“Ich will nur Gott nach dem Mund reden”

Zum 75. Geburtstag von Joachim Kardinal Meisner: “Ich will nur Gott nach dem Mund reden”

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Stimmen zu Joachim Kardinal Meisner
Der unbequeme Weise aus dem Osten
KathTube
Mahner gegen den Zeitgeist in der katholischen Kirche
Weltjugendtag Köln – 2005

Von Bernd Eyermann, 24.12.2008

Köln. Es ist kalt an diesem Mittwoch im Severinsviertel. Die Autos donnern über die sechsspurige Ulrichgasse und lassen das Wasser bis auf den Bürgersteig spritzen. Die Menschen, die von der Strasse kommen und in den kleinen Klostergang schlüpfen, kennen jedes Wetter. Fast alle haben jahrelang auf der Strasse gelebt, inzwischen haben die meisten von ihnen ein Dach über dem Kopf – auch dank der Ordensleute, die hier im alten Franziskanerkloster eine Obdachlosenseelsorge eingerichtet haben.

In der warmen Stube servieren Bruder Othmar und Schwester Franziska Tee und Kaffee. Dazu haben sie Kuchen und Plätzchen auf den Tisch gestellt, wie jeden Mittwoch. 15 Menschen sind heute gekommen – und auch Joachim Kardinal Meisner.

Der Erzbischof setzt sich in die Runde und hört erstmal zu, zum Beispiel der älteren Frau, die erzählt, dass sie in ihrer Wohnung keinen Besuch empfangen darf. “Auch im betreuten Wohnen muss man doch Besuch bekommen dürfen”, sagt Meisner und fordert sie auf, das Problem aufzuschreiben, “damit wir uns drum kümmern können.”

Die Frau gegenüber fragt er, wo sie herkomme. “Aus Kolumbien, aber ich lebe schon 49 Jahre hier.” Der Kardinal erzählt von einem Aids-Projekt dort, das er sehr schätze. Ein junger Mann wirft ein, in Kirchenkreisen sehe man Aids doch problematisch. “Nein”, sagt Meisner, “jede Krankheit ist schlimm, damit kann man die Leute doch nicht allein lassen.” Das ist die soziale Begründung.

Ein paar Minuten später, unten in der Krypta der Kirche, gibt er die theologische. “Gott geht den bescheidenen Weg.” Die Geburt im Stall zeige: “Er kommt nicht mit Macht, sondern will uns seine Schwäche zeigen.” So müssten sich die Christen immer wieder darauf besinnen, die Schwachen in der Gesellschaft zu stützen. Meisner tut dies hier ganz persönlich.

Bei dem gemeinsamen Lesen der Bibel erzählt jeder, was ihm durch den Kopf geht, wenn er von Jesu Geburt hört. Von Kindheitserinnerungen ist die Rede, von bösen Schicksalsschlägen oder auch von dem Gefühl, Wärme und Geborgenheit in dieser Gemeinde gefunden zu haben. Meisner sagt: “Das Bibelteilen ist nirgends so schön wie bei Ihnen.”

Der Bischof scheint diese knappe Stunde in der Krypta zu geniessen. “Nein, geniessen, das ist es nicht”, sagt er später im persönlichen Gespräch, aber ihm tue es gut, mal nicht dauernd reden zu müssen. 75 Jahre alt wird der Kölner Erzbischof am Ersten Weihnachtstag – und die Last von Amt und Alter spürt er zunehmend.

Wie es jeder Oberhirte mit 75 tun muss, hat er dem Papst seinen Rücktritt angeboten. Doch Benedikt XVI. lehnte ab. Meisner weiss warum. Vor dem Konklave habe er seinen Freund Joseph Ratzinger bestürmt: “Lauf uns nicht davon. Du musst Papst werden”, berichtet Meisner am Abend bei einer Talkshow des Domradios, “jetzt nimmt er mich in die Pflicht.”

Der Papst weiss, was er an seinem Kölner Kollegen hat. Er scheue sich nicht “zu widersprechen, wenn widersprochen werden muss, ohne auf Parteien oder auf taktische Vorteile Rücksicht zu nehmen”, hat Benedikt in einem Grusswort für eine Festschrift zu Meisners Geburtstag geschrieben.

Was der Papst als grosse Stärke des Erzbischofs betrachtet, sehen Kirchenkritiker, aber auch viele Gläubige oft als Ärgernis. Als es etwa um Methoden der Empfängnisverhütung ging oder einen Vergleich von Abtreibungen mit den Verbrechen der Nazis. Als es um religionsferne Kunst ging, die er als entartet bezeichnete.

Als er CDU und CSU das C absprach, weil sie sich nach seiner Ansicht für alles andere, aber nicht für eine christliche Politik einsetzten. Als er Pfarrer abberief, weil er den Glauben in den Gemeinden in Gefahr sah. Als er Pfarreien verbot, auch nur ausnahmsweise einen ökumenischen Gottesdienst am Sonntagmorgen abzuhalten. Meisner ist unbequem, und er polarisiert wie kein zweiter Kirchenmann in Deutschland.

“Ich will nur Gott nach dem Mund reden”, hat er oft gesagt. Nur das wolle er predigen, was nach seiner Überzeugung Gottes Wille ist. Positionen, die in einer weltlichen Gesellschaft für viele Menschen nicht zeitgemäss sind. Für Meisner ist das aber kein Argument. Er schaut, ob er sich selbst treu geblieben ist. “Jeder Advent ist für mich eine Zeit der Prüfung”, sagt er. Da nehme er sein Tagebuch aus dem Advent 1962, das er vor seiner Priesterweihe geschrieben habe, und frage sich: “Hast Du Deine erste Liebe bewahrt?”

Was er 2008 antwortet, verrät er nicht. Eines aber betrübt ihn: “Ich bin auf keinem Gebiet so erfolglos geblieben wie beim Werben um geistliche Berufe.” Aber er hoffe weiter, dass sich eines Tages wieder mehr junge Männer und Frauen für das Leben als Priester oder Ordensleute entscheiden. Gleichwohl mutet er den Priestern heute eine ganze Menge zu. Sie sollen viel grössere Gemeinden führen, zugleich aber verständnisvolle Seelsorger vor Ort bleiben. Aufgaben, die immer mehr Priester an die Grenzen ihrer Schaffenskraft bringen.

In Zeiten des Priestermangels sieht Meisner aber keine Alternative – und sagt das deutlich. Zum Beispiel an diesem Abend im Dom beim Pontifikalamt zum 30. Todestag von Joseph Kardinal Frings: “Oft höre ich den Vorwurf, ihr habt die Priester nicht auf die schwierigen Zeiten vorbereitet.” Kardinal Frings habe aber auch keine Sonderkurse “Kirchenführung in Kriegs- und Nachkriegszeit” besucht.

“Er hat sich Schritt für Schritt von der Gnade Gottes und seinem gesunden Menschenverstand leiten lassen”, sagt Meisner und ermahnt sein Personal: “Wir sollten nicht so auf Sonderkurse dringen, sondern mit Hoffnung und Vertrauen die Herausforderungen der Zukunft angehen.”

Meisner selbst wird weiter wider den Zeitgeist reden, zugleich aber auch der glaubensstarke Mann bleiben, als den ihn Nikolaus Schneider würdigt. Er teile zwar nicht jede Überzeugung Meisners, schreibt der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, aber er schätze dessen Stärke im Glauben, “auch wenn seine damit verbundene Bestimmtheit ihn mitunter kühler erscheinen lässt, als ich ihn als seelsorgenden Mitbruder ganz persönlich erlebt habe.”

In die alte Franziskanerkirche wird er im nächsten Advent wiederkommen, hat der Kardinal versprochen.

“Ich freue mich darauf, denn ich brauche nur Herz und Ohren aufzumachen.” Hier, wo der Chef einer der wichtigsten Erzdiözesen der Welt Seelsorger ist und mit den Schwachen in der Gesellschaft die Bibel teilt.

Der Tag eines Erzbischofs

Joachim Kardinal Meisner wird eine eiserne Disziplin nachgesagt. Er stehe gegen 4.30 Uhr auf, erzählt er. “Ab 5 Uhr gehe ich mit den Stöcken eine Stunde durch den Garten.”

Es folgen kalte Dusche, 90 Minuten Morgengebet und heilige Messe sowie um 7.45 Uhr ein kurzes Frühstück. Bis zum Mittagessen Termine und Schreibtischarbeit. Danach das Rosenkranzgebet, ein halbstündiger Mittagsschlaf und das Stundengebet.

Nach dem Kaffee wieder Büroarbeit, Stundengebet, Abendessen, um 23 Uhr Bettruhe. Einmal im Monat reist er zu Sitzungen nach Rom. Zudem ist er viel im Erzbistum unterwegs.

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