Hirtenwort zur Fastenzeit 2016

‘Mit der Heiligen Pforte hat Papst Franziskus am 8. Dezember 2015 das Jahr der Barmherzigkeit eröffnet’

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Liebe Schwestern und Brüder,

mit dem Öffnen der Heiligen Pforte hat Papst Franziskus am 8. Dezember 2015 das Jahr der Barmherzigkeit eröffnet, das wir bis zum 20. November 2016 feiern dürfen. Es soll uns nach dem Wunsch des Papstes an Gottes Barmherzigkeit, an seine Liebe und zärtliche Zuwendung zu uns Menschen erinnern. Auch wir haben in Aschaffenburg und Würzburg unter grosser Beteiligung in einer bewegenden Feier unsere Pforten der Barmherzigkeit geöffnet und durchschritten. Drei Impulse zur Barmherzigkeit will ich Ihnen daher am Beginn der Fastenzeit mit auf den Weg geben:

1. Was ist Barmherzigkeit?

Für viele von uns ist Barmherzigkeit ein sperriger Begriff. Sie verbinden damit zumeist nur Mitleid. Mitleid ist eine natürliche menschliche Regung.

Barmherzigkeit greift aber weiter: Sie schaut nicht nur zu, sondern sie handelt. Barmherzigkeit erweist sich am Zupacken, am Beistand für Menschen in körperlicher und seelischer Not. Barmherzigkeit, vom lateinischen „misericordia“ abgeleitet, weist dem Wortlaut nach auf Menschen hin, die ein offenes und hilfsbereites Herz für Menschen in Not haben. Für Kardinal Woelki ist Barmherzigkeit „das Salz im menschlichen Miteinander, das alle Begegnungen ein Stück weit geniessbarer machen kann.“1
1 Kardinal Rainer Maria Woelki: Typisch für Gott, Erzbistum Köln – Heiliges  Jahr, 04-2015, 4

2. Wie erfahren wir Barmherzigkeit?

Wir erhoffen von Gott Barmherzigkeit. Diese ist uns in Jesus Christus ein für allemal geschenkt worden. Jesus hat selbst in den Gleichnissen vom Vater und seinen zwei Söhnen (Lukas 15) und vom barmherzigen Samariter (Lukas 10) die Barmherzigkeit Gottes eindrucksvoll beschrieben. In beiden Gleichnissen spricht Christus davon, dass die Liebe Gottes uns ohne Bedingungen geschenkt wird. Gott kommt auf uns zu, breitet seine Arme aus und umfängt uns mit seiner Liebe wie mit einem schützenden Mantel.

Vielleicht können wir dies am eindrucksvollsten im Empfang des Sakramentes der Busse und Versöhnung, in der Beichte erfahren. Nicht ohne Grund sind in unserem Bistum drei Pforten der Barmherzigkeit in Beichtkirchen aufgetan: In der Franziskanerkirche in Würzburg, der Kapuzinerkirche in Aschaffenburg und in der Franziskanerkirche auf dem Kreuzberg, wo die Eröffnung mit Beginn der Wallfahrtszeit erfolgen wird. Dort werden ausreichende Beichtzeiten angeboten. Diese drei Orte wurden bewusst gewählt, weil sie sowohl einen Bezug zu den leiblichen wie auch geistigen Werken der Barmherzigkeit haben. Wir sollten dieses Sakrament als Erfahrung des barmherzigen Gottes wieder entdecken und freudig als Geschenk annehmen. Gott verweigert uns niemals seine Vergebung, wenn wir uns ihm anvertrauen.

Was ist der Sinn einer solchen Heiligen Pforte?

Als er gegen die Heilige Pforte im Petersdom in Rom klopfte, betete Papst Franziskus mit Psalm 118 „Öffnet mir das Tor zur Gerechtigkeit“. Und er fügte hinzu: „Es ist die Liebe Gottes, die rettet“2. Gott ist treu auch denen gegenüber, die in Schwierigkeiten des Lebens geraten sind. Er befreit aus Sünde und Tod. Kann es etwas Schöneres für uns geben in diesem Jahr als die Glaubensgewissheit, dass sich uns die Tür in die Barmherzigkeit Gottes öffnet? In der Beichte wird unsere persönliche Schuld von Gott vergeben. Unsere Sünde betrifft aber oft auch andere Menschen. Diese Folgen unserer Schuld sind uns manches Mal gar nicht bewusst. Aufeinander zuzugehen, Gräben zu überwinden, Verletzungen zu lindern und zu heilen, sind Wege der Barmherzigkeit, sind Wege, für die die Pforten der Barmherzigkeit symbolisch stehen.
Mit dem Durchschreiten der Heiligen Pforte ist ein Ablass verbunden. Das mag zunächst bei einigen Mitchristen – erst recht in der Ökumene – Widerstand und Irritationen auslösen. Aber im Grunde ist der Ablass eine pastorale Hilfe für die Gläubigen, Wege der Barmherzigkeit zu gehen.
2 Papst Franziskus bei der Öffnung der Heiligen Pforte in Rom, Tagespost 10.12.2015

Es gibt keinen Automatismus beim Durchschreiten der Pforte der Barmherzigkeit. Zur Gewinnung eines Ablasses – auch beim Durchschreiten der Heiligen Pforte – wird ein besonderer Weg der Barmherzigkeit vorausgesetzt: die Umkehr zu Gott in der persönlichen Beichte; die Gemeinschaft mit Christus im Kommunionempfang; und die Orientierung an der Kirche, ausgedrückt im Gebet nach der Meinung des Papstes und in einem sichtbaren Zeugnis der Nächstenliebe. Über allem aber steht, dass wir für Gott und die Menschen offen sind, unsres Herzens Tür öffnen und offenhalten.

3. Wie können wir barmherzig sein?

Zurzeit erleben wir durch bewaffnete Gewalt weltweit grosse Not. Viele Flüchtlinge sind in unser Land gekommen; das fordert uns heraus. Bruder Alois von Taizé setzt einer möglichen Angst den „Pilgerweg des Vertrauens“3 gegenüber. Wir dürfen auch in der momentan angespannten Situation Gott vertrauen. In diesem Vertrauen können wir einander beistehen und die Liebe und Barmherzigkeit Gottes durch unser Handeln anderen erfahrbar machen. Der Kirchenvater Basilius von Caesarea machte den Christen damals und uns heute Mut, indem er schreibt: „Du wirst Gott ähnlich, indem du gütig bist. Suche nach Barmherzigkeit und Güte, um Christus wie ein Gewand anzulegen.“4 So dürfen wir darauf vertrauen, dass unser barmherziges Handeln auch bei den Empfängern auf fruchtbaren Boden fällt.
Ich will von einem aktuellen Beispiel aus China berichten. Dort wurde 2014 ein Schriftsteller vom Studentenprotest weg verhaftet und ins Gefängnis geworfen. Er wurde schwer misshandelt, sodass er zwei Selbstmordversuche unternahm. Da lernte er einen christlichen Arzt kennen. Dieser hatte nach seiner Taufe seine führende Stellung in einem staatlichen Krankenhaus aufgegeben. Er war in entlegene Bergdörfer gegangen, um den dortigen Christen medizinische Hilfe zu schenken. Der Schriftsteller wollte wissen, warum der Arzt die Führungsposition im staatlichen Krankenhaus aufgegeben hatte: „War der Glaube ein Hindernis?“ Nein, er war einfach seinem Gewissen gefolgt. Der Arzt bekannte: „‚Mein Vorbild ist Mutter Teresa.’ Mit deren Biographie im Gepäck brachte er seither medizinische Hilfe dorthin, wo es keine Krankenhäuser gab.“5
3 Fr. Alois: Der Mut der Barmherzigkeit, in: TAIZÉ, 28.12.2015-01.01.2016, 2
4 Ebd. 3
5 FAZ, 23.12.2014: Tätscheln ist etwas anderes als segnen.

Der Schriftsteller schloss sich dem Arzt an. Er lernte das Elend der Menschen in den Bergdörfern ebenso kennen wie ihren starken Glauben. Er berichtete von zwei Christen, die in monatelanger Haft gefoltert worden waren. Besonders beeindruckend war, „dass er diese Menschen und ihren Umgang mit dem Leid als anders empfand. Wo er Bitterkeit erwartete, wurde ihm gesagt: ‚Als Christen verzeihen wir und schauen nach vorne.’“6

Liebe Schwestern und Brüder,

dieser chinesische Schriftsteller hat Barmherzigkeit erlebt, die ihn von Grund auf veränderte. Statt Rache und Selbstmordgedanken fand er zum Glauben, zur Barmherzigkeit. Ob nicht auch unser Bemühen um Barmherzigkeit Frucht bringt und ein Meilenstein auf dem Weg der Neu-Evangelisierung sein wird? Dazu gehört nicht nur das barmherzige Handeln, sondern auch, dass wir Gott loben und ihm für seine Barmherzigkeit an uns danken. Deshalb fügt sich das Jahresmotto 2016 für unsere Diözese Würzburg sehr gut in das Jahr der Barmherzigkeit ein. Es ist aus dem Psalm 89 entnommen und lautet: „Das Erbarmen des Herrn will ich ewig preisen.“

Gott ist in jeder Situation und jedem Menschen gegenüber ein Barmherziger. Dies darf in der Welt sichtbar werden durch unser Gotteslob und unser Handeln nach seinem Beispiel. Möge dieses Jahr der Barmherzigkeit Ihnen und Ihren Mitmenschen zum Segen werden!
Der dreifaltige Gott segne Sie und alle Ihnen Anvertrauten:
der Vater und der Sohn und der Heilige Geist.

Amen.

Ihr Bischof  + Friedhelm

Würzburg, am Fest der Taufe des Herrn, 10. Januar 2016

Dieses Hirtenwort ist in allen Gottesdiensten am 1. Fastensonntag, dem 14. Februar 2016, einschliesslich der Vorabendmesse, den Gläubigen in geeigneter Weise (Verlesen oder Verteilen) zur Kenntnis zu bringen.
6 FAZ, ebd.

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