Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz
Predigt von Bischof Dr. Rudolf Voderholzer in der Schlussvesper am 28. September 2017
Quelle
KathTube – 150. Wiederkehr der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda
Hl. Bonifatius
28.09.2017 – Nr. 164
Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz
Liebe Mitbrüder im Bischofs-, Priester- und Diakonenamt,
ehrwürdige Schwestern,
liebe Vertreter der kirchlichen Vereine und Verbände,
liebe Schwestern und Brüder im Herrn!
Seit 150 Jahren kommen die deutschen Bischöfe zu ihrer Herbst-Vollversammlung in Fulda zusammen. Die Lage ziemlich in der Mitte Deutschlands ist verkehrstechnisch sehr praktisch. Aber der wahre Grund liegt tiefer. Wir treffen uns in Fulda, weil wir hier das Grab des hl. Bonifatius verehren, des „Apostels der Deutschen“.
Die Verlautbarungen der Vollversammlung der Deutschen Bischöfe, früher bisweilen einfach „Fuldaer Bischofskonferenz“ genannt, wurden stets mit der Wendung eingeleitet bzw. lokalisiert: „Am Grab des hl. Bonifatius versammelt, … tun die deutschen Bischöfe kund …“
Zur Verehrung des hl. Bonifatius gehört nicht zuletzt die Bitte um Gottes Segen auf seine Fürsprache hin, die zeichenhaft durch die Auflegung der Bonifatius-Reliquie ihren Ausdruck findet. Auch wir werden uns nachher mit dem Reliquiar segnen lassen und somit gleichsam hautnah in Berührung bringen mit dem Mann, der für seinen Glauben sein Leben hingegeben hat. Der damit durch die Gnade Gottes sein außergewöhnliches Lebenswerk der vertieften Einpflanzung des Christentums in unserem Heimatland krönen konnte.
Als Bischof von Regensburg darf ich einem Bistum vorstehen, das im Jahr 739 vom hl. Bonifatius kanonisch errichtet wurde und so treiben auch mich besonders Fragen um wie diese: Was gibt uns das Vorbild des hl. Bonifatius heute mit? Was können wir von ihm lernen, wo fordert er uns heraus?
Wenn wir sein Leben und Wirken betrachten, dann begegnet uns ein Organisationsgenie und ein Kommunikationsgenie; jemand, der die Kirche in Deutschland geordnet und fest mit Rom verbunden hat und damit ein wesentliches Fundament des Abendlandes gelegt hat. Aber diese sozusagen politischen Fähigkeiten allein begründen noch nicht seine Bedeutung. Bonifatius war ein echter Bote des Evangeliums. Davon zeugen seine Briefe. In ihnen begegnet uns manch Zeitbedingtes, aber auch viel zeitlos Gültiges für uns.
Im ältesten uns erhaltenen Bonifatius-Brief an einen gewissen Sigeberht erläutert der Heilige die Bedeutung des sogenannten Kreuzgedichtes. Das ist ein kunstvolles Figurengedicht in Ellipsenform, dessen Mitte das zweimal mit der Inschrift „Jesus Christus“ versehene Kreuz bildet: „Du sollst wissen, dass Du die einzelnen Bestimmungen des Alten und Neuen Testamentes dann in der den Kirchensatzungen entsprechenden Weise verstanden hast, wenn Du in der Mitte mit geistigen Augen betrachtend den Christus am Kreuz erblicken kannst, der das Bauwerk der bösen Begierden zerstört und den Tempel der gütigen Liebe erbaut“ (Briefe des hl. Bonifatius, hg. von Reinhold Rau, Darmstadt 1969, 365; vgl. Lutz E. von Padberg, Bonifatius. Missionar und Reformer, München 2003, 24).
Bonifatius, der sich selbst auf seinen missionarischen Dienst mit einem intensiven Studium der Heiligen Schrift vorbereitet hat – vermutlich konnte er die Bibel über weite Strecken auswendig – verpflichtet uns auf die Urkunde unseres Glaubens. Bemerkenswert sein Hinweis auf die Einheit der Heiligen Schrift. Altes und Neues Testament als Offenbarungszeugnis sind eine Einheit, die christologisch, letztlich durch das Kreuzesgeschehen, vermittelt ist; Einsichten, die von höchster Aktualität sind und von der Bibelhermeneutik unserer Tage wieder eingeholt werden.
Angesichts einer immer mehr schwindenden Bibelkenntnis selbst in kirchlichen Kreisen und eines Relevanz-Verlustes der biblischen Botschaft erinnert uns Bonifatius durch sein Vorbild und seine Predigt an die Weisungen des Zweiten Vatikanischen Konzils: die Kenntnis der Heiligen Schrift zu fördern, die Liebe zur Heiligen Schrift zu entfachen und das Schriftstudium als „Seele der Theologie“ hochzuhalten (vgl. Vat. II, Dei verbum, 6. Kapitel, v. a. DV 24).
Mit der Heiligen Schrift im Herzen hat der hl. Bonifatius unsere Heimat evangelisiert. Ich bin froh, dass er die Donar-Eiche – Symbol und Kultstätte des germanischen Heidentums – gefällt, aus ihrem Holz eine Peterskirche gebaut und an ihre Stelle das Kreuz gesetzt hat. Die Propagandisten einer Re-Germanisierung haben ihm das immer übel genommen und die vermeintliche „Verweichlichung“ der hehren germanischen Natur durch die jüdisch-christliche Ethik der Schwachen und Zu-kurz-Gekommenen vorgeworfen. Erst aus der Perspektive der Umkehr und der Kreuzesnachfolge freilich ist der wahre und wahrhaftig humane Mehrwert der Botschaft des Evangeliums zu erfassen. Das Kreuz ist das Zeichen gewaltloser Toleranz, das uns zeigt, dass der Glaube in höchstem Maße eine Sache der Freiheit ist. Das Kreuz zeigt, dass Gott uns leiden mochte und leiden mag bis zur letzten Konsequenz und ist deshalb der Inbegriff der froh und selig machenden Botschaft. Woher, so frage ich, woher schließlich sollte Hoffnung kommen auf Frieden und Versöhnung unter den Völkern, wenn nicht vom Kreuz her, an dem der Herr gewalt- und wehrlos den Hass der Welt an sich hat austoben lassen und so dem unseligen Kreislauf von Tun und Vergeltung in die Speichen gefahren ist; vom Kreuz her, unter dem sich gerade auch noch einmal Opfer und Täter versöhnen können?
Dank des überlieferten Brief-Corpus haben wir auch ganz konkrete Aussagen und Ermahnungen des hl. Bonifatius an Bischöfe. Ich erinnere nur an eines der berühmtesten Worte, gerichtet an Bischof Cuthberht: „Wir wollen nicht stumme Hunde sein, nicht schweigende Späher, nicht Mietlinge, die vor dem Wolf fliehen, sondern besorgte Hirten, die über die Herde Christi wachen, die dem Großen und dem Kleinen, dem Reichen und dem Armen, jedem Stand und Alter, ob gelegen oder ungelegen, jeden Rat Gottes verkünden“ (Brief 78, ed. Rau, 251 und 253; zitiert nach Padberg, 31).
Es ist beachtlich, mit welchem Nachdruck Bonifatius die Verantwortlichkeit jedes Einzelnen betont (vgl. Hubertus Lutterbach, Mit Axt und Evangelium. Eine Biographie in Briefen, Freiburg 2. Auflage 2005, 273). Lutterbach spricht davon, Bonifatius habe das Christentum als „Gewissensreligion“ gelehrt und verkündet! Nur wer mit seiner ganzen Person für den Glauben einsteht, nur wer zu erkennen gibt, dass er sich als Bote dem sendenden Gott und nicht dem Zeitgeist, den Erwartungen der Medien oder sonstigen vorläufigen Instanzen verantwortlich weiß, wird bei anderen Glauben wecken. Kirchliches Leben braucht mehr als nur Sympathisanten. Leitbilder sind gefragt. Menschen die brennen und so das Feuer des Glaubens weitergeben können.
Deshalb scheint mir, dass uns Bonifatius, der Glaubenszeuge, ermutigt, im Voraus zu einer Theologie der Gemeinschaft und der Kollegialität – so wichtig und notwendig sie ist –, noch deutlicher eine Theologie der Personalität und der personalen Verantwortung in den Blick zu nehmen. Eine solche Theologie der Personalität entspricht ganz dem biblischen Gottes- und Menschenbild. „Zur Struktur der Bibel gehört nicht nur die Gemeinschaftlichkeit der von Gott geschaffenen Geschichte“, sagt Joseph Ratzinger, „sondern ebenso die persönliche Haftbarkeit, die Verantwortung der Person. Das Wir ist nicht Auflösung von Ich und Du, sondern deren Bestätigung und Stärkung ins Endgültige hinein.“ Ein sprechender Beleg dafür ist die Bedeutung, die schon im Alten und erst recht im Neuen Testament, der Name hat – der Name Gottes und der Name des Menschen. Der Name, der Gott und mich und dich ansprechbar, identifizierbar und unterscheidbar macht, bezeichnet in der Sprache der Bibel dasselbe, was dann die philosophische Reflexion mit dem Wort „Person“ bezeichnen wird. „Dem Gott, der einen Namen hat, d. h. ansprechen und angesprochen werden kann, korrespondiert der Mensch, der namentlich und in namentlicher Verantwortung in der Offenbarungsgeschichte steht.“ (Joseph Ratzinger, Der Primat des Papstes und die Einheit des Gottesvolkes, JRGS 8, 660–675, hier: 663) Deshalb ist es auch wichtig, dass im eucharistischen Hochgebet, wenn die Einheit des Gottesvolkes mit der Hierarchie der Kirche aufgerufen wird, der Papst und der Ortsbischof mit ihren Namen genannt werden. Das hat nichts mit Personenkult zu tun, sondern erinnert an die Tatsache, dass der formale Kern des Glaubens die „persönlich verantwortete Zeugenschaft“ ist. Es kann in der Kirche keine anonyme Leitung geben. Die personale Inpflichtnahme darf nicht durch Gremien oder Synoden aufgehoben werden, durch letztlich anonyme Größen, hinter der die persönliche Zeugenschaft und auch die persönliche Verantwortlichkeit zu verschwinden droht. Bonifatius erinnert uns durch sein Wirken und sein Beispiel an die „martyrologische“, das heißt auf das persönliche Bekenntnis und die Zeugnis verpflichtende Sendung des apostolischen Dienstes. Die Kollegialität der Bischöfe hebt die Personalität und persönliche Verantwortung des einzelnen nicht auf, sondern setzt sie voraus.
Noch einmal mit Joseph Ratzinger gesprochen:
„Dem Zeugen Jesus Christus entsprechen die Zeugen, die, eben weil sie Zeugen sind, mit Namen für ihn einstehen. Das Martyrium als Antwort auf das Kreuz Jesu Christi ist nichts anderes als die letzte Bekräftigung dieses Prinzips der unabtretbaren Namentlichkeit, der namentlich haftenden Person.“
Hl. Bonifatius, Apostel der Deutschen und Blut-Zeuge für das Evangelium, bitte für uns! Amen.
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