Meditation von Papst Franziskus im Wortlaut
Assisi: Meditation von Papst Franziskus im Wortlaut
Quelle
Vatikan: Besuch von Papst Franziskus in Assisi zum Weltgebetstag für den Frieden “Durst nach Frieden. Religionen und Kulturen im Dialog”
Bewegende Momente – Eindrücke aus Assisi
Weltgebetstreffen in Assisi: Meditation von Papst Franziskus in der Unterkirche der Basilika S. Francesco in Assisi, 20. September 2016
Vor dem gekreuzigten Jesus ertönen auch für uns seine Worte: »Mich dürstet« (Joh 19,28). Der Durst ist mehr noch als der Hunger das äusserste Bedürfnis des Menschen, stellt aber auch sein grösstes Elend dar. Betrachten wir so das Geheimnis des allerhöchsten Gottes, der aus Barmherzigkeit arm wurde unter den Menschen.
Wonach dürstet den Herrn? Gewiss nach Wasser, dem Grundelement für das Leben. Aber vor allem nach Liebe, einem Element, das für das Leben nicht minder wesentlich ist. Ihn dürstet danach, uns das lebendige Wasser seiner Liebe zu schenken, aber auch unsere Liebe zu erhalten. Der Prophet Jeremia hat dieses Gefallen Gottes an unserer Liebe so ausgedrückt: »Ich denke an deine Jugendtreue, an die Liebe deiner Brautzeit« (Jer 2,2). Der Prophet hat aber auch dem göttlichen Leiden Ausdruck verliehen, als der Mensch voll Undank die Liebe verlassen, als er – so scheint der Herr es auch heute zu sagen – »[mich] verlassen [hat], den Quell des lebendigen Wassers, um sich Zisternen zu graben, Zisternen mit Rissen, die das Wasser nicht halten« (V. 13). Es handelt sich um das Drama des „verstockten Herzens“, der unerwiderten Liebe. Dieses Drama wiederholt sich im Evangelium, als der Mensch auf den Durst Jesu mit Essig, dem schlecht gewordenen Wein, antwortet. So beklagte auf prophetische Weise der Psalmist: »Für den Durst reichten sie mir Essig« (Ps 69,22).„Die Liebe wird nicht geliebt“:
Nach einigen Erzählungen war dies die Wirklichkeit, die den heiligen Franz von Assisi aufwühlte. Aus Liebe zum leidenden Herrn schämte er sich nicht, zu weinen und mit lauter Stimme Weh zu klagen (vgl. Franziskus-Quellen, S. 620, Nr. 14). Die gleiche Wirklichkeit muss uns am Herzen liegen, wenn wir den gekreuzigten Gott betrachten, den nach Liebe dürstet. Mutter Teresa von Kalkutta wollte, dass in den Kapellen jeder Gemeinschaft neben dem Gekreuzigten die Schrift angebracht wurde: „Mich dürstet“. Ihre Antwort bestand darin, den Durst Jesu am Kreuz nach Liebe durch den Dienst an den Ärmsten der Armen zu stillen. Der Durst des Herrn wird nämlich gestillt durch unsere mitleidende Liebe; er ist getröstet, wenn wir uns in seinem Namen über das Elend der anderen beugen. Im Gericht wird er all jene „gesegnet“ nennen, die den Durstigen zu trinken gaben, die denen in Not konkret Liebe erwiesen haben: »Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan « (Mt 25,40).
Die Worte Jesu sind eine Anfrage an uns, sie verlangen danach, im Herzen aufgenommen und im Leben beantwortet zu werden. In seinem „Mich dürstet“ können wir die Stimme der Leidenden vernehmen, den versteckten Schrei der unschuldigen Kleinen, denen das Licht dieser Welt verwehrt wird, die innige Bitte der Armen und derer, die am meisten des Friedens bedürfen. Um Frieden flehen die Opfer der Kriege, welche die Völker mit Hass und die Erde mit Waffen verschmutzen; um Frieden flehen unsere Brüder und Schwestern, die unter der Drohung von Bombardierungen leben oder gezwungen sind, ihr Zuhause zu verlassen und aller Dinge beraubt ins Unbekannte zu ziehen. Sie alle sind Brüder und Schwestern des Gekreuzigten, die Geringen seines Reiches, verwundete und ausgedorrte Glieder seines Fleisches. Sie sind durstig. Doch oft wird ihnen wie Jesus der bittere Essig der Ablehnung gereicht. Wer hört ihnen zu? Wer kümmert sich darum, ihnen zu antworten? Zu oft begegnen sie dem betäubenden Schweigen der Gleichgültigkeit, dem Egoismus derer, die sich belästigt fühlen, der Kälte derer, die ihren Hilfeschrei mit jener Mühelosigkeit abstellen, mit der sie den Fernsehkanal umschalten.
Vor Christus dem Gekreuzigten, »Gottes Kraft und Gottes Weisheit« (1 Kor 1,24), sind wir Christen gerufen, das Geheimnis der nicht geliebten Liebe zu betrachten und Barmherzigkeit über die Welt auszugiessen. Am Kreuz, dem Baum des Lebens, wurde das Böse in Gutes verwandelt; auch wir, Jünger des Gekreuzigten, sind gerufen, „Bäume des Lebens“ zu sein, welche die Verschmutzung der Gleichgültigkeit absorbieren und der Welt den Sauerstoff der Liebe zurückgeben. Aus der Seite Christi am Kreuz floss Wasser, Symbol des Heiligen Geistes, der Leben schenkt (vgl. Joh 19,34); so soll aus uns, seinen Gläubigen, das Mitleiden mit allen Durstigen von heute fliessen.
Möge der Herr uns gewähren, wie Maria unter dem Kreuz mit ihm vereint und dem nahe zu sein, der leidet. Wenn wir uns denen nähern, die heute als Gekreuzigte leben, und die Kraft zu lieben vom gekreuzigten und auferstandenen Herrn beziehen, werden die Eintracht und die Gemeinschaft unter uns noch mehr wachsen. »Denn er ist unser Friede« (Eph 2,14), er ist gekommen, den Frieden zu verkünden den Nahen und den Fernen (vgl. V. 17). Er bewahre uns alle in der Liebe und führe uns in der Einheit zusammen, damit wir das werden, was er will: »eins« (Joh 17,21).
rv 20.09.2016 cz
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