Sie wollen doch nur retten!

Ethik-Nachhilfe für Ärzte ist dringend geboten: Warum eine Klage gegen das gesetzliche Verbot der “Ex-post-Triage” gar keine gute Idee ist und die utilitaristische Ethik auch nicht die Ethik des Grundgesetzes ist

Quelle
Marburger Bund will Verbot der Ex-post-Triage kippen | Die Tagespost (die-tagespost.de)

07.11.2023

Stefan Rehder

Es ist nicht so, dass man sie nicht verstehen könnte, die Rettungs-, Notfall- und Intensivmediziner. Mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln kämpfen sie Tag und Nacht um die Leben Schwerstverletzter. Aufopferungsvoll und unermüdlich, bis zur Erschöpfung und bisweilen darüber hinaus. Und wie danken ihnen Staat und Gesellschaft dies? Geradezu unterirdisch. Nicht bloß, dass sie immer öfter auch selbst Ziel körperlicher Gewalt werden. Mitansehen zu müssen, wie die von ihnen benötigten Ressourcen immer knapper bemessen werden, gehört für viele längst zu ihrem ohnehin durch vielerlei Schrecklichkeiten belasteten Alltag. Zu wenig Pflegepersonal, zu wenig Beatmungsplätze. Mitunter fehlt es sogar am aller Nötigsten, an Schutzkleidung, Desinfektionsmitteln, Narkotika und Medikamenten.

Im Zuge der SARS-COV-2-Pandemie hat ihnen der Deutsche Bundestag im vergangenen Herbst nun noch die Durchführung der sogenannten Ex-post-Triage gesetzlich untersagt. Als solche wird der Abbruch der Behandlung eines Patienten bezeichnet, wenn die zur Verfügung stehenden medizinischen Ressourcen nicht für alle reichen und der Zustand eines hinzukommenden Patienten bessere Überlebungschancen verspricht, als der desjenigen, bei dem eine Behandlung begonnen wurde. Aus Sicht der Klinikärzte wäre eine Ex-post-Triage aber notwendig, um mit knappen Ressourcen möglichst viele Menschenleben zu retten. Die Gewerkschaft der Klinik-Ärzte “Marburger Bund” hat deshalb nun wissen lassen, dass sie eine Verfassungsbeschwerde vorbereite. Sie sieht durch das gesetzliche Verbot der Ex-post-Triage die Berufsfreiheit (Artikel 12 GG) und insbesondere die Therapiefreiheit von Ärzten berührt.

“Ex-post-Triage” macht Patienten zu bloßen Mitteln

Das ist bei aller gebotenen Wertschätzung für den aufopferungsvollen Dienst der Rettungs-, Notfall- und Intensivmediziner starker Tobak. Mag die Therapiefreiheit nach herrschender Meinung auch unter die Berufsfreiheit der Ärzte fallen (in Artikel 12 GG werden Ärzte aus guten Gründen nicht einmal eigens erwähnt), so ist sie hier doch nicht einmal betroffen. Denn selbst verständlich steht es Ärzten auch weiterhin frei, de lege artis zu entscheiden, ob eine Therapie dazu angetan ist, das Leben eines Menschen zu retten. Ist sie es nicht oder nicht mehr, darf sie abgebrochen werden. Dass Ärzte solche Entscheidungen im Zweifel auch rechtfertigen müssen können, ist keine unerträgliche Zumutung. Ein Arzt ist weder ein Halbgott, noch steht er außerhalb des Rechts. Seine Entscheidungen müssen daher stets nachvollziehbar und plausibel sein. Wenn auch nicht immer für medizinische Laien, so wenigstens doch für etwaige Fachgutachter.

Eine medizinisch für sinnvoll erachtete Therapie bei einem Patienten jedoch nur deshalb abzubrechen, weil ihr Einsatz bei einem später hinzukommenden Patienten noch mehr Sinn zu machen scheint oder aber von diesem vermutlich weniger lang benötigt wird, so dass sie für weitere Patienten früher verfügbar wird, ist eine ethisch geradezu abscheuliche Vorstellung. Menschen sind keine Linsen, die Ärzte nach dem Motto “die guten ins Töpfchen, die schlechten in Kröpfchen” sortieren dürften. Auch haben Ärzte gar nicht den Auftrag, so viele Leben zu retten, wie möglich. Ärzte, die dergleichen von sich verlangen, überfordern nicht nur sich. Sie werden auch ihren Patienten nicht gerecht. Denn die dahinterstehende Logik ist eine durch und durch utilitaristische. In ihrer Folge werden all die Patienten, denen die Ressourcen, obwohl medizinisch geboten, entzogen werden, zum “bloßen Mittel” des Zwecks, möglichst viele Leben zu retten, und dadurch “entmenschlicht”.

Der Medizinbetrieb und die Maximierung abrechenbarer Leistung

Zwar passt der Ruf nach einer Ex-post-Triage zu einem Medizinbetrieb, der sich immer stärker auf die Maximierung abrechenbarer Leistungen fokussiert. Richtigerweise schiebt die Menschenwürde-Garantie des Grundgesetzes einer Behandlung, bei der Menschen als “bloßes Mittel zum Zweck” herabgewürdigt werden, aus guten Gründen einen Riegel vor. Ob Ärzte sich einer solchen Herabwürdigung bewusst sind oder nicht, spielt für eine ethische Beurteilung der Ex-post-Triage keine Rolle. Wer daran Anstoß nimmt, könnte sich genauso gut darüber aufregen, dass Wasser nass und der Himmel blau ist.

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