Papst ermutigt Flüchtlinge auf Lesbos
Papst ermutigt Flüchtlinge auf Lesbos: eine erschütternde Begegnung UPDATE
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Papst beendet Lesbos-Reise
Fliegende Pressekonferenz des Papstes
In einem grossen weissen Zelt auf Lesbos ist Papst Franziskus mehreren hundert Flüchtlingen begegnet, die, meist aus Syrien stammend, in Griechenland einer ungewissen Zukunft entgegensehen. Der Papst, begleitet vom Patriarchen Bartholomaios I. und vom orthodoxen Erzbischof Hieronymus II. von Athen und ganz Griechenland, schritt im Lager Moria durch die Reihen der Flüchtlinge, mindestens die Hälfte von ihnen Frauen und Kinder. Er hörte, teils über mehrere Übersetzer hinweg, kurze, dramatische Erzählungen und eine Menge Hilferufe. Der Papst reagierte darauf in seiner Rede.
„Ihr seid nicht allein”
„Liebe Brüder und Schwestern”, wandte er sich auf Italienisch und ins Englische übersetzt an die Flüchtlinge, „ich wollte heute bei euch sein.
Ich möchte euch sagen, dass ihr nicht alleine seid.“ Im Redetext stand eigentlich „liebe Freunde”, doch Franziskus wandelte die Anrede hörbar spontan ab. Er sprach den Schmerz und die Opfer der Menschen an, ihre Zukunftshoffnung. Er sei mit dem orthodoxen Erzbischof und dem Patriarchen gekommen, um die Aufmerksamkeit der Welt auf ihre, die Lage der Flüchtlinge zu lenken und „ihre Lösung zu erflehen. Als Männer des Glaubens möchten wir unsere Stimmen vereinen und offen in eurem Namen sprechen. Wir hoffen, dass die Welt diese Situationen tragischer und wirklich verzweifelter Not beachtet und in einer Weise reagiert, die unserem gemeinsamen Menschsein würdig ist”, so der Papst. Und er fasste die Menschen in einer verbalen Umarmung zusammen: „Gott hat die Menschheit so erschaffen, dass sie eine einzige Familie bilden sollte; wenn irgendeiner unserer Brüder und Schwestern leidet, sind wir alle betroffen.“ Krisen könnten aber auch das Beste im Menschen zutage fördern: das sei gerade im griechischen Volk zu sehen, lobte Franziskus, „das inmitten seiner eigenen Schwierigkeiten grossherzig auf eure Not reagiert hat“.
„Dies ist die Nachricht, die ich euch heute hinterlassen möchte: Verliert die Hoffnung nicht!“, rief der Papst den Flüchtlingen zu. Und er regte sie an zu gegenseitiger Ermutigung in kleinen Gesten. Das grösste Geschenk, das sie einander machen könnten, sei die Liebe: „ein barmherziger Blick, eine Bereitschaft zuzuhören und zu verstehen, ein Wort der Ermutigung, ein Gebet. Mögt ihr dieses Geschenk miteinander teilen!“
Vor den fast zur Gänze muslimischen Flüchtlingen erzählte er die „Geschichte vom barmherzigen Samariter“. Für Christen sei das „ein Gleichnis von Gottes Erbarmen, das allen gilt, denn Gott ist der Allbarmherzige“. Und er formulierte diese implizite Aufforderung, „dieselbe Barmherzigkeit denen zu erweisen, die in Not sind“, als gesellschaftliche Aufforderung an ganz Europa: „Möchten doch alle unsere Brüder und Schwestern auf diesem Kontinent wie der barmherzige Samariter euch zu Hilfe kommen, in jenem Geist der Brüderlichkeit, der Solidarität und der Achtung gegenüber der Menschenwürde, der Europas lange Geschichte gekennzeichnet hat!“
Erschütternde Begegnungen für Papst Franziskus
Der Besuch im Flüchtlingslager auf der Ägäis-Insel nahe der Türkei war ausserordentlich emotional. Franziskus selbst sagte abgesehen von der Rede wenig, er hörte den Menschen zu, küsste und streichelte Kinder. Viele von ihnen schenkten ihm Zeichnungen, auf denen die Buben und Mädchen ihre Überfahrt übers Meer gemalt hatten. Die wolle er alle mitnehmen und den Journalisten im Flugzeug zeigen, bekundete der Papst.
Und er taucht richtiggehend ein in diese Begegnungen. Frauen mit Kopftüchern bitten ihn um Ärzte, sagen, sie wollen nach Deutschland oder nach Kanada, „bitte hilf uns”, fleht ihn ein kleines Mädchen an, fällt ihm zu Füssen und weint herzerschütternd, zusammengekrümmt auf seine Schuhe. Einige andere knien sich vor ihm hin und bitten um einen Segen. „Sagt mir was ich tun soll, und ich werde es probieren”, heisst er seinen Übersetzer sagen. „Meine Mädchen haben ihren Vater seit zwei Jahren nicht gesehen, er ist in Deutschland”, klagt eine Frau mit hellem Kopftuch. Franziskus liebkost ein zwei Wochen altes Baby, das an der türkischen Küste kurz vor der Abfahrt nach Lesbos zur Welt gekommen ist. Ein irakisches Kind hat Krebs im Bein, braucht dringend eine Behandlung. Draussen, nahe am Zaun, der das Lager umgibt, eine weitere weinende Syrerin, ihr Klagen durchschneidet die Frühlingsluft, als sie dem Papst zu Füssen fällt. Sie trägt ein silberglänzendes Kreuz um den Hals, der Papst wirkt erschüttert, als ein Helfer die junge Frau wieder aufrichtet.
In einem anderen Zelt singt ein Kinderchor hingebungsvoll für den Papst und die ganze Besuchsdelegation, ein freudigerer Ton hält Einzug in die ganze Begegnung, ein Gruppenbild entsteht. Ein alter Mann im Rollstuhl fasst in ein paar Sätzen sein Schicksal zusammen. Manchmal übersetzt Bartholomaios dem Papst. Alles wirkt improvisiert, doch das ist nicht die Schuld des neuen Reisemarschalls Mauricio Rueda Beltz auf seiner allerersten Bewährungsprobe, sondern einer doppelt improvisierten Situation geschuldet: dies ist ein Flüchtlingslager, entstanden als Antwort auf eine unvorhergesehene Notlage; und der Papst beschloss erst vor wenigen Tagen, hierher zu kommen.
Ökumenische Erklärung für die Flüchtlinge
Im Anschluss an ihre jeweiligen Reden unterschrieben der Papst, Patriarch Bartholomaios und der orthodoxen Erzbischof von Athen und ganz Griechenland eine gemeinsame Erklärung, in der sie die Tragödie der Flüchtlinge als „Krise der Menschheit” bezeichnen und die internationale Politik beschwören, „den Schutz menschlichen Lebens zur Priorität zu erheben” und „sichere Umsiedlungsverfahren” zu entwickeln. Hier die Kernsätze der ökumenischen Erklärung.
Nach der Begegnung in Moria nahm der Papst das Mittagessen mit seinen beiden orthodoxen Begleitern und mit einigen Flüchtlingen ein. Am Nachmittag wollte er weiter zum Hafen von Lesbos.
rv 16.04.2016 gs
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