Christophobie
Im “Westen von Wien”…
…wächst die Feindschaft gegenüber der katholischen Religion.
Vatican Magazin, 8-9/2012, von Martin Kugler
Von Grossbritannien aus verbreitet sich ein teils subtiles, teils offenkundiges Klima der Diskriminierung der Christen und Intoleranz gegenüber ihrem praktizierten Glauben.
Vor wenigen Monaten hat Roger Trigg, ein führender britischer Philosoph und Professor am Kellogg College in Oxford, vor der Tendenz der Gerichte seines Landes gewarnt, der Gleichbehandlung gegenüber der Religionsfreiheit Priorität einzuräumen (“to prioritise equality above religion, thereby undermining religious freedom”). Das Wort “equality” meint hier – ganz im Gegensatz zum klassischen Sprachgebrauch seit der Antike, dass Gleiches gleich zu behandeln sei – eine allumfassende Gleichbehandlung, ein Scheren über einen Kamm, das auch objektiv Ungleiches “gleichstellt.
Was George Orwells Bonmot noch witzig karikierend gemeint hatte, wird hier von der Realität überholt: “All animals are equal but some animals are more equal than others” – dieser Satz aus der “Animal Farm”, der ein kommunistisches Regime und die Einstellung seiner “Bonzen” beschreibt, wird heute wörtlich wahr: Was nicht gleich ist, wird von Rechts wegen als gleich definiert. Orwell meinte als guter Beobachter noch, dass unter dem Mantel der Gleichheit Privilegien – also Ungleichheiten – zugeteilt werden. Heute führt der ständige Ruf nach Nicht- und sogar Antidiskriminierung dazu, dass Ungleiches gleich behandelt und damit ungerecht behandelt wird. Dass es dabei oft um die so genannte sexuelle Orientierung geht, macht die Sache noch heikler: Die Hemmungen sind bei diesem Thema gross, den Dingen wirklich auf den Grunde zu gehen. Für Christen bringt diese Entwicklung eine Gefährdung einiger ihrer Grundrechte mit sich, sofern sie das Evangelium und ihren Glauben ernst nehmen und nicht nur für sich behalten. Gepaart mit einem zunehmend illiberalen Meinungsklima (der BBC etwa wurde in den vergangenen Jahren mehrfach eine „offenkundig antichristliche Parteilichkeit“ in ihrer Berichterstattung vorgeworfen) verbreitet sich von Grossbritannien aus eine teils subtile, teils offenkundige Welle der Benachteiligung von Christen. Das Problem liegt aber auch in der Passivität auf christlicher Seite: Gibt es wirklich Einschränkungen der Religionsfreiheit in Europa? Da mögen politisch Interessierte jetzt vielleicht an das Kölner „Beschneidungsurteil“ denken – aber doch nicht an die Rechte von Christen. Für viele Zeitgenossen erscheint diese Sorge viel eher paranoid als real. Dennoch hat es nichts mit Selbstmitleid oder Sehnsucht nach einer Opferrolle zu tun, wenn sich Menschenrechtsexperten in Europa zunehmend dieses Themas annehmen. Es mag im Vergleich zu den Verfolgungen in Nigeria, Pakistan oder dem Irak harmlos erscheinen, wenn noch bis vor kurzem eine sozialistische Regierung in Spanien katholischen Eltern verweigerte, ihre Kinder von einem neuen Unterrichtsfach abzumelden, das Kinder zu „guten, werte-freien Staatsbürgern“ machen wollte (55.000 Erziehungsberechtigte prozessierten deshalb aus Gewissensgründen gegen den Staat). Oder wenn der anglikanische Bischof Anthony Priddis zu einer Strafe von über sechzigtausend Euro und zur Absolvierung eines „equal opportunities training“ verurteilt wurde, weil er einen homosexuellen Bewerber für eine Stelle in der Jugendseelsorge – übrigens auf sehr sachliche Weise – abwies. Es mag harmlos erscheinen, aber niemand Geringerer als Benedikt XVI. zog in seiner Botschaft zum Weltfriedenstag 2011 eine Parallele, wenn er von der Bedrohung der Religionsfreiheit als zentralem politischen Problem sprach: „Mit der gleichen Entschiedenheit, mit der alle Formen von Fanatismus und religiösem Fundamentalismus verurteilt werden, muss auch allen Formen von Religionsfeindlichkeit, die die öffentliche Rolle der Gläubigen im zivilen und politischen Leben begrenzen, entgegengetreten werden“, erklärte der Papst. So gibt es etwa in einigen europäischen Ländern Einschränkungen der Redefreiheit durch so genannte Hassredebestimmungen, die weit über den gemeinhin als strafbar verstandenen Aufruf zur Gewalt angewendet werden. Die Bestrafung von unliebsamen Meinungsäusserungen führt de facto zu einem Recht, „nicht hören zu müssen“, das es jedoch in unserer freiheitlichen Rechtsordnung nie gegeben hat und sinnvoller Weise auch nicht geben kann. Einige europäische Länder gewähren staatliche Förderungen für Vereine nur dann, wenn diese bestimmten „Ethikauflagen“ entsprechen. Wo diese für Christen nicht tragbar sind – wie zum Beispiel Gender Mainstreaming in Polen oder die Förderung jedweder sexuellen Orientierung in Frankreich und England, entsteht eine Diskriminierung unter dem Label politischer Korrektheit. Religiosität – vor allem die von Christen gelebte Religiosität, die über eine harmlose, kulturell verbrämte Gesinnung hinausgeht – wird in den europäischen Debatten immer mehr als etwas Bedenkliches angesehen. Unter den nur scheinbar liberalen Eliten ist eine von Ignoranz getriebene Feindseligkeit gegenüber dem Glauben weit verbreitet. Die Meinungsmache dieses kulturell dominanten Milieus läuft Gefahr, die „wertfreie Neutralität“ der Gesellschaft so zu färben, dass sie nicht nur „langweilig und verletzlich, sondern durchaus freiheitsfeindlich“ wird, wie es der geistreiche schottische Dirigent James MacMillan beobachtete. Doch woher kommt diese Stigmatisierung der christlichen Mehrheitsreligion als „Problem“? Joseph Weiler, der berühmte jüdische Professor für Völkerrecht an der New York University, meinte schon vor Jahren: „Der europäische Laizismus ist – ganz im Gegensatz zum amerikanischen Säkularismus – nicht einfach nur ein ‚Ich glaube nicht an Gott’, sondern eine Art Glaube für sich. Es handelt sich um eine aktive Feindseligkeit gegenüber der Religion, im Fall Europas gegenüber dem Christentum.“ Weiler weist darauf hin, dass ein Verbot des Anbringens von Kreuzen im öffentlichen Raum keineswegs ein Zeichen der Neutralität des Staates sei. Es sei eine klare Parteinahme zugunsten einer agnostischen Weltsicht. Auch eine weisse Wand im Gericht oder Krankenhaus ist ein Symbol – und mehr noch, wenn sie vorher jahrhundertelang ein Kreuz geschmückt hat. Aber es geht inzwischen in mehreren europäischen Staaten nicht nur um die Präsenz religiöser Symbole und Traditionen, sondern um handfeste rechtliche Probleme. Im „Westen von Wien“ (so nennen die OSZE-Diplomaten die Staaten Nord- und Westeuropas beziehungsweise die Vereinigten Staaten und Kanada) erleben Christen immer öfter Einschränkungen – vor allem in den Bereichen Gewissensfreiheit und Religionsfreiheit. Bei ersterer geht es – vor allem im medizinischen Bereich – um die Freiheit, an bestimmten Handlungen nicht mitwirken zu müssen, weil diese naturrechtlich und religiös abzulehnen sind. Hier herrscht im Namen der „Liberalität“ in einigen Staaten ein Regime der Intoleranz. Aber auch Standesbeamte sollten frei sein, zivile „Verpartnerungen“ nicht vornehmen zu müssen, eben weil sie keine Eheschliessungen sind. Im niederländischen Parlament wird noch in diesem Jahr über dieses Recht abgestimmt. Krankenhäuser oder auch Apotheker müssen frei sein, gewisse „Leistungen“ oder Produkte nicht anzubieten. In vielen Ländern ist dies jedoch illegal: Österreichische Apotheker haben sich damit abgefunden, die Abtreibungspille zu verkaufen. Französische Medizinstudenten haben praktisch keine Möglichkeit, ihr Studium abzuschliessen, ohne an einer Abtreibung mitzuwirken. Eine schottische Hebamme wurde kürzlich standesrechtlich dazu gezwungen, auch die Abtreibungsstation zu beaufsichtigen. Auch beim Thema Religionsfreiheit geht es häufig um sehr sensible Materien. In Irland wird gerade ein Gesetzesentwurf diskutiert, der Priester dazu zwingen würde, der Polizei strafrechtlich relevante Beichten zu melden. Im Bereich der Elternrechte sind es meist Christen, deren Freiheit bedroht ist. Die Erziehung und Bildung der Kinder wird gemeinhin als erstes Recht der Eltern verstanden. Wenn Teile der staatlichen Schulbildung den Überzeugungen der Eltern diametral widersprechen, muss es Alternativen geben. So sollte die Nicht-Teilnahme an staatlich verordneter Sexualerziehung möglich sein. Ebenso müsste auch die Option des so genannten Heimunterrichts bestehen. Dies hat der Heilige Stuhl kürzlich in einem Statement bei den Vereinten Nationen festgehalten. Beides ist in Deutschland nicht möglich und wird drakonisch geahndet. Diese Gesetze gelten zwar natürlich für alle Bürger, betreffen aber insbesondere christliche Eltern, die aufgrund ihres Glaubens zum Beispiel die Inhalte der verpflichtenden Sexualerziehung nicht mittragen können. Angesichts dieser Phänomene wünschte sich der bereits zitierte Musiker James MacMillan einmal von seinen christlichen Mitbürgern, „gegenüber den Mächtigen kraftvoll die Wahrheit auszusprechen und ihre Einsicht und Kreativität durch das souveräne Verständnis ihrer Traditionen und ihres Glaubens auszudrücken.“ Eine solche authentische Antwort wäre also nicht von Selbstmitleid oder Verbitterung gekennzeichnet, sondern von einem selbstbewussten Eintreten für die eigenen Überzeugungen und Rechte – wider alle Weltflucht und Hoffnungslosigkeit. Viele Christen in Europa scheinen nicht zu wissen, dass es sich bei alldem nicht um Verteidigung von Privilegien, sondern um eine Tat der Nächstenliebe handelt: Vor allem dann, wenn sie sich öffentlich für christliche, im Grunde naturrechtliche Positionen einsetzen. Denn diese Positionen schützen immer alle Menschen und vorwiegend die Schwachen. Zudem drängt das Christentum seiner Natur gemäss nach aussen – es kann sich niemals als Privatsache abtun oder ins Ghetto sperren lassen! Von unseren Geschwistern, die in anderen Regionen der Welt unter blutiger Verfolgung leiden und dennoch für ihren Glauben einstehen, könnten wir hier viel lernen. Und wir würden ihnen auch dadurch helfen, dass wir bei den subtiler auftretenden Gefahren vor unserer Haustüre nicht wegsehen und so die Glaubwürdigkeit Europas als Menschenrechtsmacht gegenüber islamischen Staaten verbessern. Blickt man auf die geistige Landschaft der Gegenwart, auf Film und Literatur, generell auf die zeitgenössische Kunst, so erscheinen diese Themen inexistent. Bei vielen Debatten fehlt irgendwie der Zwischenruf, der auf das „Hier und heute“ hinweist und die Perspektive verändert. Man erinnert sich dann an Hannah Arendt, die vor etwa fünfzig Jahren schrieb: „Die grösste Gefahr bei der Anerkennung des Totalitarismus als Fluch des Jahrhunderts liegt in einer zwanghaften Beschäftigung damit, die so weit gehen kann, dass wir für zahlreiche kleine und weniger kleine Übel blind werden, mit denen der Weg zur Hölle gepflastert ist.“
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