Die Motive liegen völlig im Dunkeln

Der Fall “Vatileaks 2” zieht sich in die Länge – Angeklagte beschuldigen sich gegenseitig

Von Guido Horst

Rom, Die Tagespost, 02. Dezember 2015

Der Fall “Vatileaks 2”, der es sogar in die “fliegende Pressekonferenz” mit Papst Franziskus während der Rückkehr aus Afrika geschafft hat, bleibt dem Vatikan und der Öffentlichkeit noch eine Zeit lang erhalten. Das Vatikangericht, das den Prozess führt, gestand der Angeklagten Francesca Chaouqui zu, statt des Pflichtverteidigers eine Anwältin des Vertrauens hinzuziehen zu dürfen. Diese hat nun einige Tage Zeit, sich mit der Aktenlage vertraut zu machen. Die Vernehmungen gehen nun in der kommenden Woche weiter und der Fall wird sich über die Eröffnung des Heiligen Jahres am kommenden Dienstag hinausziehen.

Vor den mitfliegenden Journalisten räumte der Papst am Montag im Flugzeug ein, dass die Ernennung der beiden Angeklagten, die er 2013 in die COSEA genannte Kommission zur Prüfung der wirtschaftlichen und organisatorischen Angelegenheiten des Heiligen Stuhls berufen hatte, ein Fehler gewesen sei.

Die Lobbyistin Chaouqui befindet sich– wegen ihrer Schwangerschaft – auf freiem Fuss, gibt Interviews, tritt im Fernsehen auf und berichtet täglich auf Twitter über ihre Sicht der Ereignisse. Auch die beiden Journalisten, die mit den aus der COSEA geschmuggelten vertraulichen Dokumenten jeweils ein Buch veröffentlicht haben, Gianluigi Nuzzi und Emiliano Fittipaldi, sonnen sich im Licht des Medieninteresses. Ein Rätsel ist der zweite Hauptangeklagte, der spanische Priester Lucio Vallejo Balda, der in Vatikanhaft sitzt. Auch er bedient die Medien – allerdings indirekt. Die Tageszeitung “La Repubblica“ veröffentlichte Auszüge aus einem Schriftsatz des Priesters für seinen Anwalt, in dem dieser erklärt haben soll, von der PR-Frau in Florenz sexuell verführt worden sein. Auch Treffen mit führenden Geheimdienstlern kommen in dem Text zur Sprache – wobei man sich fragt, auf welchem Wege auch dieser Schriftsatz jetzt wieder öffentlich werden konnte.

Chaouqui wies die “Nacht mit dem Monsignore” entschieden zurück und beschimpfte ihn heftig. Beide galten in der römischen Gesellschaft als Freundespaar, auch Papst Franziskus deutete jetzt an, dass es wohl die Bekanntschaft der Frau mit dem Kurienprälaten war, die ihr die Beratertätigkeit in der COSEA eingebracht hat. Vallejo Balda ist Sekretär der vatikanischen Präfektur für die wirtschaftlichen Angelegenheiten des Heiligen Stuhls und hat dieses Amt immer noch inne. Die Motive des Mannes, der dem Umfeld des Opus Dei zugerechnet wird, liegen völlig im Dunkeln. Am Tag der Heiligsprechung von Johannes Paul II. soll er auf der Dachterrasse, die zur Wirtschafts-Präfektur des Vatikans gehört, eine fröhliche Party mit illustren Gästen gefeiert haben. Vor den Snacks und Drinks gab es auch die heilige Kommunion im Rahmen der unten auf dem Petersplatz laufenden Heiligsprechungsfeier. Dieses für vatikanische Verhältnisse völlig ungewöhnliche Verhalten wirft ein bizarres Licht auf den Monsignore, den dem jetzt an die Öffentlichkeit gespielten Schriftsatzes zufolge bei der Weiterleitung der Dokumente aus der COSEA vor allem die Angst vor Geheimdienstkreisen getrieben haben soll. Einem weiteren Schreiben von Vallejo Balda, diesmal an den vatikanischen Staatssekretär, ist die Befürchtung des Monsignore zu entnehmen, seine ehemalige Freundin Chaquoi pflege Kontakte mit einflussreichen Leuten geheimer Dienste.

Dass nun auch die römische Staatsanwaltschaft gegen Chaouqui und ihren Mann, einen Informatiker, ermittelt beziehungsweise ein entsprechendes Untersuchungsverfahren aus Terni in die Hauptstadt gezogen hat und in diesen Akten der Name von Berlusconi-Bruder Paolo und die weiterer bekannter Personen auftauchten, macht den Fall für die Medien noch interessanter – aber für die Öffentlichkeit immer undurchschaubarer. Es soll bei den staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen das Paar um unrechtmässig erhaltene oder gestohlene Informationen gehen, mit denen Dritte unter Druck gesetzt worden seien. Ob diese Informationen auf die Beratertätigkeit Chaouquis im Vatikan zurückgehen oder ob diese sich ihr Mann, der als Informatiker auch für den Vatikan gearbeitet hat, auf illegalem Weg beschafft hat, ist offen. Der Fall “Vatileaks 2“ nahm im Oktober – zur Zeit des Synodenbeginns – ihren Anfang, nachdem der Angeklagte Vallejo Balda zuvor mit der Information an die Öffentlichkeit gegangen war, dass sein Computer in der Wirtschafts-Präfektur von aussen angezapft worden sei. Nuzzi und Fittipaldi treten in der Öffentlichkeit mit dem Anspruch auf, mit ihren Publikationen den Papst bei seiner Arbeit des “Ausmistens“ im Vatikan unterstützen zu wollen. Dass ausgerechnet eine Kommission, die der Papst zur Untersuchung vatikaninterner Vorgänge und Finanzgebahren eingerichtet hat, zur Quelle wildester Gerüchte und seltsamster Beziehungen wird, entbehrt nicht einer gewissen Komik.

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