“Die heilige Jungfrau verbindet uns mit den Muslimen”
Die Bekaa-Ebene im Libanon war einst urchristliches Land, durch das die Apostel zogen
Heute herrscht hier die Hisbollah. Der maronitische Bischof von Baalbek, Simon Atallah, bemüht sich dennoch um ein gutes Miteinander und hofft auf den Besuch von Papst Benedikt
Die Tagespost, 24. August 2012, von Oliver Maksan
Nein, die überlebensgrossen Plakate und Statuen des iranischen Revolutionsführers Khamenei täuschen. Es sind keine Vororte von Teheran, die der Bus aus Beirut Richtung Baalbek passiert. Die Bekaa-Ebene, die den Libanon zwischen dem Libanon- und dem Antilibanon-Gebirge durchzieht, ist Hisbollah-Land. Neben West-Beirut und dem Süden lebt hier die Masse der Schiiten des Landes. Koransuren zieren jeden Laternenmast. Bilder des goldglänzenden Jerusalemer Felsendomes zeigen, worauf das Prestige der Schiitenmiliz beruht: auf dem Widerstand gegen Israel.
Baalbek mit seinen mächtigen römischen Tempelanlagen ist seit dem Bürgerkrieg eine Hochburg des schiitischen Islam. Mächtige Clans haben das Sagen. Entführungen kommen immer wieder vor. Das Berliner Auswärtige Amt sprach kürzlich deshalb eine verschärfte Reisewarnung für diese Gegend aus. “Es ist mutig von Ihnen, hierher zu kommen”, meint Bischof Simon Atallah denn auch. Der freundliche Mann steht dem flächenmässig grössten maronitischen Bistum des Landes vor. Es umfasst den Norden der Bekaa-Ebene.
“Mein Bistumssitz ist eigentlich in Baalbek. Dort gab es seit dem ersten Jahrhundert Bischöfe. Die Apostel kamen durch diese Gegend auf ihren Missionsreisen zwischen Jerusalem und Antiochien. Aber während des Bürgerkrieges haben meine Vorgänger ihre Residenz in Deir al Ahmar errichten müssen.” Der kleine Ort ist etwa 15 Autominuten von Baalbek entfernt. Und doch liegen Welten zwischen dem rein christlichen Dorf und dem Zentrum der Schiiten. Die Narben des Bürgerkrieges, der hier heftig tobte, sind noch immer nicht verheilt. Pater Hanna, der Generalvikar des Bischofs, schätzt die Zahl der Christen im Bistum auf etwa 50 000. “Vor dem Bürgerkrieg waren es mehr. Aber während der Kämpfe und danach sind viele Familien abgewandert. Viele junge Leute gehörten damals den christlichen Milizen, den “Forces libanaises” und den Phalangisten, an. Manche waren erst 14 Jahre alt.
Als die Syrer dieses Gebiet besetzten, konnten sie nicht hierbleiben. Sie sind mit ihren Eltern gegangen. Geblieben sind die Alten. Die Jungen von damals leben jetzt in Beirut und kommen nur am Wochenende.” Die, die geblieben sind, halten Distanz zu den Muslimen. Viele Dörfer wurden im Bürgerkrieg komplett zerstört. Im Winter, in dem hier viel Schnee fällt, sind die Menschen zudem von der Aussenwelt mehr oder weniger abgeschnitten. Die beiden Pässe durch das Libanongebirge werden nicht geräumt. Durch muslimisches Gebiet wollen sie nicht fahren. Also sitzen sie hier fest. Viele wollen das nicht mehr mitmachen – und gehen.
Bischof Atallah muss also handeln, will er die Binnenmigration seiner Gläubigen aufhalten. “Mir ist wichtig, die Identität unserer Christen zu stärken. Viele haben einen sehr traditionellen Glauben. Ihr Christentum muss aber bewusster werden. Sie müssen wissen, warum sie hier unter den Muslimen Zeugen Christi sein sollen.”
Der umtriebige Bischof bemüht sich deshalb, verfallene christliche Klöster und Heiligtümer zu restaurieren und wiederzubeleben. So wie das Kloster des heiligen Maroun am Orontes, jenes Heiligen, dem die Maroniten ihren Namen verdanken. “Das Erbe ist unsere Identität. Es sagt uns, wer wir sind und was wir zu tun haben.” Neben der geistlichen Formung seiner Gläubigen weiss der Bischof aber, dass auch das alltägliche Leben gestaltet werden muss. “Wollen wir die jungen Leute hier halten oder wieder zurückbringen, brauchen wir eine gute Infrastruktur. Wir haben Projekte und viele Ideen, aber es fehlt uns schlicht das Geld.”
Die Kirche tut derweil, was sie kann. Ordensfrauen unterhalten einige auch von den Muslimen geschätzte Schulen. Es gibt ein bischöfliches Krankenhaus. Ein Schwesternorden betreibt gar eine Textilfabrik, die hundert Frauen Arbeit gibt. Generalvikar Hanna hat noch grössere Pläne: “Die Bekaa-Ebene ist ungeheuer fruchtbar. Aber man muss investieren, um moderne Landwirtschaft betreiben zu können. Vor allem braucht man Wasser. In den nahen Bergen gibt es unterirdisch einen Ozean von Wasser. Aber es kostet viel Geld, die Bohrungen durchzuführen und das Wasser in die Ebene zu leiten.”
Nicht wenige Bauern haben früher Haschisch und Heroin angebaut, um über die Runden zu kommen. Die Kirche versucht das zu unterbinden und Alternativen zu schaffen. Christliche Bauern probieren sich seit einigen Jahren mit gutem Erfolg im Weinanbau. Pater Hanna: “Sie führen dazu Weinreben aus Frankreich ein. Aber auch das ist teuer.”
Islamische Kinder besuchen Christen – und umgekehrt
Grosse Probleme gibt es derweil durch Landraub. Bischof Atallah: “Viele Christen haben die Ebene verlassen. Ihre muslimischen Nachbarn besetzen dann das Land und bebauen es.” Das ist zwar gegen das Gesetz. Doch was ist das Gesetz in dieser Gegend, wo der Staat noch schwächer ist als im Rest des Landes? “Ich appelliere deshalb an unsere Gläubigen, hierzubleiben und das Land zu bebauen.” Der Bischof trägt Beschwerden seiner Gläubigen auch gegenüber Hisbollah-Funktionären vor. Sie versprechen ihm dann, die Angelegenheit prüfen zu wollen. “Aber schliesslich folgen sie ihren Interessen.”
Bischof Atallah bemüht sich dennoch um ein gutes Verhältnis zu den Muslimen. Vergangene Woche gab er in Baalbek ein Iftar, ein Fastenbrechen während des islamischen Fastenmonats Ramadan. 100 islamische Würdenträger folgten seiner Einladung. “Ich werde sehr respektiert von den Muslimen. Sie laden mich auch in ihre Moscheen ein, um dort zu sprechen.” Auch seine Kontakte zur Hisbollah sind gut. “Ich sage ihnen das, was ich mir denke. Zu Weihnachten habe ich ihnen gepredigt, dass Christus nicht mit Waffen in Jerusalem eingezogen ist, sondern mit einem Palmzweig in der Hand.”
Der Bischof hat sogar eine christlich-islamische Dialoggruppe gebildet. “Ich musste natürlich einen gemeinsamen Grund für unseren Dialog finden. Und den habe ich in der Jungfrau Maria gefunden. Die Muslime verehren die heilige Jungfrau sehr. Der Koran zitiert sie öfter als die Evangelien. Und wenn Sie hier in der Gegend in ein islamisches Haus gehen, finden Sie immer ein Bildnis Unserer Lieben Frau von Bechouat, unserem hiesigen Marienheiligtum aus dem 15. Jahrhundert. Viele Muslime pilgern dorthin.”
In der Dialoggruppe haben sie kürzlich sogar einen Kindertausch veranstaltet: Islamische Kinder besuchen christliche Familien für ein paar Tage und umgekehrt. “Das funktioniert bestens.” Der Bischof gibt zu, dass es sich bei den beteiligten Muslimen um gebildete und aufgeschlossene Gläubige handelt. Aber auch längst nicht alle Christen sind von derartigen Projekten begeistert. “Sie sagen, nach allem, was ihnen die Muslime angetan hätten, führe der Dialog doch zu nichts. Aber ich sehe keine Alternative dazu: Vor dem Bürgerkrieg haben die Leute ja auch gut zusammengelebt.”
Auch heute gibt es viele Mischehen zwischen Christen und Muslimen. Doch statt die Religionen zu verbinden, schafft das grosse Probleme. Normalerweise muss der christliche Ehepartner aufgrund des sozialen Drucks zum Islam konvertieren. Der Bischof: “Wir haben kein Problem damit, wenn eine Muslima einen Christen heiratet. Ich gebe die nötige Dispens gerne, wenn ich sehe, dass es dem Paar ernst ist. Umgekehrt gibt es diesen Respekt kaum. Selbst wenn sie sagen, dass sie dem christlichen Mädchen die Freiheit lassen, wird danach grosser Druck auf sie ausgeübt, zu konvertieren. Wir weisen sie natürlich darauf hin, worauf sie sich einlassen. Aber Liebe macht eben blind.”
Doch es gibt auch freiwillige Konversionen in die andere Richtung. “Ich habe schon einige Muslime auf ihren Wunsch hin getauft.” Es sind fast immer gebildete Muslime, die um die Taufe bitten. Ihr Weg ist meist derselbe. “Sie haben den Koran und die Evangelien miteinander verglichen. Sie entdecken dann, dass der Koran voller Widersprüche ist, während das Evangelium klar ist. Wir bereiten sie dann auf die Taufe während zwei oder drei Jahren vor.” Viele der Neugetauften werden nach der Konversion bedroht und verlassen die Region. Andere machen ihre Taufe nicht öffentlich. Wieder andere tun das – mit manchmal verheerenden Konsequenzen. So wie die Tochter eines Scheichs, die der Bischof vor einigen Jahren taufte. “Ihr Vater hat das mitbekommen und sie eingesperrt. Sie durfte das Haus jahrelang nicht mehr verlassen. Er hat sie dann auch jeden Tag heftig geschlagen, manchmal krankenhausreif. Sie hat das alles ertragen. Stellen Sie sich vor: Ein Mädchen von 23 Jahren!” Der Bischof gibt sich trotz seiner Dialogbereitschaft keinen Illusionen hin: “Die Muslime verstehen das Konzept der Religionsfreiheit nicht. Selbst wenn sie sehr offen sind, ändern sie ihre Haltung, wenn sie in der Öffentlichkeit sprechen. Die islamischen Führer werden von der Masse geführt. Nicht sie sind es, die die Masse führen.”
Umso wichtiger ist seiner Meinung nach der Besuch des Papstes. “Diejenigen, die ein gutes Zusammenleben in einem demokratischen und multikonfessionellen Libanon wollen, werden durch ihn bestärkt werden.” Der Besuch ist seiner Meinung nach auch ein Appell an den Libanon, sich seiner Mission bewusst zu werden, Botschafter des Zusammenlebens der Religionen zu sein. “Der Libanon kann den arabischen Ländern als Vorbild dienen, gerade jetzt im arabischen Frühling. Sollte diese Chance nicht genutzt und die Scharia eingeführt werden, ist es kein arabischer Frühling mehr. Der Exodus der hunderttausenden Christen aus dem Irak steht uns allen warnend vor Augen. Und wer weiss, was in Syrien sein wird. Ich frage mich oft: Warum müssen die Christen des Nahen Ostens diesen Preis bezahlen? Welche Sünde, welchen Fehler haben sie begangen, um ein solches Schicksal ertragen zu müssen?”
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Bischof Simon Atallah
Maronites
SaintMaroun: Heilige des Libanon
Klöster und Konvente im Libanon
Syrisch-Maronitische Kirche
Papst Johannes Paul II.: An die Gläubigen der Maronitischen Gemeinschaft
Heiligsprechung des libanesischen Eremiten Charbel Makhluof, 9.10.1977, französisch
Hl. Charbel Makhluf
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