Radio-Akademie: 100 Jahre Johannes Paul II. (3)
Neu-Evangelisierung. Vor allem dieses Wort hat sich Johannes Paul auf seine Fahnen geschrieben *UPDATE
Quelle
Neue Radio-Akademie: 100 Jahre Johannes Paul II. (1)
Radio-Akademie: 100 Jahre Johannes Paul II. (2)
„Er war immer sehr menschlich“: Erinnerungen an Johannes Paul II.
Teil 3
*Radio-Akademie: 100 Jahre Johannes Paul II. (4)
Neu-Evangelisierung. Vor allem dieses Wort hat sich Johannes Paul auf seine Fahnen geschrieben. „Eine Neuevangelisierung tut not, vor allem in den Ländern mit einer langen, christlich geprägten Tradition und Kultur.“ Das zielt vor allem auf Europa – das westliche.
Stefan von Kempis – Vatikanstadt
„Man stellt hier vielerorts eine tiefe und zum Teil wachsende Entfremdung zwischen der christlichen Botschaft und dem allgemeinen Bewusstsein der Menschen fest.“ Diese Ausdünnung des Christlichen auf dem alten Kontinent bereitet dem Europäer auf dem Papststuhl Sorgen.
„Die sittlichen Verhaltensweisen sind nicht mehr bestimmt von den Massstäben des Evangeliums; die Teilnahme am gottesdienstlichen und Sakramenten Leben der Kirche nimmt ab; es gibt einen Mangel an geistlichen Berufen; in vielen Familien wird christliches Glaubensgut nicht mehr an die kommende Generation weitergegeben.“ Da bräuchte es einen „Fanfarenstoss der Neuevangelisierung“, findet Johannes Paul.
25 Mal um die Erde
Wie er sich das vorstellt, zeigt er vor allem mit seinen 104 Auslandsreisen, die ihn in fast 130 Länder führen. Vor allem nach Polen; danach folgen in der Statistik Frankreich, die USA, Mexiko, Spanien, Brasilien. Nur in wenigen Weltgegenden ist der „Eilige Vater“ nicht willkommen: China zum Beispiel, oder Vietnam. Russland und Serbien. Irak und Iran. Saudi-Arabien.
Von der reinen Kilometerzahl her umrundet er 25 Mal die Erde, besucht drei Fünftel aller bestehenden Staaten. Bringt die grössten Menschenansammlungen in der bisherigen Geschichte zusammen. Manchmal wird es auf solchen Papstreisen gefährlich: Im sandinistischen Nicaragua wird der Papst während seiner Predigt niedergebrüllt…. In Chile geht der Diktator Pinochet 1987 während der Papstmesse gegen Demonstranten vor; das Tränengas wabert bis zum Altar. Denkwürdige Momente, die sich einprägen, gibt es viele.
Auf Sizilien eine Wutrede gegen die Mafia
… Das ist Agrigent, Sizilien, also gar nicht weit weg von Rom. Mai 1993. Messe im Tal der Tempel. Als schon alles vorbei ist und der Diakon „Gehet hin in Frieden“ gesungen hat, greift der Gast aus Rom nochmal zum Mikro. „Ich wünsche euch, wie der Diakon gesagt hat, dass ihr in Frieden hingeht – dass ihr Frieden in eurem Land findet! … Eintracht ohne Tote, ohne Ermordete, ohne Angst, ohne Drohungen, ohne Opfer! Eintracht! … Und die, diesen Frieden stören, die so viele Opfer auf dem Gewissen haben, müssen verstehen, dass es nicht erlaubt ist, Unschuldige zu töten! Gott hat einmal gesagt: Du sollst nicht töten! Kein Mensch, keine Gruppe, keine Mafia kann dieses heiligste Recht Gottes ändern oder mit Füssen treten! … Im Namen Christi sage ich den Verantwortlichen: Bekehrt euch! Eines Tages wird das Gericht Gottes kommen!“
Die Wutrede des Papstes rührt an die omertà, das Gesetz des Schweigens, an das sich die Kirche bisher der Mafia gegenüber weitgehend gehalten hat. Wenige Monate später geht – eine Antwort auf die Papstworte – in einer römischen Kirche eine Mafia-Bombe hoch.
Seine Lieblingsnonne aus Kalkutta
… Das ist im Februar ’86. Besuch in Kalkutta, Indien, bei Mutter Teresa. Zusammen mit der Gründerin der „Missionarinnen der Nächstenliebe“ geht Johannes Paul durch die Reihen der Kranken und Sterbenden. Er ist sichtlich bewegt. Am Tag darauf wird er bei einer Messe in Kalkutta sagen: „Das messianische Programm Jesu von Nazareth, das Programm des Evangeliums, hat in unserer Zeit hier in Indien, hier in Kalkutta, einen Ausdruck gefunden, der besonders eindringlich ist. Die ganze Welt schaut auf dieses Zeugnis. Dieses Zeugnis rührt an das Gewissen der Welt.“ 2003 kann Johannes Paul Mutter Teresa, seine Lieblingsnonne, auf dem Petersplatz in Rom seligsprechen.
Wie Paulus auf dem Areopag
… Das ist im Mai 2001: Erster Besuch eines Papstes in Griechenland. Vor der berühmten Kulisse der Akropolis veröffentlicht Johannes Paul zusammen mit dem orthodoxen Erzbischof von Athen eine Erklärung über die christlichen Wurzeln Europas.
„Am Giebel des Tempels von Delphi sind die Worte »Erkenne dich selbst« eingemeisselt; ich appelliere deshalb an Europa, sich mit immer grösserer Tiefe selbst zu erkennen. Eine solche Selbsterkenntnis kann nur dann Wirklichkeit werden, wenn Europa erneut die Wurzeln seiner Identität erforscht: Diese Wurzeln gründen tief im klassischen hellenistischen sowie im christlichen Erbe, und beide führten zur Entstehung eines Humanismus, der auf der Auffassung gründet, dass jeder Mensch von Anfang an nach dem Abbild und Gleichnis Gottes geschaffen ist.“
„Friede sei mit euch, Männer und Frauen von Sarajewo!“
… Das ist im April 97. Messe in einem Sportstadion in Sarajewo, Hauptstadt von Bosnien-Herzegowina. Sonne, dann Regen, dann sogar Schneewirbel. Rund um das Stadion viel Militär der internationalen Friedenstruppen; der blutige Bosnienkrieg ist erst vor einem guten Jahr zu Ende gegangen – mit dem Friedensvertrag von Dayton, mit dem keiner so richtig zufrieden ist.
„Sarajewo – eine Stadt, die gewissermassen ein Symbol des 20. Jahrhunderts ist“, predigt der Papst. „1914 wurde der Name Sarajewo mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs verbunden. Und am Ende desselben Jahrhunderts hat ein weiterer Krieg in dieser Region eine Schneise des Todes und der Verwüstung hinterlassen… Friede sei mit euch, Männer und Frauen von Sarajewo!“
Der richtige Moment für Vergebung
Er habe schon 1994 nach Bosnien kommen wollen, doch das sei damals wegen des Kriegs nicht möglich gewesen. Damals habe er an die bahnbrechenden Worte gedacht, mit denen nach dem Zweiten Weltkrieg polnische und deutsche Bischöfe aufeinander zugegangen waren: „Wir vergeben und bitten um Vergebung.“
„Damals hiess es, das sei nicht der richtige Moment dafür. Aber vielleicht ist der richtige Moment ja jetzt gekommen? Ich komme also heute mit dem Gedanken und den Worten von damals – ich will sie euch wiederholen, damit sie ins Gewissen aller einsinken können: Wir vergeben und bitten um Vergebung! Wir können gar nicht anders, wir müssen diese Worte aussprechen. Wir können gar nicht anders, als uns auf die schwierige, aber notwendige Pilgerfahrt der Vergebung zu machen…“
In Hiroshima: Der Schrei gegen den Krieg
… Das ist im Februar 81. Besuch am Ground Zero der Atombomben-Explosion von Hiroshima in Japan. „Zum Schöpfer der Natur und des Menschen, der Wahrheit und Schönheit, bete ich: Hör meine Stimme, denn sie ist die Stimme der Opfer aller Kriege… Höre meine Stimme und gib uns die Fähigkeit und Kraft, auf Hass immer mit Liebe zu antworten, auf Ungerechtigkeit mit Hingabe an Gerechtigkeit, auf den Krieg mit dem Frieden. O Gott, hör meine Stimme und schenk der Welt für immer deinen Frieden!“
… Das ist im Januar 98: Begrüssungszeremonie in Havanna, der Hauptstadt von Kuba. Dass der Antikommunist Johannes Paul dem „Comandante“ Fidel Castro die Ehre erweist und damit auch das westliche Embargo gegen Kuba bricht, lässt viele Menschen weltweit den Atem anhalten. Auch im Weissen Haus wird die Live-Übertragung aus Havanna mitverfolgt.
Auch im Weissen Haus wird die Papstreise nach Kuba mitverfolgt
„Gleich vom ersten Moment will ich euch mit derselben Kraft wie am Anfang meines Pontifikats sagen: Habt keine Angst, Christus euer Herz zu öffnen! Lasst ihn eintreten in euer Leben, in eure Familien, in die Gesellschaft, damit alles erneuert wird.“ Da ist er wieder, der Grundakkord dieses Pontifikats, das „Habt keine Angst!“ von 1978, das vielen Herrschern im Ostblock bald darauf in den Ohren dröhnte. Der Papst fordert auch vom kubanischen Regime in aller Deutlichkeit Religionsfreiheit – und vom Westen ein Ende des Embargos.
„Die Kirche von Kuba will über den nötigen Raum verfügen, um weiter allen im Geist Jesu Christi dienen zu können… Ich bete darum, dass dieses Land allen ein Klima der Freiheit, des Vertrauens, der sozialen Gerechtigkeit und des dauerhaften Friedens bieten möge. Möge Kuba mit seinen wunderbaren Möglichkeiten sich der Welt öffnen, und möge die Welt sich Kuba gegenüber öffnen!“
Manila: Grösste Menschenansammlung der Geschichte
… Das ist im Januar 95: Weltjugendtag in Manila, der Hauptstadt der Philippinen. Seit neun Jahren gibt es dieses kirchliche Grossereignis, eine geniale Intuition des Papstes. Ausser in Rom hat der Weltjugendtag bisher in Argentinien, Spanien, Polen und den USA stattgefunden.
In einem Park der Hauptstadt feiert Johannes Paul die Abschlussmesse. Weil alle anderen Sonntagsgottesdienste in der Metropole ausfallen, nehmen ungefähr fünf Millionen Menschen an der Papstmesse teil – ein Rekord. Die bis dahin größte Menschenansammlung der Menschheitsgeschichte.
Ein Papst, der auf die Jugend zählt
Der Papst überzieht, seine Predigt findet gar kein Ende. Er ruft: „Christus! Christus! Christus! Ich rede, ohne zusammenzufassen. Noch schlimmer, ich setze noch einiges hinzu… Von euch wird das dritte Jahrtausend abhängen! Manchen kommt es wie eine wunderbare neue Epoche für die Menschheit vor, aber andere haben Angst. Ich sage das als jemand, der einen grossen Teil des zwanzigsten Jahrhunderts erlebt hat. In diesem Jahrhundert ist viel Trauriges und Zerstörerisches passiert… Die Zukunft hängt von eurer Reife ab!“
Der Applaus und Jubel der Menge inspirieren den Papst. Er hoffe, dass das Klatschen bedeute, dass man ihm gut zuhöre, sagt er. „Der Papst hält hier nicht einfach eine Rede. Er sucht das Gespräch mit euch. Er spricht und hört zu, hört zu, und ihr sprecht. Und das, was ihr sagt, ist vielleicht noch wichtiger… Dieser Tag sollte gar nicht mehr aufhören. Er müsste für immer weitergehen… Liebe junge Leute aus Asien, dem Fernen Osten und der ganzen Welt, seid ein Zeichen der Hoffnung für die Kirche, eure Länder und für die ganze Menschheit! Möge sich euer Licht von Manila bis in die entferntesten Ecken der Welt verbreiten! … Das wünsche ich euch herzlich – am Tag unseres Herrn Jesus Christus!“
Seine Erfindung: Der Weltjugendtag
Weltjugendtage – sie sind eine der wichtigsten „Erfindungen“ dieses polnischen Pontifikats. Junge Christen können hier erleben, dass sie mit ihrem Glauben nicht alleine sind. Weltweite Freundschaften entstehen, auch Berufungen. Eine immer wichtigere Rolle bei den WJTs (und in der Kirche Johannes Pauls) spielen neue geistliche Gruppen und Bewegungen, auch die Legionäre Christi und das Opus Dei.
… Das ist der 1. Mai 87. Der Papst ist in Deutschland, in Köln, um Edith Stein seligzusprechen. Während dieser Visite wird er auch in München den Jesuiten Rupert Mayer ins Verzeichnis der Seligen einschreiben und am Grab des „Löwen von Münster“, Kardinal Galen beten. Alle drei Geehrten haben aus christlicher Überzeugung den Nazis widerstanden, Edith Stein starb im KZ Auschwitz. Johannes Paul würdigt sie so:
Fast 500 Heiligsprechungen
„Selig sind, die aus der grossen Bedrängnis kommen; sie haben ihrer Gewänder gewaschen und im Blut des Lammes weiss gemacht“ (Offb. 7, 14). Unter diesen seligen Männern und Frauen grüssen wir heute in tiefer Verehrung und mit heiliger Freude eine Tochter des jüdischen Volkes, reich an Weisheit und Tapferkeit. Aufgewachsen in der strengen Schule der Traditionen Israels, ausgezeichnet durch ein Leben der Tugend und Entsagung im Orden, bewies sie eine heldenmütige Gesinnung auf dem Weg ins Vernichtungslager. Vereint mit dem gekreuzigten Herrn gab sie ihr Leben dahin ”für den wahren Frieden“ und ”für das Volk“: Edith Stein, Jüdin, Philosophin, Ordensfrau, Märtyrerin!“
Mit seinen über tausend Selig- und fast 500 Heiligsprechungen führt dieser Papst den Menschen von heute vor Augen, dass Heiligkeit nicht das Privileg einiger weniger, nichts Unerreichbares ist. Er bevölkert den Himmel. Unter den herausragenden Glaubenszeugen, die er feierlich im Buch der Heiligen verzeichnet, sind Maximilian Kolbe und Edith Stein. Aber auch die erste einheimische Afrikanerin und der erste mittelamerikanische Indio. Er spricht den ersten Rom selig, die erste Indianerin. Sogar einen neuen Rosenkranz erfindet er: die lichtreichen Geheimnisse.
Letzter Akt in Lourdes
Und schliesslich, die letzte Szene: August 2004. Rosenkranzgebet in der Grotte von Lourdes. In diesem französischen Bergstädtchen erschien Maria einst einem Hirtenmädchen, hierhin pilgern Jahr für Jahr Heerscharen von Kranken und Gebrechlichen, hier betet nun der todkranke Papst, ein grosser Marienverehrer, den Rosenkranz. Und sagt dabei den Satz: „Hier, vor der Grotte von Massabielle kniend, spüre ich mit Ergriffenheit, dass ich das Ziel meiner Pilgerfahrt erreicht habe.“
Tatsächlich ist das die letzte Reise des Neu-Evangelisierers Johannes Pauls. Knappe acht Monate später stirbt er. Typisch für ihn, dass seine Reisen um die Welt mit einem marianischen Akzent ausklingen.
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(radio vatikan)
Themen
Hundertjahrfeier der Geburt von Johannes Paul II.
Polen
01 Mai 2020
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