Höhenwege der Menschheit

Der Kampf war begonnen, das Wort gesät: Campion in England

Quelle
Gott will uns nicht halbtags

Aus der Reihe “Höhenwege der Menschheit”: Über die Zeit der Katholikenverfolgung in England – und die mutigen Männer, die trotz Todesgefahr dort missionierten.

Von Phil Schulze Dieckhoff, 29. Dezember 2019

Meine Herrn, Sie reiten in die Höhle des Löwen. Das wissen Sie freilich, denn genau dafür sind Sie bis hierhergekommen. Ihr Opfer wird England nützen, auch das wissen Sie und Sie können sicher sein, dass der Herrgott es nicht bei einem Opfer im Geist belässt, sondern dass es auch im Blut vollzogen wird. Auch das war Ihnen nicht verborgen, als sie das Meer überquert hatten.

Der Mann, der so sprach, hiess Pounde. Er trug einen speckigen Ledermantel und hatte seinen verbeulten Hut nachlässig neben sich geworfen. Ein wilder Gesell, mit verworrenem grauem Haar und ungestutztem Bart, der ihn zu einer Art Landstreicher machte, jedoch mit der gedrechselten Wortwahl von Englands Universitäten. Vier Männer sassen vor ihm und hörten dem Gestikulierenden aufmerksam zu. Unter dem Wust der Haare sahen sie die feurigen Augen des Wilden, die seinen völligen Ernst verrieten. Sie spürten, dass er bereit war mit seinem eigenen Leben für die Sache einzustehen.

Pounde war die Hoffnung aller Jesuiten für England. Er allein kannte alle verbliebenen katholischen Inseln des Landes, deren Botschaften bei ihm zusammenliefen, und von denen die meisten ohne seine Hilfe längst vergessen worden wären. Der Mann hatte noch die vergangene Nacht im Gefängnis in London verbracht. Freilich war das Zuchthaus von Marshalsea für seine lasche Haltung bekannt, selbst Katholiken gegenüber. Doch einen Freigang wie diesen konnten auch hier nur die Durchtriebensten aushandeln. Welche Mittel er aufgewandt hatte verriet Pounde nicht, dafür war zu gewieft.

Der erregte Landstreicher gestikulierte vor dem Kamin eines englischen Herrenhauses. Hinter den Fenstern zog ein grauer Morgen herauf und die schwindende Nacht liess einen Schleier aus Tau hinter sich zurück. Er war in scharfem Galopp aus London gekommen und hatte auf der Schwelle des Hauses die vier Männer angetroffen, die sich gerade anschickten das Haus zu verlassen. Er hatte sie zurück in den Salon gedrängt und noch schwer atmend seine Rede begonnen, die dadurch an Dringlichkeit gewann. So waren sie fünf vor der kalten Asche des Kamins. 

Der Leiter der kleinen Gruppe war Persons – später nannte man ihn Parsons -, ein schwerer Mittdreissiger. Er sass vornübergebeugt auf der Kante eines Sessels und hörte dem Gestikulierenden halb ergeben, halb gleichgültig zu. Seine Hände klopften ungeduldig auf dem Knie herum. Natürlich wäre es sinnvoller, so zügig wie möglich weiterzureiten, um im nächsten Haus die Beichte zu hören, die Messe zu feiern und den Verzweifelten Trost zu spenden. Es musste auch eine Druckerei errichtet werden. Die Überfahrt nach England hatte er nicht gewagt, um hier Politik zu machen oder grosse Thesen zu vertreten. Er war gekommen, um zu dienen.

Robert Persons war Priester, wie der andere Mann, der müde aber aufmerksam am Fenster saß. Der zweite, ebenfalls Jesuit, lehnte nachlässig im Sessel, eine hagere Gestalt mit hoher Gelehrtenstirn und nervösen Händen, die stets in Bewegung waren. Auch er hatte die Überfahrt durch den Ärmelkanal geschafft, ohne den britischen Spürhunden in die Hände zu fallen, und den Leiter der Mission in London getroffen. Von dort aus reisten die beiden ungleichen Männer zusammen.

Noch vom Schleier der Nacht umfangen, drang der leidenschaftliche Wortschwall des Mannes nur halb zu ihm. Überhaupt ging ihm die Vorstellung einer hemdsärmeligen, vielleicht tödlichen Verfolgung seiner Person noch nicht besonders zu Herzen. Natürlich wurden die englischen Freiwilligen der Kompagnie von ihren Mitbrüdern in Rom schon vor der Abreise als Märtyrer bewundert. Und freilich kannte er zur Genüge die sagenhaft blutige Aura des Tyburn, wo die Königin Englands die römischen Priester köpfte. Doch wie real konnte ihm die Gefangenschaft in diesem stillen Landhaus sein, wo zwei Gentleman gegen den Kamin lehnten und in dem jeden Nachmittag Tee serviert wurde?

“Meine Herren, wenn Sie Ihr Leben lassen, bringen Sie ein wohlriechendes Opfer für den Herrn, natürlich. Englands Kirche wird mit dem Blut der Märtyrer begossen et cetera. Aber selbst Daniel ist nicht schlichtweg in die Löwengrube gestiegen. Sondern, meine Herren, der entscheidende Punkt in Daniels Löwengrube ist, dass er die Geschichte verfasst und tausenden Generationen nach ihm zum Zeugnis überlassen hat. Und genau das ist der Vorschlag, den ich Ihnen unterbreiten will.”

Pounde wurde immer theatralischer und beendete seine Rede fast flüsternd. Er verfehlte seine Wirkung nicht. Campion hatte sich aus seinem tiefen Sessel aufgerichtet und sein spöttisches Lächeln zeigte dem Redner, dass der Schlaf verjagt und das Publikum erobert war.

“Die Schächer der Krone werden Sie im letzten Heuschober mit Piken suchen und hinter ihnen in den engsten Kamin klettern, weil Sie katholisch sind. Und wenn sie Sie finden, was dann, meine Herren? Dann ist der Lauf beendet und das Bekenntnis beginnt. Die Henker werden sagen: wir haben den armen Tropf aus seinem Versteck gezogen und er hat gezittert. Warum auch nicht, wer kann das verübeln? Nein, ich wünsche mir mehr: zittern Sie, von mir aus. Doch es soll jedes katholische Kind in unserm England ihre Geschichte hören. Jeder muss wissen – dieser Priester, den sie gefasst haben, ist für Gott und für das Vaterland nach England gekommen und als Märtyrer des heiligen Glaubens gestorben!”

“Prächtiger Vorschlag”, sagte Campion gefällig. “Wie stellen wir’s an, dass das Papier nicht in die Hände der Königin fällt, sondern unseren treuen Katholiken zukommt?”

Pounde kramte umständlich in seinem Beutel, der lässig über der Schulter hing. Er fingerte einige zerknitterte Bogen Papier hervor und rief triumphierend: “Beides vorgesehen, hochwürdige Herren: Sie schreiben zweimal, einmal für die Königin und einmal für mich. Ich versichere feierlich: was ich heute streng geheim an drei gute Seelen verteile, das ist in der nächsten Woche in ganz England bekannt.”

Persons erhob sich und sagte sachlich: “Also an die Arbeit. Vor Sonnenaufgang müssen wir fertig sein.” Und beide Priester setzen sich an den Tisch und bedachten ihr Werk, während die beiden Begleiter hinausgingen, um nach den Pferden zu sehen.

**

Was sollten Englands verlassene Katholiken lesen? Welches Wort konnte sie bestärken? Campion nestelte an seiner Jacke herum, während die Gedanken laufen liess.

Oh, grosses Vaterland… So schmerzend lag Englands Glorie im Schmutz. Allerorten waren die Kirchen zerstört worden, um den alten Katholizismus zu vertreiben. Wie faule Zähne ragten sie schwarz und ausgebrannt in den Himmel. Verwahrlost und wild rodete Englands Jugend durch die Städte und Dörfer. Man hatte sei gelehrt, die alten Meister zu verwerfen, doch niemand anders hatte sich ihrer armen Seelen angenommen. So lernten sie nur den Hass der Leute, nahmen ihn auf, machten ihn zum Ihren. Sie verachtete gleichermassen alle väterlichen Figuren, Papisten oder Staatspriester, die alten Herren und den König. Wer Wind sät, erntet Sturm.

Oh, grosses altes Vaterland, dem Herrn verschrieben seit deiner Jugend. Wie kannst du heute deinen Glauben verwerfen? Wie kannst du dich, England, von Petrus trennen und glauben, allein auf dich gestellt sei es gerechter? Grosses England, heiliges England, ich will dich wieder katholisch sehen: ein Glaube, ein Gott.

In den Universitäten und im Parlament, in Städten und Dörfern und in den Kirchen: die Schlacht um das Land war verloren und das Schisma Henrys vollzogen. Nur im Beichtstuhl konnte nur der Einzelne noch gerettet werden, nicht mehr.

Was würde bleiben? Die Geschichte in der Englands Kirche leidet. Die Geschichte, die sie mit ihrem Blut schreibt: wir sind bis zum letzten Zeugnis gegangen. Als die Zeit der grossen Erprobung kam, haben wir standgehalten, bis unsere Kleider im Blut des Lammes gewaschen waren. Poundes Idee war so einfach wie genial. Auch diese Geschichte musste erst geschrieben werden. Heute sollten die ersten Seiten des neuen England erscheinen.

So wie er war setzte Campion sich am Grossen Tisch des Salons nieder und begann zu schreiben:

“Eure Lordschaften,

Aus Germanien und Böhmerland kommend und von meinen Oberen gesandt habe ich mich in dieses herrliche Reich gewagt zur Ehre Gottes und zum Nutzen der Seelen, in mein liebes Vaterland. In dieser geschäftigen und gleichzeitig misstrauischen Welt scheint mir dies allein Grund genug zu sein, früher oder später in meinem Lauf gebremst und gestoppt zu werden. Um für alle Ereignisse gerüstet zu sein, auch für die Ungewissheit wie mir geschehen möge, falls Gott tatsächlich meinen Leib in Kette legen lassen will, halte ich es deshalb für nützlich dieses Schreiben bereitzustellen und den Wunsch auszudrücken, dass Ihre Lordschaften es zu lesen geruhen, um meiner Sache Kenntnis zu erlangen. Indem ich dies tue, bin ich gewiss, dass ich Ihnen einen guten Teil Arbeit abnehme. Denn was Ihr andernfalls durch Geistesmühe hättet erforschen müssen, lege ich jetzt in einem klaren Bekenntnis in Eure Hände. Und damit die ganze Sache gleich auch in gehöriger Ordnung bedacht und dergestalt besser verstanden und erfasst werden kann, stelle ich sie in den folgenden Punkten dar …”

Wie glücklich der Mann, der ehrlich streiten konnte! Die Blutzeit Englands gehörte eigentlich solch unbeugsamen Arbeitern wie dem zähen Persons, der seine Freude darin finden würde, in verrotteten Verstecken die letzten Katholiken der Insel aufzuspüren, jenen verlotterten Gestalten die Sakramente zu spenden und Seele für Seele in der Stille zu erobern oder immerhin zu bewahren. Doch wenn für den fleissigen Persons der Sinn seines Priester-Daseins im stoischen Dienst erfüllt war, so konnte sich Campion mit dem Halbdunkel der täglichen Verstecke nicht begnügen. Der Herr hatte die Apostel ausgesandt, damit sie das Himmelreich verkündeten, nicht damit sie einen Kerkerdienst ableisteten Sie sollten Trost spenden und das Volk aufbauen durch das Gottes Wort.

Im Anfang war das Wort. Nicht streiten, nicht lehren, keinen Disput pflegen und keine Predigt halten, das war kein Leben. Ehrlich und achtbar musste der Austausch der Argumente sein, es musste gestritten werden um der Wahrheit willen. Allein die ersten Wochen in den englischen Verstecken waren eine Art bitterer Fastenzeit gewesen. Das geringste Gespräch mit einem Gläubigen musste mit schweigenden Stunden im Verborgenen bezahlt werden. An einen Disput mit einem der schismatischen Priester durfte man nicht einmal denken.

Doch wenn der Geist nicht um die Wahrheit ringen darf, dann verdurstete die Seele. Das englische Drama war die erzwungene Stille. Welcher staatskirchliche Pfaffe konnte einem echten, lauteren Argument widerstehen? Es galt nur noch die Tat, das Wort hatte keinen Wert mehr.

Wenn schon der Streit nicht anging, so kam jetzt immerhin die Feder zum Zug. Sollten diese Wort doch bis zum Gegner dringen, wenn er auch umso wilder nach dem Autor suchen würde. Das Heil war in der Konfrontation, nicht im Versteckspiel.

Heftig schrieb Campion weiter: “Ich bekenne, dass ich ein freilich unwürdiger Priester der Katholischen Kirche bin und als solcher dank der übergrossen Gnade Gottes seit acht Jahren in Gefolgschaft der Gesellschaft Jesu stehe. Gleichzeitig habe ich mich einem besonderen Kriegszug unter dem Banner des Gehorsams verschrieben, womit der Verzicht jeglichen Wunschs oder Hoffnung einhergeht auf Reichtum oder Ehre, Genuss oder jegliches andere Glück.

Auf den Ruf unseres Obersten Generals, der mir die Stimme des Himmels ist und der Orakelspruch Christi, habe ich die Reise von Prag nach Rom unternommen (wo besagter Pater General ständig residiert), weiter von Rom nach England. Gleichermassen hätte ich in jeglichen anderen Sprengsel des Christentums oder der Heidenwelt gerufen werden können und hätte dem freudig Folge geleistet, wäre ich hierzu bestimmt worden.

Mein Auftrag ist es, das Evangelium umsonst zu predigen, die Sakramente zu spenden, die Einfachen zu belehren, die Sünder zu bessern, Fehler zu berichtigen – kurzum: geistig Alarm zu schreien gegen schmutzige Laster und verstockte Ignoranz, mit denen viele meiner lieben Landsleute verführt werden.

Nie war es meine Absicht – und es ist mir im Übrigen von unserem Vater, der mich gesandt hat, streng verboten – in irgendeinem Belang mich in Recht oder Politik zu mischen, was meiner Berufung fremd ist und wovon ich meine Gedanken mit Leichtigkeit fernhalten und beschränke.”

Persons faltete bereits sorgsam sein Papier und steckte es in die Manteltasche. Ein zweites Exemplar verschloss er in einem Umschlag, den er Pounde übergab, der leise mit den beiden anderen Männern diskutierte. Die Eile des andern beflügelte Campion, der endlich mit seinem grossen Bekenntnis schloss.

“Niemand als nur Ihr allein, Ihrer Hoheit Rat, besitzt die nötige Weisheit und Besonnenheit im Disput der Religion, um in diesen Dingen von höchster Bedeutung trotz der Irrungen und Wirrungen unserer Gegner festzustellen, auf welch festem Grund unser Katholischer Glaube gebaut ist und wie schwach die Seite ist, die in den Wirren dieser Zeit über uns vorherrscht. Und so Ihr werdet wenigstens für das Wohl Eurer eigenen Seelen und für das der vielen tausend Seelen, die von Eurer Regierung abhängen, das Fehlerhafte verwerfen, soweit es erkannt ist, und auf jene hören, die noch den letzten Tropfen Blut in ihrem Leib für Euer Heil vergiessen würden. Viele unschuldige Hände sind täglich für Euch zum Himmel erhoben: die Hände jener englischen Studenten, unsterblichen Andenkens, die gerade jenseits des Meers ausreichend Kraft und Wissen sammeln und die Euch niemals aufgeben werden, sondern die Euch entweder für den Himmel gewinnen oder an Eurem Galgen sterben werden.

Und was unsere Gesellschaft betrifft, so seid gewahr, dass wir einen Bund geschlossen haben ­– alle Jesuiten dieser Welt, deren Gefolgschaft und Zahl all die Taktiken Englands überwältigen wird – frohgemut das Kreuz zu tragen, das Ihr uns auferlegt und niemals Eure Besserung aufzugeben, solang wir noch einen Mann auf Euren Tyburn schicken, mit Euren Qualen gemartert oder Eure Gefängnisse füllen können. Der Preis ist berechnet und das Unternehmen begonnen. Es kommt von Gott, kein Zweck sich ihm in den Weg zu stellen. So wurde der Glaube gesät: so wird er wiederhergestellt.”

Der Kampf war begonnen, das Wort gesät. Wider das Schweigen standen die Worte im Raum. Mussten sie mit dem eigenen Blut bezahlt werden, so würde er den Preis nicht scheuen. Auf dass im heiligen England die Flamme der Wahrheit leuchte.

Campion faltete den Bogen sorgfältig und reichte ihn schweigend dem wartenden Pounde, der es wie eine Trophäe entgegennahm. Leichten Schrittes folgte er den drei anderen Männern in das Schweigen des Untergrunds.

(*) Don Phil Schulze Dieckhoff ist Priester der Gemeinschaft St. Martin. Erstveröffentlichung 29. Dezember 2018 aus der Reihe “Höhenwege der Menschheit

Per martyrum sanguinem adolescit Ecclesia, virorum ac feminarum qui pro Iesu vitam tradunt. Complures hodie exstant, quamvis lateant.
— Papa Franciscus (@Pontifex_ln) December 26, 2018

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