Keine Ruhe vor dem Sturm
Fall Pell: Keine Ruhe vor dem Sturm – Australien: Kardinal Pell will nun doch in Berufung gehen – Die Reaktionen auf das Urteil sind heftig
Quelle
Literatur – René Girard
Nicht nur die Nachricht, dass Kardinal George Pell vor dem High Court in Berufung gehen will, hat gewaltigen Wirbel verursacht. Auch die öffentlichen Reaktionen auf die Reaktionen sind geprägt von der Härte und Heftigkeit, die einen Kulturkampf auszeichnen.
Auf den ersten Blick scheinen die Positionen klar verteilt
Auf den ersten Blick scheinen die Positionen klar verteilt: Auf der einen Seite stehen alle, die Zweifel am Verfahren und Schuldspruch gegen den ehemaligen Finanzchef des Vatikans wegen des sexuellen Missbrauchs zweier Chorknaben in den 1990er Jahren haben. Auf der anderen stehen jene, die Pell für schuldig halten. Zum Beispiel die Aktivistin Leonie Sheedy. Gegenüber der „BBC“ sagte die Australierin: „Die kleinen Leute haben gewonnen.“ Die katholische Kirche sollte nun den Opfern Geld geben, statt sich teure Anwälte für Berufungsverfahren zu leisten.
In einem solchen Klima werden andere Meinungen ungern geduldet. So zeigte sich die Politikerin Kristina Kenneally wortreich im Fernsehen „sprachlos“ darüber, dass der Melbourner Erzbischof Peter Comensoli von Pells Unschuld ausgeht – und dies auch öffentlich gesagt hat. Das sei, so die katholische Labor-Senatorin im TV-Sender „Sky News“, „gleich auf mehreren Ebenen erschütternd“.
Die australische Ausgabe des „Guardian“ kommentierte: „Pell ist im Gefängnis, wo er hingehört, und die Kulturkämpfer sind wütend, weil einer der Ihren gestürzt ist.“
Auch das „Privileg“ des Beichtgeheimnisses soll nun stürzen. Das fordert etwa Louise Milligan, die mit ihrem Buch „The Rise and Fall of Cardinal Pell“ das öffentliche Bild des Kardinals als pädophilen Täter prägte. Comensoli hat bereits bekannt, er werde lieber auch ins Gefängnis gehen, als das sakramentale Siegel zu brechen.
Weigel vergleicht Fall Pell mit Dreyfus-Affäre
Angesichts solcher Entwicklungen hat George Weigel einen Vergleich mit der Dreyfus-Affäre gezogen. Im Magazin „First Things“, unter dem Titel „die australische Schande“, schrieb er am 21. August: „Vernünftige Menschen werden sich fragen, ob es sicher ist, in einem sozialen und politischen Klima zu reisen oder Geschäfte zu machen, in dem eine Mob-Hysterie, ähnlich derjenigen, die Alfred Dreyfus auf die Teufelsinsel geschickt hat, offensichtlich Geschworene beeinflussen kann.“
Australische Juristen sagten gegenüber der „Tagespost“, dass der in der Dreyfus-Affäre erhobene Vorwurf des Verrats zumindest in der Hinsicht mitverhandelt wird, dass viele hoffen, die robust katholischen Positionen Pells delegitimiert zu sehen durch eine Schuld der Person. So gesehen sei Pell für manche nicht nur ein „Sündenbock“ im Sinne René Girards, sondern auch eine Art Alfred Dreyfus.
Fall geht zum höchsten Gericht Australiens
Endgültig entscheiden über eine Schuldhaftigkeit Pells soll nun das höchste Gericht Australiens. Ermöglicht haben – was viele Kommentatoren ignorieren – den Antrag darauf alle drei Berufungsrichter mit ihrer Urteilsbegründung.
Richter Mark Weinberg, der für einen Freispruch Pells plädierte, legte eine regelrechte Blaupause für die Berufung vor. In seiner 200 Seiten langen Argumentation stellte der Richter fest, dass Pell aufgrund einer einzigen Aussage schuldig gesprochen wurde, der mehr als 20 Zeugen vor Gericht widersprochen haben. Allein die Möglichkeit, dass diese Zeugen die Wahrheit gesagt haben könnten, hätte „zwangsläufig zu einem Freispruch führen müssen“, schreibt der ehemalige Generalstaatsanwalt.
Pell weiter hinter Gittern
Tatsächlich sei Pell praktisch dazu gezwungen worden, die „Unmöglichkeit seiner Schuld“ zu beweisen – statt begründete Zweifel anzumelden, die seinen Freispruch garantiert hätten, so Richter Weinberg weiter. Beobachter gehen davon aus, dass es genau dieses Argument ist, das Pells Anwalts-Team um Bret Walker in Canberra anführen wird.
Unterdessen sitzt Pell weiter hinter Gittern: Seit über 180 Tagen befindet sich der Kardinal in Einzelhaft im Melbourne Assessment Prison. Er darf dort nicht einmal die heilige Messe lesen.
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