Ringen um die Deutung
Nicht nur in Rom sind die Erwartungen hoch
Hl. Josef: Diverse Beiträge/19. März
Von Guido Horst
Die Tagespost, 18. März 2016
Wenn es stimmt, was im Vatikan zu hören ist, so setzt Franziskus heute, am Josephstag, seine Unterschrift unter das postsynodale Schreiben, mit dem er sein abschliessendes Wort zu den vergangenen beiden Familiensynoden sagen wird. Nicht nur in Rom sind die Erwartungen hoch. Man muss schon weit zurückgehen – etwa bis zu römischen Bischofssynoden unter Paul VI. in den siebziger Jahren, als vielen Synodenvätern die Lockerung des Zölibats am Herzen lag –, um einen innerkirchlichen Prozess zu finden, der das Kardinalskollegium und weite Teile der Hierarchie in aller Welt so gespalten hat wie das nun dreijährige Ringen um die sattsam bekannten Reizthemen im Zusammenhang mit Ehe und Familie, das heisst der Kommunionzulassung der Wiederverheirateten und der Bewertung irregulärer Partnerschaften.
Der Papst ist der Garant der Einheit. Ihm liegt es am Herzen, den offenen Spalt zu schliessen. Das kann er nicht, wenn er nun einem der beiden Lager, die sich nicht nur in der Synodenaula gegenüberstanden, Recht gibt. Das kann er nur, wenn er einen Text vorlegt, der alle mitnimmt. Das muss nicht unbedingt ein Kompromiss sein. Aber das können Formulierungen sein, die die strittigen Fragen auf eine höhere Ebene heben und dem Kernanliegen von Franziskus Ausdruck geben: Dass die Kirche in ihrer Seelsorge auch die Menschen begleitet, fördert und integriert, deren Beziehung – gemessen an der katholischen Norm – gescheitert ist oder nicht der Lehre der Kirche entspricht.
An dem sprachlichen Kunstwerk, das also zu erwarten ist, soll ein Freund des Papstes grossen Anteil gehabt haben, der argentinische Erzbischof Viczor Manuel Fernandez, seines Zeichens Rektor der Katholischen Universität in Buenos Aires. Dementsprechend wird es auch ausserordentlich lang sein. Und natürlich gibt es schon jetzt Versuche, die Deutungshoheit über das apostolische Schreiben zu gewinnen. So wie den von Kardinal Walter Kasper, der am vergangenen Montag in der vollbesetzten Aula einer Hochschule im italienischen Lucca meinte, der Text sei „der erste Schritt einer Reform, die die Kirche nach 1700 ein neues Kapitel aufschlagen lässt“. Andere, die das Dokument schon gelesen haben, würden das nicht so formulieren. Sie sehen eher die Kontinuität mit anderen päpstlichen Lehrschreiben. Anders gesagt: Das zu erwartende postsynodale Dokument wird nicht das Schreiben Familiaris consortio von Johannes Paul II. nacherzählen, aber ohne dieses Dokument des polnischen Heiligen wird es nicht richtig einzuordnen sein. Päpste können Meilensteine setzen, aber die Lehre auf den Kopf stellen, können sie nicht.
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