Die “besonnene” Reform von Papst Franziskus

Ehenichtigkeit: Die “besonnene” Reform von Papst Franziskus (Erster Teil)

Quelle

Rom, Luca Marcolivio

Laut dem an der Katholischen Universität vom Heiligen Herzen in Mailand als Professor wirkenden Kanonisten Andrea Bettetini erleichtert die höhere Geschwindigkeit des Verfahrens die Überwindung zahlreicher Gewissensprobleme.

Trotz der wegfallenden bislang verpflichtenden “übereinstimmenden Urteile zweier Instanzen” bleibt die Möglichkeit einer zweiten Instanz im Rahmen des Verfahrens erhalten. Die vollkommene Unentgeltlichkeit für die Kläger ist zwar nicht gewährleistet, die Bischofskonferenzen müssen sich jedoch dafür einsetzen. Der Bischof wird zum “Richter” in seiner Diözese erklärt, kann jedoch de facto als Gericht mit entsprechenden Helfern agieren,welche auch Laien sein können.

Das in der vergangenen Woche von Papst Franziskus erlassene Motu Proprio “Mitis Iudex Dominus Iesus” zur neuen Regelung des Verfahrens zur Annullierung der sakramentalen Ehe ist keineswegs eine Revolution und stellt sich den Tatsachen entsprechend als besonnene Reform dar.

In einem Exklusivinterview mit ZENIT analysierte der Ordinarius für kanonisches Recht an der mailändischen Universität vom Heiligen Herzen (“Università Cattolica del Sacro Cuore”) Prof. Andrea Bettetini die Inhalte des Motu Proprio.

***

Prof. Bettetini, worin bestehen die von Papst Franziskus festgelegten wesentlichen Neuerungen im Rahmen der Ehenichtigkeitsverfahren?

Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die meines Erachtens grösste Veränderung eingehen. Tatsächlich bestand eine Besonderheit des vor der Reform existierenden kirchlichen Eheverfahrens in dem Umstand, dass zur Umsetzung des erstinstanzlichen Urteils (mit wenigen Ausnahmen) die Bestätigung durch ein entsprechendes nachfolgendes Urteil erforderlich war. In dieser Option galt der Grundsatz des “doppelten konformen Urteils”, wodurch der Erlass eines mit einem vorangegangenen Urteil entsprechenden Urteils zum Ende des Verfahrens führte.

Gerade aufgrund der Möglichkeit bzw. Notwendigkeit der sachlichen Überprüfung eines dem vorausgegangenen Urteil entgegengesetzten Berufungsurteils – wenn auch mit einigen logischen Einschränkungen – ergab sich die Annahme, dass die Ausführung eines Eheurteils nicht nach nur zwei Rechtszügen, sondern erst nach drei, vier oder weiteren erreicht werde, was eine gefährliche Verlängerung der Verfahrensdauer und somit die Schaffung eines Gefühls der Unsicherheit bezüglich der persönlichen Situation zur Folge hatte (zuweilen vergehen Jahre bis zur Erklärung der Nichtigkeit einer Ehe, wodurch einen Person an einer Neubetrachtung des Plans, einer neuen Familiengründung, einer endgültigen Identität, gehindert wird).

Vor diesem Hintergrund entstand die Suche nach einem schnelleren Weg zur Findung der substanziellen Wahrheit über die eheliche Bindung ein. Nicht durch Zufall hatte die aussergewöhnliche Bischofssynode im Jahr 2014 mit breiter Mehrheit die Möglichkeit einer Überwindung des “doppelten konformen Urteils” vorangebracht. So sieht die neue Rechtsvorschrift vor: “Das Urteil, das zum ersten Mal die Nichtigkeit der Ehe erklärte, tritt nach Ablauf der festgelegten Frist… in Kraft” (Can. 1675; eigene deutsche Übersetzung). Daher ist die Einlegung einer Berufung in zweiter Instanz nicht mehr verpflichtend. Dennoch wird die Möglichkeit einer Anfechtung des Urteils sicherlich nicht verweigert, zumal die neue Rechtsordnung zugleich verfügt, dass “jener Partei, die sich als belastet und dem Kirchenanwalt und Verteidiger des Bundes ebenbürtig erachtet, das Recht zukommt, eine Nichtigkeitsklage gegen das Urteil zu erheben oder gegen dieses Urteil Berufung einzulegen…” (Can 1680, §1; eigene deutsche Übersetzung).

Werden die Verfahren tatsächlich von kürzerer Dauer sein?

Offensichtlich werden die Urteile mit dem Wegfall der Notwendigkeit eines Urteils zweiter Instanz früher in Kraft treten, als dies bisher möglich war.

In Prozessen mit dem Klagegrund des geschlechtlichen Unvermögens oder des Konsensmangels wegen Geisteskrankheit hat sich der Richter der Hilfe eines oder mehrerer Sachverständiger zu bedienen, sofern dies aufgrund der Umstände nicht offenkundig als zwecklos erscheint; in den sonstigen Verfahren ist die Vorschrift des Can. 1574 zu beachten.

Im Hinblick auf die eingangs beleuchtete Beschleunigung der Ehenichtigkeitsverfahren ist in der neuen Rechtsvorschrift – ergänzend zu dem derzeit gültigen dokumentarischen – ebenso ein “processus brevior”, ein kürzerer und schlankerer Prozess, vorgesehen, wobei der Diözesanbischof als Einzelrichter auftritt. Für die Inanspruchnahme dieses Verfahrensweges ist der Nichtigkeitsgrund von beiden Parteien geltend zu machen. Daher müssen beide von der Nichtigkeit der Ehe überzeugt sein. Zeugenaussagen oder Urkundenbeweise müssen eindeutig vorlegbar sein und die Nichtigkeit deutlich machen.

Werden die Verfahren kostenlos sein?

Der Papst hat die Notwendigkeit der Unentgeltlichkeit des Verfahrens nicht festgelegt. In der Präambel (die im engeren Sinne nicht den Charakter einer Rechtsvorschrift besitzt) des Motu Proprio “Mitis Iudex Dominus Iesus” wurde jedoch der Wunsch ausgesprochen, dass die Bischofskonferenzen “vorbehaltlich einer gerechten und anständigen Entlohnung der im Gericht Bediensteten Wege für die Sicherstellung einer kostenlosen Rechtsprechung finden mögen”. Aus Gründen der Gerechtigkeit sollte darüber hinaus aus meiner Sicht die gebührende Entlohnung der Rechtsanwälte und Staatsanwälte nicht eingeschränkt werden.

Im Übrigen ist die Prozesskostenhilfe an den Kirchengerichten traditionell seit jeher vorgesehen. Man denke dabei an Art. 5 mit den von der italienischen Bischofskonferenz festgelegten Normen bezüglich des Verwaltungsregimes und der wirtschaftlichen Fragen der regionalen Kirchengerichte, und selbstverständlich an die allgemeinen rechtlichen Vorgaben laut dem Codex Iuris Canonici (Can. 1464, 1490, 1649, etc.).

(Der zweiter Teil folgt am Freitag, dem 18. September 2015)

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