Unruhe im Südwesten um Schulpolitik und Sexualpädagogik

Zwei Wochen vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg demonstrierte die “Demo für Alle” in Stuttgart

Schöpfung Augst 2014Von Sebastian Krockenberger

Die Tagespost, 29. Februar 2016

Am Sonntag demonstrierte wieder die „Demo für Alle“ in Stuttgart, der Landeshauptstadt von Baden-Württemberg. Zwei Wochen vor der Landtagswahl am 13. März 2016 wurde die geplante „heimliche“ Inkraftsetzung des Bildungsplans am Tag vor der Landtagswahl scharf kritisiert. Rund 4 500 Teilnehmer kamen nach übereinstimmenden Angaben von Veranstalter und Polizei auf den Schillerplatz. Zum Vergleich: der Politische Aschermittwoch der Landes-CDU brachte lediglich 2 000 Menschen auf die Beine. Damit war die Demonstration wahrscheinlich die bisher grösste Veranstaltung im Landtagswahlkampf von Baden-Württemberg.

Bereits im Vorfeld hatte die Petitionsinitiative Zukunft-Verantwortung-Lernen e. V. um Gabriel Stängle, der die Petition wegen der Überbetonung von Sexualität im Bildungsplan auf den Weg gebracht hatte, berichtet, dass das Kultusministerium eine lautlose Verabschiedung des Bildungsplanes per Ministererlass einen Tag vor der Landtagswahl plane. Ulrike Schaude-Eckert, Mutter von vier Kindern und Vertreterin der Initiative, erklärte deshalb bei ihrer Rede auf der Demo für Alle: „Die Politik des Gehört-Werdens ist eine grosse Illusion geblieben.“ Nachbesserungsbedarf soll nach wie vor bestehen. Für den Islamunterricht sei zum Beispiel folgende Kompetenz vorgesehen: „Schülerinnen und Schüler erläutern gewissenhaft ihre eigenen und fremden Vorurteile gegenüber dem Christentum und dem Judentum.“

Der jetzt bereits gültige Bildungsplan für behinderte Kinder an Regelschulen sei ein „böses Omen“ für das, was mit dem neuen Bildungsplan kommen wird. „Sexualität ist wesentliches Merkmal und wichtiger Faktor in der Persönlichkeitsentwicklung“, steht dort. „Der Unterricht regt dazu an, sich mit körperlichen Veränderungen und Entwicklungen sowie den eigenen sexuellen Bedürfnissen auseinanderzusetzen und den Umgang mit der Ausprägung der individuellen sexuellen Orientierung verantwortungsbewusst und kreativ zu gestalten.“

Schulen und Internate sollen angeblich der Ort sein, wo behinderte Kinder ihr Sexualleben entwickeln, „da aufgrund fehlender Freizeitkontakte sexuelle Erfahrungen häufig in die Schule und gegebenenfalls in das Internat verlagert werden.“ Das sind tatsächlich Zitate aus einem Bildungsplan. 34-mal erscheinen Wörter mit dem Wortbestandteil „sex“ im PDF-Dokument. „Wir sind ausgetrickst und über den Tisch gezogen worden“, erklärte Schaude-Eckert. Sie fordert deshalb, den Bildungsplan vor der Inkraftsetzung den Bürgern zu präsentieren. Und im Landtag wirft Kultusminister Andreas Stoch (SPD) Nebelkerzen.

Laut dem Landtagsabgeordneten Ulrich Müller (CDU) versicherte Stoch im Dezember 2015 im Bildungsausschuss des Landtags, „dass der Aktionsplan der Landesregierung zur Erhöhung von Toleranz und Akzeptanz von sexueller Vielfalt an den Schulen des Landes keine Rolle spielen werde“ und „dass Aussagen und Schriften der Deutschen Gesellschaft für Sexualpädagogik im Unterricht an den Schulen des Landes keine Rolle spielen werden“. Doch, was im Bildungsplan für inklusiv beschulte Behinderte steht, hört sich ziemlich nach dem an, was durch die Gesellschaft für Sexualpädagogik verbreitet wird. Und was den Aktionsplan „Für Akzeptanz & gleiche Rechte Baden-Württemberg“ betrifft, so hat Stoch im Kabinett diesen selbst mitbeschlossen. Die „Verankerung der geschlechtlichen Identität und sexuellen Orientierung (LSBTTIQ) in den Bildungsplänen der allgemein bildenden Schulen als Teilaspekt der Leitperspektive ,Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt‘ einschliesslich der Weiterbildung der Lehrkräfte zu den neuen Bildungsplänen“ ist Ziel des Aktionsplanes.

Im Sitzungsbericht des Bildungsausschusses vom Dezember 2015, den die grüne Landtagsabgeordnete Sandra Boser zu verantworten hat, wird dann auch nicht in der angebrachten Deutlichkeit dokumentiert, dass Stoch sich vom Aktionsplan und der Gesellschaft für Sexualpädagogik distanziert hat. Landtagsabgeordneter Müller hat deshalb die Landesregierung per parlamentarische Anfrage um Klärung gebeten.

Bei soviel Verwirrung, Nebel und Heimlichkeit wird verständlich, was Weihbischof Andreas Laun aus Salzburg bei seiner Rede auf der Demo für Alle berichtete. Als er bei Gelegenheit Papst Franziskus nach seiner Meinung über das Prinzip „Gender“ fragte, sagte dieser nur das Wort „Dämonisch!“

Der Begriff „Gender“ meint, dass unser Geschlecht darin besteht, wie wir mit anderen Menschen zusammenleben. Wir hätten eine sexuelle Identität, die wir mit unserem Willen gestalten könnten. Die Tatsache, dass der Mensch als Mann und Frau geschaffen ist, fällt dabei unter den Tisch. Geschlecht ist nach dem Gender-Prinzip beliebig veränderbar.

Angesichts solch tiefer Eingriffe in das Leben der Menschen bezeichnete Hartmut Steeb, Generalsekretär der Evangelischen Allianz, die Vorhaben der grün-roten Landesregierung als „gottlose Kulturrevolution von oben“. Er forderte eine „Entgiftung des Bildungsplans“ von Sonderinteressen einzelner Lobbys. Eine „Bildungsoffensive für Ehe und Familie“ sei notwendig. „Jungen müssen dafür vorbereitet werden, dass sie später Väter sind.“ Mädchen darauf, dass sie Mütter sind.

Dass die Demo für Alle Teil einer europäischen Bewegung ist, zeigte der Auftritt von Albéric Dumont, Vize-Präsident der Demo für Alle in Frankreich. In Frankreich haben Millionen Menschen für diese Bewegung demonstriert. Vor kurzem seien in Italien zwei Millionen auf die Strasse gegangen, um gegen die Zerstörung der Familie zu protestieren. Dumont rief zur Unterstützung für die Europäische Bürgerinitiative „Mom, Dad and Kids“ auf. Eine Million Unterschriften sollen gesammelt werden, um die Europäische Union aufzufordern, Familie als Verbindung von Vater, Mutter und Kind zu definieren.

Die zehnfache Mutter Ingrid Kuhs verwies auf die Landesverfassung. „Die Jugend ist in Ehrfurcht vor Gott, im Geiste der christlichen Nächstenliebe, zur Brüderlichkeit aller Menschen und zur Friedensliebe, in der Liebe zu Volk und Heimat, zu sittlicher und politischer Verantwortlichkeit, zu beruflicher und sozialer Bewährung und zu freiheitlicher demokratischer Gesinnung zu erziehen“, heisst es dort. Sie forderte, dass der Erziehungs- und Bildungsauftrag der Landesverfassung ernst genommen wird.

Bei der Demo für Alle im Oktober 2015 sprach bereits Marcel von der Bruderschaft des Weges. Diese Gemeinschaft von Männern, „in deren Leben gleichgeschlechtliche Empfindungen eine Rolle gespielt haben oder spielen“, lebt aus Ehrfurcht vor Gott bewusst keusch. Der Sozialarbeiter berichtete von Hass und Häme im Internet nach seinem Auftritt. Marcel verwies darauf, dass Sexualität oft genutzt werde, um mangelnden Selbstwert zu festigen. Doch Sexualität und Bindung gehörten zusammen. Kinder bräuchten deshalb zunächst gelingende Bindungen zu Vater und Mutter, um dann altersgerecht ihre erwachenden sexuellen und erotischen Empfindungen verstehen zu können.

Birgit Kelle, Journalistin, Buchautorin und Mutter, sagte, dass sie auf der Demo für Alle spräche, „weil ich als Mutter das Recht habe, meine Kinder so zu erziehen, wie ich es für richtig halte.“ Sie rief zur Abwahl des „rot-grünen Spucks“ bei der Landtagswahl in zwei Wochen auf.

Im Vorfeld hatte die Demo für Alle Parteien, die zur Landtagswahl antreten, um Stellungnahmen zu Forderungen wie Schutz der Ehe, das Recht von Kindern auf einen Vater und eine Mutter oder das Erziehungsrecht der Eltern gebeten. CDU, AfD und Bündnis C stimmten in allen Punkten mit der Demo für Alle überein. Bei Grünen und Linkspartei bestand so gut wie keine Übereinstimmung. Die SPD hat nicht geantwortet.

Hunderte versammelten sich zu mehreren Gegendemonstrationen. Zahlreiche Übergriffe von meist linksextremen Gegendemonstranten begleiteten die Demo für Alle. Laut Angaben der Polizei wurden drei Busse, mit denen Demonstrationsteilnehmer angereist waren, mit Steinen beworfen und beschädigt. Teilnehmer von Gegendemonstrationen zogen zum Schillerplatz. „An der Absperrung der Planie zum Schillerplatz und am Durchgang vom Schlossplatz zum Schillerplatz kam es mehrfach zu Rangeleien zwischen Personen, die die Kundgebung der Bildungsplangegner stören wollten, und der Polizei.“ Der Demonstrationszug nach der Kundgebung wurde gestört. „Gezielt versuchten zahlreiche Gegendemonstranten, den weiteren Verlauf des Aufzugs vehement zu stören. Dies musste durch massives Eingreifen der Polizeikräfte, auch unter Einsatz von Schlagstock und Pfefferspray, verhindert werden.“ Fälle von 21 Verletzten sind bekannt, darunter sechs Polizeibeamte. Nur durch den Einsatz von Hunderten von Polizeibeamten war der sichere Ablauf der Demo für Alle möglich.

Die grüne Landtagsfraktion in Baden-Württemberg verwandte für eine Twitter-Meldung ein Bild von einer rechtsextremen Demonstration in den Niederlanden. Mit einer Foto-Montage wurden Rechtsextreme als Teilnehmer der Demo für Alle dargestellt. Nachdem das aufgedeckt wurde, folgten Entschuldigungen. Christoph Scharnweber, ein Mit-Organisator der Demo für Alle, bestätigte den Vorgang. Die Organisatorin Hedwig von Beverfoerde berichtete vom Brandanschlag auf das familieneigene Unternehmen, Morddrohungen und weiteren Anschlägen. An der Berliner Schaubühne werde ein Stück aufgeführt, bei dem die Teilnehmer der Demo für alle „symbolisch verprügelt“ werden. „Der Gegenwind ist gewaltig gewachsen“, stellte sie fest, „man versucht, uns einzuschüchtern und Angst zu machen.“ Am späten Abend vor der Veranstaltung hatte der Tontechniker sich kurzfristig geweigert, für die Demo zu arbeiten. Beverfoerde betonte die Gewaltlosigkeit der Demo für Alle und rief die Teilnehmer mehrmals auf, sich von den Gegendemonstranten nicht provozieren zu lassen.

Dass die Problematik vielen politischen Entscheidungsträgern nicht bewusst ist, zeigte unlängst die Antwort der Stuttgarter Sozialbürgermeisterin Isabel Fezer (FDP) auf ein Schreiben des Vorsitzenden des Evangelischen Arbeitskreises der CDU Stuttgart Stefan Walter. Er hatte Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) und Bürgermeisterin Fezer aufgefordert, Broschüren für Sexualaufklärung an Stuttgarter Kitas und Kindergärten zu stoppen. Fezer hat Walter geantwortet, sie halte eine solche Handreichung für nach wie vor notwendig. Fachkräfte müssten mit dem „Risiko spielerischer Grenzverletzungen“ „professionell sicher umgehen können“. Dass in diesen Broschüren jedoch pädagogische Konzepte vorgestellt werden, bei denen solche Grenzverletzungen geradezu eingeübt werden, scheint der Bürgermeisterin entgangen zu sein.

In Bildungsplan und Aktionsplan wird die Absicht der grün-roten Landesregierung sichtbar, Gesinnung vorzuschreiben, auch wenn diese Moral christlichen oder anderen Moralprinzipien widerspricht. Aufschlussreich für diese Denkungsart sind folgende Zeilen von Ministerin Altpeter aus dem Vorwort des Aktionsplanens: „Ich wünsche mir, dass der Aktionsplan ,Für Akzeptanz & gleiche Rechte Baden-Württemberg‘ dazu beiträgt, eine gesamtgesellschaftliche Diskussion gegen Homo- und Transphobie in Baden-Württemberg anzustossen und den Gedanken der Vielfalt sowie Weltoffenheit zu befördern.“ Es soll „gegen“ etwas diskutiert werden. – Eine grammatische Gewalttat, denn diskutieren kann man immer nur „mit“ jemandem.

Hinzu kommen utopische Vorstellungen über das Leben. Laut Stellungnahme der Grünen soll an den Schulen die Grundlage für ein „selbstbestimmtes Leben ohne Ängste und Hindernisse“ gelegt werden. Doch hat Jesus nicht selbst gesagt: „In der Welt seid ihr in Bedrängnis; aber habt Mut: Ich habe die Welt besiegt“? (Johannes 16,33, Einheitsübersetzung) Ängste und Hindernisse werden jedem Menschen immer wieder im Leben begegnen. An ihnen kann er sich bewähren, sie überwinden, daran wachsen. Dafür müssen Kinder stark gemacht werden.

Und schliesslich wird von den Vertretern der sexuellen Vielfalt meist das Begehren mit Liebe verwechselt. Liebe ist eine klare und reine Handlung des Willens und im Kern keine Emotion. Liebe bejaht das Dasein des Anderen. Doch so, wie das im Bildungsplan für den Bereich Inklusion vorgesehen ist, werden die Kinder animiert, sich sexuellen Empfindungen hinzugeben, statt zu lernen, einen anderen Mensch ohne erotische Erwartungen zu lieben.

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