Papst Franziskus an Studenten

Papst Franziskus an Studenten: Dialog statt Verrohung

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Unter dem frenetischen Applaus der Anwesenden ist Papst Franziskus an diesem Freitagmorgen gegen 10 Uhr in der römischen Universität Roma Tre eingetroffen. Nach einleitenden Worten des Direktors Mario Panizzi kam die Reihe an vier ausgewählte Studenten: sie durften Papst Franziskus Fragen stellen, die dieser – wie es zu erwarten war – spontan beantwortete. Den vorbereiteten Redetext, in dem eine „wohl reflektierte Antwort“ auf die ihm bereits vorher übermittelten Fragen enthalten sei, könnten die Studenten später lesen, scherzte Franziskus und reichte das Papier weiter. Es liege ihm aber mehr, die Fragen „aus dem Herzen heraus“ zu beantworten.

Auf die Frage von Riccardo (23), wie mit den immer mehr vereinfachten und immer schnelleren Kommunikationswegen wie den Social Media umzugehen sei, antwortete der Papst mit dem Bild der „verflüssigten“ Kommunikation. Es bestehe die Gefahr, dass diese flüssig werde, also ohne Konsistenz. Dem sei eine verstärkte „Konkretheit“ entgegen zu setzen, mahnte er auch mit Blick auf das Wirtschaftssystem. Für Europa hatte er in dieser Hinsicht eine besondere Schelte im Gepäck: Jugendarbeitslosigkeit, so führte Papst Franziskus aus, sei in entwickelten Ländern wie denen Europas schlicht nicht akzeptabel. „Ich werde nicht die Länder nennen, sondern die Zahlen: Ein Land: 40 Prozent der Jugend unter 25 Jahren ohne Arbeit; ein anderes 47 Prozent, ein anderes 50 Prozent, und noch ein anderes fast 60 Prozent! Diese verflüssigte Wirtschaft nimmt der Arbeit ihre Konkretheit und vernichtet die Kultur der Arbeit – weil man nicht arbeiten kann! Die jungen Menschen wissen nicht, was sie tun sollen”, so der Papst unter dem Applaus der Studenten, „und ich als junger Mensch ohne Arbeit, weil ich eben keine finde, vagabundiere umher, werde zwei drei Tage hier ausgenutzt, dann zwei drei Tage dort – und am Ende, die Bitterkeit des Herzens, wohin bringt sie euch? Zu Abhängigkeiten, denn diese haben ihre Wurzel dort, oder zum Selbstmord..” Aber er weist noch auf eine weitere Gefahr des Phänomens hin: „Dieser Mangel an Arbeit bringt mich dazu, mich durch eine terroristische Vereinigung rekrutieren zu lassen, wenigstens habe ich etwas zu tun und gebe meinem Leben einen Sinn: es ist schrecklich! Die ist eine Art der Wirtschaft – ich kenne den technischen Ausdruck nicht, ich nenne sie flüssig. Doch die Wirtschaft müsste konkret sein, und um soziale und wirtschaftliche Probleme zu lösen braucht es Konkretheit. Diese Probleme müssen von der Universität angegangen werden, um Lösungen zu finden“

Es sei ein Irrtum, anzunehmen, dass Globalisierung eine Vereinheitlichung bedeute, antwortete der Papst auf die Frage von Niccolo. Dieser hatte gefragt, was für einen Blick der Papst vom anderen Ende der Welt auf seine Bischofsstadt Rom habe, und ob diese als gemeinsame Heimat angesehen werden könne. Der Begriff der communis patria inspirierte den Papst zu einer Antwort mit einem grösseren Blickwinkel, der die gesamte Weltgemeinschaft ins Auge fasste. Er benutze ungern das Bild einer Kugel, mit dem die Globalisierung oft dargestellt werde, sondern vielmehr einen Polyeder – denn in der Kugel sei jeder Punkt gleich weit vom Zentrum entfernt, während für ihn, auch in einer globalisierten Welt, ein jeder seine Eigenheiten bewahren können müsse – und das werde eher durch das Bild des asymmetrischen Vielecks deutlich. „Ja, eine polyedrische Globalisierung, eine Einheit, aber jede Person, jede Rasse, jedes Land, jede Kultur bewahrt seine eigene Identität. Und das ist die Einheit in der Vielfalt, die die Globalisierung suchen muss. Die Einheit einer Universität funktioniert ähnlich: die Einheit in der Vielfalt.“

Auch die brandaktuelle Flüchtlingsfrage, mit der Europa sich konfrontiert sieht, wurde angesprochen – es war die 31-jährige Syrerin Nour, die Papst Franziskus selbst aus Lesbos mit nach Italien gebracht hatte, die eine Frage danach stellte, wie mit der Angst vor Immigration umgegangen werden könnte. Der Schlüssel, so der Papst sei die Integration der Schutzsuchenden. Er erinnerte aber auch daran, dass Integration nicht nur heisse, Fremde willkommen zu heissen und sie die Sprache und Kultur des Gastlandes lernen zu lassen – es gebe vielmehr zahlreiche Menschen mit Migrationshintergrund, die im Gastland geboren worden seien und dennoch nie richtig integriert wurden: „Ich denke an die jungen Leute, die das Massaker in Belgien angerichtet haben – sie waren in Belgien geboren, aber nicht integriert, sondern ,ghettoisiert´.“ Lobend hob er in diesem Zusammenhang das Beispiel Schwedens hervor, das eine lange Zeit sehr erfolgreiche Integrationsstruktur vorweisen kann: „Viele Schweden sind Kinder von integrierten Immigranten. Am Tag, als ich von Schweden abreiste, wurde ich von einer Ministerin verabschiedet, die Tochter einer Schwedin und eines Immigranten aus Gabun ist, und sie selbst ist Ministerin. Wenn es diese Art der Aufnahme gibt, dann gibt es keine Gefahr bei der Immigration. Das ist meine Antwort auf die Angst.“

Die reicheren Länder müssten sich bei diesem Thema auch verstärkt an die eigene Nase fassen, betonte der Papst mit Blick auf die viel beschworenen „Fluchtursachen“. Denn Armut und Krieg seien oftmals durch skrupellosen Raubbau von deren Ressourcen noch weiter befördert: „Wir selbst gehen normalerweise dorthin, um sie auszunutzen. Ein Premierminister eines afrikanischen Landes hat mir gesagt, dass die erste Arbeit, die seine Regierung unternommen hat, diejenige war, den Wald wieder aufzuforsten. Denn ausländische Firmen waren gekommen und hatten alles abgeholzt. Spielen wir nicht die Mächtigen und gehen dorthin, um Raubbau zu treiben!“

Auf die Frage der 25-jährigen Giulia was denn seiner Ansicht nach die beste Medizin gegen Gewalt sei, antwortete der Papst, dass es viele Heilmittel gebe – doch das erste sei sicherlich das Herz, in Verbindung mit dem Dialog. In diesem Zusammenhang erinnerte er daran, dass Gewalt bereits mit der Sprache beginne, auch das Leben in den Städten heute sei durch latente Gewaltbereitschaft geprägt. Dies äussere sich beispielsweise darin, dass bei einem kleinen Problem auf der Strasse oft erst einmal Geschrei erhoben werde – bevor nach dem wie warum gefragt werde. „Auch die Eile, die Schnelligkeit des Lebens lässt uns zu Hause gewalttätig werden und oft vergessen wir daheim, uns Guten Morgen zu wünschen – ciao ciao und los, anonyme Grüsse…“, so der Papst. „Gewalt ist ein Prozess, der uns stets ein bisschen mehr anonymisiert – also wörtlich, uns unseren Namen nimmt. Und unsere Beziehungen sind immer mehr ein wenig ohne Namen, ich spreche mit einer Person, die einen Namen hat, aber ich grüsse dich, als wärest du eine Sache.“ Dies fange am Familientisch an, betonte der Papst: wenn man nicht mehr miteinander spreche und jeder auf seinem Mobiltelefon herum tippe. Wenn rund um uns keine Dialogkultur mehr gepflegt werde, dann verrohe die Gesellschaft als Ganzes, mahnte der Papst zu einem fruchtbaren und geduldigen Dialog, der den Gesprächspartner ernst nehme und seine Ausführungen respektiere. Der Mangel an Dialog, ob nun im häuslichen oder im öffentlichen Bereich, sei ein Nährboden für Krieg. Der Krieg beginne aber auch mit Gewalt im politischen Diskurs, so der Papst mit Blick auf populistische Tendenzen in Europa und den Rest der Welt. Um das festzustellen, genüge es, eine Zeitung aufzuschlagen und die gegenseitigen Beleidigungen der politischen Kontrahenten Revue passieren zu lassen. „Aber, in einer Gesellschaft, in der die Politik sich derart erniedrigt – ich spreche von der Weltgemeinschaft, nicht von hier, sondern vom grossen Ganzen! – verliert man den Sinn für das soziale Gefüge und das soziale Zusammenleben; und das Zusammenleben geschieht durch Dialog!“ Die Universität sei dazu da, zum Dialog anzuspornen, und auch Nachfragen zuzulassen, um einer Vereinheitlichung des Gedankengutes vorzubeugen. Einen Seitenhieb reservierte er dabei gegen so genannte „Eltiteuniversitäten“ – diese seien oftmals allzu ideologisch geprägt und machten ihre Studenten zu Agenten dieser Ideologie. Doch dies sei keine Universität: „Wo es keinen Dialog und Austausch gibt, wo es kein Zuhören gibt und wo nicht respektiert wird, was der andere denke, wo es keine Freundschaft gibt und wo nicht die Freude an Spiel und Sport herrscht, alles dies, dort ist keine Universität.“

Sein vorbereiteter Redetext könne ja als Quelle der Reflektion dienen, so der Papst, der nach seiner über halbstündigen spontanen Rede unter den Jubelrufen der Studenten das Podium verliess.

rv 17.02.2017 cs

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