Zeugen gemacht werden, geschieht in der Kirche und aufgrund ihres Rufs, und deshalb kann unser Dienst nur in vollkommener Treue zur Kirche weiterhin ihn ausstrahlen und nicht zum Stolperstein für die werden, die sein Antlitz suchen. Die Vollendung des eigenen Ego bewirkt nicht die Heiligkeit, die nötig ist, um andere zu Christus zu führen, sondern es bedarf der Reinigung des Selbst durch die Aufnahme in die allumfassende Liebe Christi, den wir in seiner Kirche und durch sie gefunden haben.
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