Predigt von Benedikt XVI.

Eucharistiefeier zur Eröffnung der V. Generalversammlung der Bischöfe von Lateinamerika und der Karibik

Quelle
CELAM
Vatikan/Papst Benedikt XVI.: Apostolische Reise nach Brasilien anlässlich der V. Generalkonferenz des Episkopats von Lateinamerika und der Karibik (9.-14. Mai 2007)

Predigt von Benedikt XVI.

Vorplatz des Nationalheiligtums in Aparecida, VI. Sonntag der Osterzeit, 13. Mai 2007

Liebe Brüder im Bischofsamt,
liebe Priester und ihr alle, Brüder und Schwestern im Herrn!

Es fehlen mir die Worte, um meiner Freude darüber Ausdruck zu verleihen, dass ich hier bei euch bin, um anläßlich der Eröffnung der V. Generalversammlung der Bischöfe Lateinamerikas und der Karibik diese Eucharistiefeier zu zelebrieren.

Ich richte an jeden von euch meinen herzlichsten Gruss, besonders an Erzbischof Raymundo Damasceno Assis, dem ich für die Worte danke, die er im Namen der ganzen Versammlung an mich gerichtet hat, und an Kardinal Francisco Javier Errázuriz Ossa, Präsident des CELAM und Mitvorsitzender dieser Generalversammlung. Ehrerbietig grüsse ich die zivilen und militärischen Autoritäten, die uns durch ihre Anwesenheit beehren. Von diesem Heiligtum aus schliesse ich, erfüllt von Liebe und Gebet, in meine Gedanken alle jene ein, die in geistiger Weise mit uns verbunden sind, besonders die Gemeinschaften geweihten Lebens, die in den Vereinigungen und Bewegungen engagierten Jugendlichen, die Familien sowie die Kranken und Alten. Allen rufe ich zu: »Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus« (1 Kor 1,3).

Ich sehe es als ein besonderes Geschenk der Vorsehung an, dass diese heilige Messe zu dieser Zeit und an diesem Ort gefeiert wird. Wir befinden uns liturgisch in der Osterzeit und feiern den sechsten Sonntag nach Ostern: Pfingsten ist schon nahe, und die Kirche ist eingeladen, die Anrufung des Heiligen Geistes zu intensivieren. Der Ort ist das Nationalheiligtum Unserer Lieben Frau von Aparecida, das marianische Herz Brasiliens: Maria empfängt uns in diesem Abendmahlssaal und hilft uns als Mutter und Lehrerin, ein einmütiges und vertrauensvolles Gebet an Gott zu richten. Diese Liturgiefeier bildet das feste Fundament der V. Generalkonferenz, weil sie ihr das Gebet und die Eucharistie, das Sacramentum caritatis, zugrunde legt. In der Tat, allein die vom Heiligen Geist ausgegossene Liebe Christi kann aus dieser Versammlung ein authentisches kirchliches Ereignis machen, einen Augenblick der Gnade für diesen Kontinent und für die ganze Welt. Heute Nachmittag werde ich die Möglichkeit haben, zum Kern der Inhalte zu kommen, die das Thema eurer Versammlung nahelegt. Jetzt lassen wir dem Wort Gottes Raum, das wir mit Freude nach dem Vorbild Marias, Unserer Lieben Frau von der Unbefleckten Empfängnis, mit offenem und gefügigem Herzen aufnehmen können, damit durch die Kraft des Heiligen Geistes Christus im Heute unserer Geschichte aufs neue »Fleisch annehmen« kann.

Die Erste Lesung, die der Apostelgeschichte entnommen ist, bezieht sich auf das sogenannte »Konzil von Jerusalem«, das sich mit der Frage auseinandersetzte, ob die Heiden, die Christen wurden, zur Einhaltung des mosaischen Gesetzes verpflichtet werden sollten. Der Text überspringt die Diskussion zwischen »den Aposteln und den Ältesten« (Apg 15,4–21) und gibt die abschließende Entscheidung wieder, die in einem Brief niedergeschrieben und zwei Gesandten anvertraut wurde, die den Brief der Gemeinde von Antiochia überbringen sollten (vgl. ebd., 22–29). Dieser Abschnitt aus der Apostelgeschichte ist sehr passend für uns, da auch wir hier zu einer Kirchenversammlung zusammengekommen sind. Der Text erinnert uns an den Sinn der gemeinschaftlichen Unterscheidung angesichts der großen Probleme, denen die Kirche auf ihrem Weg begegnet und die von den »Aposteln« und »Ältesten« geklärt werden durch das Licht des Heiligen Geistes, der, wie das heutige Evangelium sagt, an die Lehre Jesu Christi erinnert (vgl. Joh 14,26) und so der christlichen Gemeinde hilft, sich in Liebe der vollen Wahrheit zu nähern (vgl. Joh 16,13). Die Häupter der Kirche diskutieren und argumentieren, und dies geschieht immer in der Haltung des gottesfürchtigen Hörens auf das Wort Christi im Heiligen Geist. Deshalb können sie am Ende sagen: »Der Heilige Geist und wir haben beschlossen…« (Apg 15,28).

Das ist die »Methode«, mit der wir in der Kirche arbeiten, in den kleinen wie großen Versammlungen. Das ist nicht nur eine Verfahrensfrage; es ist das Spiegelbild der Natur der Kirche selbst, Geheimnis der Gemeinschaft mit Christus im Heiligen Geist. Was die Generalversammlungen der Bischöfe Lateinamerikas und der Karibik angeht, so nutzte die erste Konferenz im Jahr 1955 in Rio de Janeiro einen von Papst Pius XII. seligen Angedenkens eigens übersandten Brief als Arbeitsgrundlage; zu den folgenden Konferenzen bis zur heutigen ist der Bischof von Rom an den Ort der kontinentalen Versammlung gekommen, um deren Anfangsphase zu leiten. In ehrfürchtiger Dankbarkeit denken wir an die Diener Gottes Paul VI. und Johannes Paul II., die den Konferenzen in Medellin, Puebla und Santo Domingo das Zeugnis von der Nähe der Weltkirche zur Kirche in Lateinamerika überbrachten, die, proportional gesehen, den größten Teil der katholischen Gemeinschaft ausmachen.

»Der Heilige Geist und wir.« Das ist die Kirche: Wir, die gläubige Gemeinde, das Volk Gottes mit seinen Hirten, die gerufen sind, sie auf ihrem Weg zu führen; zusammen mit dem Heiligen Geist, Geist des Vaters, im Namen des Sohnes Jesus gesandt, Geist dessen, der »größer« ist als alle und uns durch Christus geschenkt ist, der sich für uns »klein« gemacht hat. Geist – »Paraklet«, »Advocatus«, das heißt Beistand, Verteidiger und Tröster. Er läßt uns in der Gegenwart Gottes leben, im Hören auf sein Wort, frei von Verwirrung und Furcht, mit dem Frieden im Herzen, den Jesus uns hinterlassen hat und den die Welt nicht geben kann (vgl. Joh 14,26–27). Der Geist begleitet die Kirche auf dem langen Weg, der zwischen dem ersten und dem zweiten Kommen Christi liegt: »Ich gehe fort und komme wieder zu euch zurück« (Joh 14,28), sagte Jesus zu den Aposteln. Zwischen dem »Fortgehen« und dem »Wiederkommen« Christi liegt die Zeit der Kirche, die sein Leib ist; das sind die zweitausend Jahre, die bis jetzt vergangen sind; das sind auch die fünfhundert Jahre und mehr, in denen die Kirche in Amerika auf Pilgerschaft ist, in den Gläubigen durch die Sakramente das Leben Christi verbreitet und in diesen Ländern den guten Samen des Evangeliums ausstreut, wo er dreißigfach, sechzigfach und hundertfach Frucht trägt. Zeit der Kirche, Zeit des Geistes: Er ist der Meister, der die Jünger formt: Er entzündet in ihnen die Liebe zu Jesus; er erzieht sie zum Hören auf sein Wort, zur Betrachtung seines Antlitzes; er paßt sie seiner als »selig« bezeichneten Menschheit an: arm im Geist, betrübt, sanftmütig, hungernd nach Gerechtigkeit, barmherzig, mit reinem Herzen, Friedensstifter, verfolgt um der Gerechtigkeit willen (vgl. Mt 5,3–10). So wird Jesus dank des Wirkens des Heiligen Geistes der »Weg«, auf dem der Jünger weitergeht. »Wenn jemand mich liebt, wird er an meinem Wort festhalten«, sagt Jesus am Beginn des heutigen Abschnitts aus dem Evangelium. »Das Wort, das ihr hört, stammt nicht von mir, sondern vom Vater, der mich gesandt hat« (Joh 14,23–24). Wie Jesus die Worte des Vaters weitergibt, so erinnert der Heilige Geist die Kirche an die Worte Christi (vgl. Joh 14,26). Und wie die Liebe zum Vater Jesus dazu brachte, sich von seinem Willen zu nähren, so zeigt sich unsere Liebe zu Jesus im Gehorsam gegenüber seinen Worten. Die Treue Jesu zum Willen des Vaters kann sich den Jüngern dank des Heiligen Geistes mitteilen, der die Liebe Gottes in ihre Herzen ausgießt (vgl. Röm 5,5).

Das Neue Testament zeigt uns Christus als Gesandten, als Missionar des Vaters. Besonders im Johannesevangelium spricht Jesus von sich oft in Beziehung zum Vater, der ihn in die Welt gesandt hat. So sagt Jesus auch im heutigen Text: »Das Wort, das ihr hört, stammt nicht von mir, sondern vom Vater, der mich gesandt hat« (Joh 14,24). In diesem Augenblick, liebe Freunde, sind wir eingeladen, den Blick fest auf ihn zu richten, weil die Sendung der Kirche nur darin besteht, Fortführung der Mission Christi zu sein: »Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch« (Joh 20,21). Und der Evangelist hebt auch bildlich hervor, daß diese Übertragung des Auftrags im Heiligen Geist geschieht: »Er hauchte sie an und sprach zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist…« (Joh 20,22). Die Sendung Christi hat sich in der Liebe erfüllt. Er hat in der Welt das Feuer der Liebe Gottes entzündet (vgl. Lk 12,49). Die Liebe schenkt das Leben: Deshalb ist die Kirche gesandt, die Liebe Christi in der Welt zu verbreiten, damit die Menschen und die Völker »das Leben haben und es in Fülle haben« (Joh 10,10). Auch euch, die ihr die Kirche in Lateinamerika vertretet, kann ich voll Freude auf ideelle Weise meine Enzyklika Deus caritas est nochmals anvertrauen, mit der ich alle auf das hinweisen wollte, was an der christlichen Botschaft wesentlich ist. Die Kirche fühlt sich als Jüngerin und Missionarin dieser Liebe: Missionarin nur insofern, als sie auch Jüngerin ist, das heißt fähig, sich stets mit erneuertem Staunen von Gott anziehen zu lassen, der uns zuerst geliebt hat und uns zuerst liebt (vgl. 1 Joh 4,10). Die Kirche betreibt keinen Proselytismus. Sie entwickelt sich vielmehr durch »Anziehung«: Wie Christus mit der Kraft seiner Liebe, die im Opfer am Kreuz gipfelt, »alle an sich zieht«, so erfüllt die Kirche ihre Sendung in dem Maß, in dem sie, mit Christus vereint, jedes Werk in geistlicher und konkreter Übereinstimmung mit der Liebe ihres Herrn erfüllt.

Liebe Brüder! Das ist der unermeßliche Schatz, an dem der lateinamerikanische Kontinent so reich ist, das ist sein kostbarstes Erbe: der Glaube an Gott, der die Liebe ist, der in Christus Jesus sein Antlitz enthüllt hat. Ihr glaubt an Gott, der die Liebe ist: Das ist eure Stärke, die die Welt besiegt, die Freude, die euch nichts und niemand je nehmen kann, der Friede, den Christus durch sein Kreuz für euch errungen hat! Dieser Glaube hat aus Amerika den »Kontinent der Hoffnung« gemacht. Keine politische Ideologie, keine soziale Bewegung, kein Wirtschaftssystem, sondern der Glaube an den Gott, der Liebe ist, Mensch geworden, gestorben und auferstanden in Jesus Christus, ist das authentische Fundament dieser Hoffnung, der von der Zeit der Evangelisierung bis heute so viele großartige Früchte getragen hat, wie die Schar der Heiligen und Seligen beweist, die der Heilige Geist in jedem Teil des Kontinents hervorgebracht hat. Papst Johannes Paul II. hat euch zu einer Neuevangelisierung aufgerufen, und ihr habt seinen Auftrag mit der Großzügigkeit und dem Einsatz angenommen, die für euch typisch sind. Ich bestätige euch das und fordere euch mit den Worten dieser V. Generalversammlung auf: Seid gläubige Jünger, um mutige und überzeugende Missionare zu sein.

Die Zweite Lesung hat uns die wunderbare Vision des himmlischen Jerusalem vor Augen geführt. Es ist ein Bild von strahlender Schönheit, an der nichts dekorativ ist, sondern alles zur vollkommenen Harmonie der Heiligen Stadt beiträgt. Der Seher Johannes schreibt, daß sie »von Gott her aus dem Himmel herabkam, erfüllt von der Herrlichkeit Gottes« (Offb 21,10–11). Aber die Herrlichkeit Gottes ist die Liebe; deshalb ist das himmlische Jerusalem Bild der Kirche, ganz heilig und herrlich, ohne Flecken und Falten (vgl. Eph 5,27), die in ihrer Mitte und in allen ihren Teilen von der Gegenwart Gottes, der die Liebe ist, erstrahlt. Sie wird »Braut« genannt, »Braut des Lammes« (Apg 21,9), weil sich in ihr das Bild vom Hochzeitsmahl erfüllt, das von Anfang bis Ende die biblische Offenbarung durchzieht. Die Stadt als Braut ist Heimat der vollen Gemeinschaft Gottes mit den Menschen; in ihr braucht man keinen Tempel noch eine äußere Lichtquelle, weil die Gegenwart Gottes und des Lammes ihr innewohnt und sie von innen her erleuchtet.

Dieses wunderbare Bild hat eine eschatologische Bedeutung: Es drückt das Geheimnis der Schönheit aus, die schon jetzt die Gestalt der Kirche ausmacht, auch wenn sie noch nicht zu ihrer Fülle gelangt ist. Sie ist das Ziel unserer Pilgerschaft, die Heimat die uns erwartet und nach der wir uns verzehren. Sie mit den Augen des Glaubens zu sehen, zu betrachten und zu ersehnen darf nicht Grund für eine Flucht aus der geschichtlichen Wirklichkeit sein, in der die Kirche lebt und Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der heutigen Menschheit, besonders der Ärmsten und Bedürftigsten teilt (vgl. II. Vat. Konzil, Konstitution Gaudium et spes, 1). Wenn die Schönheit des himmlischen Jerusalem die Herrlichkeit Gottes, also seine Liebe, ist, dann können wir uns ihr nur in der Liebe nähern und in einem bestimmten Maß bereits in ihr leben. Wer den Herrn Jesus liebt und sein Wort befolgt, erfährt schon in dieser Welt die geheimnisvolle Gegenwart des dreieinigen Gottes, wie wir im Evangelium gehört haben: »Wir werden zu ihm kommen und bei ihm wohnen« (Joh 14,23). Jeder Christ ist deshalb gerufen, lebendiger Stein dieser wunderbaren »Wohnung Gottes unter den Menschen« zu werden. Was für eine großartige Berufung!

Eine Kirche, die ganz von der Liebe Christi, des aus Liebe geopferten Lammes, beseelt und bewegt ist, ist das historische Bild des himmlischen Jerusalem, Vorwegnahme der Heiligen Stadt, die von der Herrlichkeit Gottes erstrahlt. Sie strömt eine unwiderstehliche missionarische Kraft aus, die die Kraft der Heiligkeit ist. Die Jungfrau Maria erwirke für die Kirche in Lateinamerika und in der Karibik, daß sie reichlich mit der Kraft aus der Höhe erfüllt werde (vgl. Lk 24,49), um auf dem Kontinent und in der ganzen Welt die Heiligkeit Christi auszustrahlen. Ihm sei Ehre, mit dem Vater und dem Heiligen Geist, in alle Ewigkeit. Amen.

© Copyright 2007 – Libreria Editrice Vaticana

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