In Zeiten des abnehmenden Lichts

Der Spielfilm von Wolfgang Kohlhaase (Drehbuch) und Matti Geschonneck (Regie), der nun im regulären Filmprogramm startet, setzt die Auflösung der Vier-Generationen-Familie des ‪„‪‪‪Genossen“ Wilhelm Powileit (Bruno Ganz) parallel zum Untergang der DDR

Der Spielfilm ‪„‪‪‪In Zeiten des abnehmenden Lichts“ von Wolfgang Kohlhaase (Drehbuch) und Matti Geschonneck (Regie) basiert auf dem 2011 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneten, gleichnamigen Roman von Eugen Ruge. Nach seiner Premiere in der Reihe ‪„Berlinale Special‪‪‪“ der 67. Internationalen Filmfestspiele Berlin startet er nun im regulären Filmprogramm.

Setzte der Roman im Jahre 1952 ein, der dann bis zum Jahre 2001 weitergeführt wurde, so verdichtet der Spielfilm die Handlung auf ein zentrales Ereignis, den 90. Geburtstag von Wilhelm Powileit (Bruno Ganz) am 1. Oktober 1989.

Dazu beschränkt sich die Spielfilm-Handlung so gut wie auf einen einzigen Handlungsort. Eine Art Prolog verdeutlicht, woher die Redewendung ‪„Zeit des abnehmenden Lichtes‪‪‪“ stammt: In Slawa etwa, hinter dem Ural, wird der Herbst eingeläutet, wenn das Kartoffelkraut auf den Feldern brennt. Damit beginnt die Zeit des abnehmenden Lichts. Eine von Akkordeon-Klängen untermalte lange Kamerafahrt über eine Flusslandschaft bebildert die Redeweise. Nach Slawa wurde der 1921 geborene und im sowjetischen Exil lebende Kurt Umnitzer (Sylvester Groth), der Sohn aus der ersten Ehe von Wilhelms Frau Charlotte (Hildegard Schmahl), im Jahre 1941 verbannt. Dort lernte er seine zukünftige Frau Irina (Evgenia Dodina) kennen, mit der er im Jahre 1956 nach Ostberlin zurückkehren konnte. Irina hat nicht nur ein schlechtes Verhältnis zu ihrer Schwiegermutter, sondern ertränkt im Alkohol ihren Frust, den ihr die Affären ihres Mannes Kurt bereiten. Ihre eigene Mutter Nadjeshda Iwanowna (Nina Antonowa), die zwar schon lange bei Tochter und Schwiegersohn lebt, aber kaum Deutsch spricht, kann auch nicht viel dagegen tun. Ob Irina zu Wilhelms Geburtstagsfeier hingeht, ist zunächst ungewiss.

Zum Ehrentag des hochdekorierten Genossen, der 1952 aus dem mexikanischen Exil in die DDR zurückkehrte, um das sozialistische Experiment auf deutschem Boden aufzubauen, der aber wegen des ‪„falschen‪‪‪“ Exils nie in die erste Riege der SED-Funktionäre aufsteigen konnte, haben sich Parteigenossen eingefunden. Junge Pioniere bringen ihm ein Ständchen. Die meisten Besucher warten ungeduldig auf den SED-Bezirksvorsitzenden, der dem Genossen eine weitere hohe Auszeichnung überreichen soll. Wilhelm Powileit selbst freut sich allerdings auf die Ankunft seines erwachsenen Enkels Sascha (Alexander Fehling), der den Tisch für das Festessen richten soll. Sascha wird aber nicht kommen. Sein Vater Kurt und seine Frau Melitta (Natalia Belitski) wissen bereits, dass Sascha gerade in den Westen abgehauen ist.

Der Roman- und Filmtitel spielt natürlich auf den Zustand der DDR kurz vor ihrer Auflösung an, was Matti Geschonnecks Spielfilm ‪„In Zeiten des abnehmenden Lichts‪‪‪“ an vielerlei Stellen verdeutlicht. ‪„Das Problem ist, dass das Problem das Problem ist‪‪‪“, wird beispielsweise eine politische Lage umschrieben, die jeder zwar kennt, die aber noch niemand offen anzusprechen wagt. Denn für Wilhelm Powileit ist ‪„jeder, der die Republik verlässt, ein Verräter‪‪‪“. Deshalb komplimentiert er etwa langjährige Bekannte, deren Kinder geflohen sind, unsanft hinaus. Deshalb ignoriert er die Nachrichten von stetig wachsenden Fluchtbewegungen. Der verhärmte alte Mann will die Veränderungen nicht akzeptieren — begeistert ruft er etwa den jungen Pionieren zu: ‪„‪‪‪Seid bereit“. Alle Beteiligten machen gute Miene zum bösen Spiel. Nur die verzweifelte Irina rechnet mit der ganzen Gesellschaft ab.

Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase und Regisseur Matti Geschonneck gelingt es, ihre Figuren leicht zu überzeichnen, ohne sie der Lächerlichkeit preiszugeben. Ebenso finden sie einen Weg, auf die Unzulänglichkeit des sich im Verfall befindlichen, real existierenden Sozialismus hinzuweisen, den Menschen aber, die sich ihm aus Überzeugung verschrieben haben, liebevoll zu begegnen. Parallel zu den Spannungen in der Familie — die Liebe zwischen Wilhelm und Charlotte ist längst in Hass umgeschlagen — werden die Widersprüche in der DDR dargelegt. Die aus westdeutschem großbürgerlichem Hause stammende Charlotte verachtet beispielsweise nicht nur ihre Haushaltshilfe Lisbeth (Gabriela Maria Schmeide), sondern alles Proletarische. Widersprüchlich oder einfach zerrissen ist insbesondere Kurt. ‪„‪‪‪Ohne Dich wäre ich jetzt ein bayerischer Rechtsanwalt“, sagt er beispielsweise zu Wilhelm. Denn wegen Wilhelm verließ Charlotte einst Kurts Vater, einen bayerischen Oberstudienrat. Nun ist Kurt Historiker geworden, ja er gehört zwar offenbar zu den renommiertesten DDR-Historikern. Andererseits ist es das sozialistische Regime gewesen, das ihn wegen einer unüberlegten Äußerung zu einer Gefängnisstrafe und dann zum Exil verurteilte. Obendrein starb sein mit ihm zusammen verhafteter Bruder Werner im Gefängnis. Dennoch ist er gegen die ‪„Republikflucht‪‪‪“ seines Sohnes Sascha, auch wenn er durchaus dafür Verständnis zeigt. Weniger Verständnis hat er allerdings, dass Sascha seine bezaubernde Frau Melitta verlassen hat. Die zu reiner Fassade gewordene Ehe setzt sich in der Familie Powileit-Umnitzer in der dritten Generation fort.

Der Film setzt die Auflösung der Vier-Generationen-Familie parallel zum Untergang der DDR. Das Bild des zusammengebrochenen Ausziehtischs vereint den Verfall der Familie und des Landes. ‪„‪‪‪In Zeiten des abnehmenden Lichts“ bietet eine gelungene neue Sicht auf dieses Kapitel deutscher Geschichte, weil der Film aus der Perspektive einer Familie erzählt, die viel Herzblut in den Aufbau der DDR gesteckt hatte.

*

Filmische Qualität: Vier Sterne (max. fünf Sterne)
Regie: Matti Geschonneck
Darsteller: Bruno Ganz, Sylvester Groth, Hildegard Schmal, Evgenia Dodina, Natalia Belitski, Alexander Fehling, Angela Winkler
Land, Jahr: Deutschland 2017
Laufzeit: 100 Minuten
Genre:
Publikum: ab 12 Jahren
Einschränkungen:

im Kino: 6/2017

Dr. José García, geb. 1958, Magister Artium 1982, promovierte in Mittlerer und Neuerer Geschichte an der Universität Köln 1989. Filmkritiker für verschiedene Zeitungen. Autor der Filmbücher „Träume, Werte und Gefühle. Die wundersame Welt von Film und Kino“ und „Der Himmel über Hollywood. Was große Filme über den Menschen sagen“. Mitglied im Verband der deutschen Filmkritik, Mitarbeit an den Jurys für die Verleihung des „Preises der Deutschen Filmkritik“. José García lebt und arbeitet in Berlin.

(Quelle: textezumfilm)

 

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