Zur Lage des Glaubens

Der Beitrag Joseph Ratzingers zum Zeugnis der christlichen Kirche heute

Quelle

Der Beitrag Joseph Ratzingers zum Zeugnis der christlichen Kirche heute – von Weihbischof Hans-Jochen Jaschke

Ein Zitat: “Für Viele ist der praktische Atheismus heute die normale Lebensregel. Es gibt vielleicht irgendetwas oder irgendjemanden, denkt man, der vor Urzeiten einmal die Welt angestossen hat, aber uns geht er nichts an. Wenn diese Einstellung zur allgemeinen Lebenshaltung wird, dann hat die Freiheit keine Massstäbe mehr, dann ist alles möglich und erlaubt. Deshalb ist es ja auch so dringlich, dass die Gottesfrage wieder ins Zentrum rückt” (LW 68). “…Religiosität muss sich neu regenerieren… und damit auch neue Ausdrucks- und Verstehensformen finden. Der Mensch von heute begreift nicht mehr so ohne weiteres, dass das Blut Christi am Kreuz Sühne für seine Sünden ist.

Das sind Formeln die gross und wahr sind, die aber in unserem ganzen Denkgefüge und unserem Weltbild keinen Ort mehr haben, die übersetzt und neu begriffen werden müssen. Wir müssen beispielsweise wieder verstehen, dass das Böse wirklich aufgearbeitet werden muss” (LW 163 f). Als Professor und theologischer Lehrer, als einer der bedeutenden Theologen des Konzils, als Bischof und als Präfekt der Glaubenskongregation und nunmehr im höchsten Amt für die ganze Kirche dient Joseph Ratzinger/ Benedikt XVI. dem Glauben. Er lebt in ihm und lebt ihn vor. Er weist ihn auf, beschreibt und entwickelt seine Gestalt aus der unerschöpflichen Quelle der Schrift des Ersten und des Neuen Testamentes, geleitet und geprägt von der reichen Überlieferung der Kirche, im Gespräch mit den Menschen, mit ihrer Geistigkeit und ihrer Kultur, immer mit einem klaren auch kritischen Blick auf die Befindlichkeiten und Situationen einer sich selbst genügenden Welt. Die angeführten Zitate aus dem jüngsten Interview des Papstes führen mitten hinein in das Thema. Sie markieren die Positionen, die Benedikt der XVI./ Joseph Ratzinger in seinem Jahrzehnte langen Wirken und Denken entwickelt und vertreten hat. Sie weisen auf seine Grundintuition hin, eine Vermittlung und Sprache für den Menschen heute zu finden.

1. Zur Lage des Glaubens – der Fischer

“Erinnere dich daran, dass du nicht der Nachfolger von Kaiser Konstantin, sondern der Nachfolger eines Fischers bist”. Benedikt XVI. nimmt die Mahnung ernst, die einst der heilige Bernhard von Clairvaux Papst Eugen III. ins Gewissen geschrieben hat (LW 93 f). Er will Fischer und Hirte für die Menschen sein. Sie für die Einladung Jesu Christi zum Glauben an Gott zu gewinnen, bleibt sein Herzensanliegen, sein wichtigster Dienst. Natürlich muss der Papst regieren und leiten, wird er aufgerieben durch die Fülle seiner Verpflichtungen. Aber er will sich nicht in einem äusseren Aktivismus verlieren, sondern immer neu den “inneren Überblick, die innere Sammlung… behalten, aus der dann die Sicht aufs Wesentliche kommen kann” (LW 94). Aufgabe der Kirche muss es vor allem sein, den Glauben vorzuleben, ihn zu verkündigen “und so die grosse Freiwilligengemeinschaft… über alle Kulturen, Nationen und Zeiten hinweg… im inneren Zusammenhang mit Christus und so mit Gott selbst zu halten” (LW 96). In den Schuhen des Fischers unternimmt er seine Reisen, nicht wie ein Star, aber weil er spürt, wie die Menschen über ihn “mit dem Vertreter des Heiligen, mit dem Geheimnis, dass es einen Nachfolger Petri und einen gibt, der für Christus stehen muss” (LW 95), Kontakt suchen. Seine Reisen führen ihm ein Bild der Kirche vor Augen, das neue Aufbrüche, Glaubensfreude und Elan zeigt, aber auch die “Krise der Kirche in der westlichen Welt” (Lage 41 f). Dankbar erlebt er die Zeichen der Hoffnung (LW 156 f). Er leidet an den beschämenden Skandalen, die die Kirche anderen geschlagen hat und somit am eigenen Leib trägt (LW 31-51). Und immer wieder spricht er von der bitteren Enttäuschung über eine moderne Welt, die von einer Säkularität gepackt wird, in der christlicher Glaube keinen Platz findet und das Verständnis für die eigentliche, von Gott gewährte Wirklichkeit der Kirche verloren geht. Die Glaubenskrise und die Krise des Kirchenverständnisses sind zwei Seiten einer Medaille (Lage 45-54).

Eine Vergiftung des Denkens

Es geht um Gott. Unter einem praktischen Atheismus als Lebensregel spielt Gott keine Rolle. Menschen leben ohne Massstäbe, alles ist möglich, alles erlaubt. Nur wenn Gott, wenn die Frage nach ihm neu ins Zentrum rückt, können wir der grossen Krise unserer Gegenwart recht begegnen und in ihr bestehen. “Das ist freilich kein Gott, den es irgendwie gibt, sondern der uns kennt, der uns anredet und uns angeht – und der dann auch unser Richter ist” (LW 68). Der Papst nimmt das Wort von der Vergiftung des Denkens auf. Diese vollzieht sich in der westlichen Welt und bildet den Kern der drohenden globalen Katastrophe, die durch die grossen Schlagworte Umwelt und Klima, extreme Armut, gigantischer Reichtum, astronomische Schuldenbelastungen markiert wird. Die Vergiftung besteht in einem Fortschrittsbewusstsein, das Erkenntnis und Wissen zur alles bestimmenden Macht erklärt, die Erkenntnis reduziert auf das, was mit unseren Mitteln zu beweisen und nachzuvollziehen ist, und die Frage nach dem bleibend Guten, nach einem verbindlichen Massstab nicht mehr stellen kann (LW 61ff). Der Verlust des wirklichen Gottes muss zu einer solchen Reduktion und Verarmung finden.

Ein wissenschaftliches Denkmodell

Es muss die Aufgabe eines wachen Verstandes und kritischer Geister sein, ein uns bestimmendes wissenschaftliches Denkmodell zu analysieren, seine Legitimität, aber auch seine Grenzen aufzuweisen. Die positive Wissenschaft, nicht die zuletzt die neuzeitliche führt zu ungeahnten Erfolgen, deren Ende nicht abzusehen ist. Aber wenn sie zu einem scheinbar geschlossenen System wird, von Denkverboten, ja von einer “Arroganz” des Denkens (LW 197) bestimmt erscheint, wird sie unserer Wirklichkeit, insbesondere der Wirklichkeit des Menschen nicht gerecht. Wir müssen einen Blick auf das Ganze gewinnen, dem grösseren Geheimnis nachgehen, nach dem “woher”, dem “wohin”, dem “warum” ausschauen, die grossen menschlichen Grunderfahrungen wie Liebe, Sehnsucht, Schuld, Versagen nicht überspielen. “Warum sollte Gott nicht imstande sein fragt der Papst, auch einer Jungfrau eine Geburt zu schenken? Warum sollte Christus nicht auferstehen können?… Wie viele Möglichkeiten der Kosmos in sich birgt und sich über und in dem Kosmos verbergen – das zu entscheiden kann nicht unsere Sache sein” (LW 197, vgl. 162 f). Mit solchen Erfahrungen und Sichten verwahrt sich Joseph Ratzinger auch gegen ein “heute vielfach noch akzeptiertes – deistisches Gottesbild, das Bild eines Uhrmachers, der den Mechanismus entworfen, in Gang gesetzt hat und ihn seinen Lauf nehmen lässt. Auch ein Rückzug Gottes aus der Welt auf eine überweltliche, transzendentale Ebene würde weder der biblisch – christlichen Gottesgewissheit entsprechen noch die Herausforderungen aufnehmen, die an ein modernes Denkmodell zu stellen sind. Gott will mit seiner Welt zu tun haben und für jeden Einzelnen da sein” (Mitte 105-107). So lädt der Papst und Theologe zu einer grösseren umfassenden Rationalität ein, in der Gott aufscheinen kann, zur Öffnung auf neue Dimensionen der Existenz über eine “Biosphäre” und “Noosphäre” hinaus, wie ein Teilhard de Chardin es einst gesagt hat (LW 197), zu einem “Durchbruch durch die Schallmauer der Endlichkeit” (LW 208). Das muss der erste Dienst kirchlicher Verkündigung, das soll Benedikt XVI. Dienst im Petrusamt des Fischers sein.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kategorien

Die drei Säulen der röm. kath. Kirche

monstranz maria papst-franziskus

Archiv

Empfehlung

Ausgewählte Artikel