Amerika liegt dem Papst zu Füssen
Die Rede von Franziskus vor dem US-Kongress wird zum Moment seltener Andacht
Auf einer Welle der Sympathie von Termin zu Termin.
Von Oliver Maksan
Die Tagespost, 25. september 2015
Amerika liegt dem Papst zu Füssen. Selbst hartgesottene Journalisten auf CNN geraten dieser Tage in Verzückung angesichts des argentinischen Papstes und seines ersten Besuchs in den USA in seinem 78-jährigen Leben überhaupt. “Klar muss man objektiv sein. Aber man muss sich auch freuen dürfen, wenn es einem danach ist”, meint ein hochgestimmter Kommentator angesichts der nicht abreissenden Bilder, die den Papst bei der Fahrt durch frenetisch jubelnde Mengen zeigen.
Dazu noch strahlender Sonnenschein. Besonders der schwarze Fiat 500, in dem das Kirchenoberhaupt vom Rücksitz aus gut gelaunt winkend seine Termine absolviert, hat es den Journalisten angetan. Vom ersten Moment an rollte Amerika dem Pontifex den roten Teppich aus. Nachdem Präsident Obama den von Kuba kommenden Papst entgegen den Gepflogenheiten am Dienstag persönlich am Flughafen begrüsst hatte, folgte am Mittwoch im Garten des Weissen Hauses eine Willkommensfeier der Superlative. 11 000 Menschen aus allen gesellschaftlichen Gruppen waren eingeladen worden. Dass darunter auch Homo- und Transgender-Aktivisten waren, wurde vom Vatikan dem Vernehmen nach nicht goutiert. Die Weltmacht inszenierte sich mit Marschmusik, Uniformen, Fahnen und Fanfaren. Nur die bei der Begrüssung von Staatsoberhäuptern üblichen 21 Schuss Salut waren aus Rücksicht auf den militärischem Zeremoniell nicht besonders zugeneigten Papst unterlassen worden.
Religionsfreiheit nicht einschränken
Ein strahlender Präsident nutzte die Gelegenheit, um seine inhaltliche Nähe zum regierenden Papst etwa in Fragen der Klimapolitik zu bekunden. Franziskus seinerseits hielt ebenfalls eine politisch sehr deutliche Ansprache, die sich aber sichtlich um Ausgewogenheit mühte. In konzentriert vorgetragenem, aber gut verständlichem Englisch sprach er von der Notwendigkeit des Klimaschutzes und der grosszügigen Aufnahme von Immigranten einerseits. Gleichzeitig warnte er vor Einschränkungen der Religionsfreiheit und spielte damit wohl auf den Streit zwischen der Kirche und der Obama-Regierung an, der in Sachen Gesundheitsreform entbrannt ist. Dass Franziskus später “spontan” ein Haus von Ordensfrauen besuchte, die sich weigerten, ihre Mitarbeiter bei Anbietern zu versichern, die künstliche Empfängnisverhütung und die “Pille danach“ bezahlen, stützt diese Lesart. Doch der herzlichen Atmosphäre tat dieser Seitenhieb keinen Abbruch. “Pope Francis, we love you“ rief ein mit einer lauten Stimme begabter Zuschauer dem Papst zu. Ein gewaltiger, zustimmender Applaus folgte, während sich Papst und Präsident zum Vier-Augen-Gespräch in das Oval Office zurückzogen.
Und so sollte es weitergehen. Der Pontifex wurde von einer Welle der Sympathie von Termin zu Termin getragen. Die Menschen der amerikanischen Hauptstadt nahmen die Verkehrseinschränkungen gelassen hin, die die Wagenkolonne mit dem beflaggten Kleinwagen des Papstes in der Mitte auslöste.
Innerkirchlich bedeutsam war zweifellos die Grundsatzansprache vor dem US-Episkopat. Die Führer der US-Kirche hatten sich am Mittwochmittag in der Saint Matthew’s-Kathedrale im Herzen Washingtons vollständig versammelt. Lange sprach Franziskus auf Italienisch über seine Vision des Bischofsamts. Keine abwesenden Flughafen-Bischöfe wünsche er sich, so der Papst, sondern echte Hirten, die bei ihrer Herde seien. Ausdrücklich lobte er die Bischöfe für ihre Bemühungen im Kampf gegen sexuellen Missbrauch von Minderjährigen durch Priester. Opfergruppen kritisierten den Papst später dafür. Er stelle den Klerus über die Opfer, hiess es. Draussen demonstrierten derweil auch kleine Gruppen von Aktivistinnen für die Priesterweihe der Frau. Auch katholische Homo-Aktivisten hatten sich in der Nähe versammelt, die Papst Franziskus zur Anerkennung ihrer Lebensform aufriefen.
Kirchlicher Höhepunkt des USA-Besuchs dürfte indes die grosse Heiligsprechungsmesse des seligen Junípero Serra gewesen sein. Zu der ersten Kanonisierung auf amerikanischem Boden überhaupt hatten sich über 20 000 Gläubige auf dem Gelände vor dem Nationalheiligtum der USA, dem Schrein von der Unbefleckten Empfängnis, versammelt. Unter ihnen war auch US-Vize-Präsident Joe Biden. Indianergruppen hatten die Heiligsprechung des im 18. Jahrhundert wirkenden Missionars Kaliforniens bis zuletzt scharf kritisiert und den neuen Heiligen für die Ausrottung ihrer Vorfahren und ihrer Kultur verantwortlich gemacht. Franziskus sollte später mit Blick auf die Kritik sagen, dass man frühere Zeiten nicht an den heutigen Massstäben messen, aber auch nicht ihre Sünden und Fehler wiederholen dürfe.
Politischer Höhepunkt war zweifellos die mit grosser Spannung erwartete Rede des Papstes vor dem US-Kongress – eine historische Premiere. Speaker John Boehner, Republikaner und selbst praktizierender Katholik, hatte den Papst eingeladen. Sichtlich angespannt erwartete er ihn vor der Rede zum Gespräch in seinem Büro. Viel Zeitungstinte war im Vorfeld verbraucht worden, um die Frage zu beantworten, was der Papst vor dem Kongress wohl sagen würde und wer davon politisch am meisten profitieren dürfte. Fast einhellig waren die Beobachter der Meinung, dass der Papst mit seiner Betonung von Umweltschutz, Einwandererrechten und sozialer Gerechtigkeit Wasser auf die Mühlen der Demokraten lenken würde. Für die Republikaner, so die Einschätzung, war trotz Übereinstimmung in Sachen Lebensschutz und Schutz der Familie wenig zu gewinnen. So blickten diese der Rede des Kapitalismuskritikers entsprechend bang entgegen. Ein republikanischer Abgeordneter blieb aus Protest gegen die klimapolitische Haltung des Papstes der Veranstaltung sogar demonstrativ fern. Die Führer beider Häuser und Parteien hatten im Vorfeld zur Beruhigung die Parole ausgegeben, dass die Rede eher wie eine Predigt und nicht wie die am Pult des Kongresses sonst üblichen Auftritte verstanden werden sollte. Sollte heissen: Offensichtlich parteipolitische Zustimmung oder Ablehnung des Vorgetragenen hätten zu unterbleiben.
Franziskus selbst hatte auf dem Flug in die USA bereits gesagt, dass er nicht zum Ende des US-Embargos gegen Kuba aufrufen werde. Daran hielt er sich denn zur Zufriedenheit der Republikaner auch. Der Papst wusste, zu wem er sprach. Er, der Argentinier, den viele für un-, ja anti-amerikanisch halten, gewann die Gunst des Plenums, als er Amerika eingangs als das Land der Freien und Mutigen bezeichnete. Angesichts dieses Zitats aus der Nationalhymne applaudierten selbst die vier anwesenden Obersten Richter – ein Novum, wie Kommentatoren bemerkten. Im weiteren Verlauf versuchte er den Vorwurf, seine Ideen zum Klimaschutz und ähnlichem seien unamerikanisch, durch den Bezug auf vier Persönlichkeiten der amerikanischen Geschichte zu entkräften, die jeder auf ihre Weise Freiheit, Gleichheit und soziale Gerechtigkeit verwirklicht hätten. Kommentatoren konnten danach nicht genug betonen, dass sie noch nie einen derart andächtig lauschenden Kongress gesehen hätten.
Der US-Wahlkampf wirft seine Schatten voraus
Nach der Rede trat der Papst auf den Balkon des Kapitols. Zehntausende hatten sich eingefunden, um den Pontifex zu sehen. In einer kurzen Ansprache segnete der Papst die Kinder und bat um das Gebet für sich. Diejenigen, die nicht glaubten, sollten ihn mit ihren guten Wünschen begleiten. Erneut traf Franziskus damit den richtigen Ton. Seinem Gastgeber, den durch tausend politische Kämpfe gegangenen John Boehner, standen sichtbar Tränen der Rührung in den Augen.
Dennoch konnte es nicht ausbleiben, dass die Parteien entweder schnell politisches Kapital aus der Rede schlagen oder den Schaden begrenzen wollten. Er stimme in wesentlichen Punkten mit dem Papst überein, sagte Senator Bernie Sanders, linker Demokrat und Konkurrent von Hillary Clinton um die demokratische Nominierung für die Präsidentschaftskandidatur, in ein Mikrophon. Republikanische Abgeordnete hingegen wiederholten immer wieder, dass Franziskus eben der Papst und kein amerikanischer Parteipolitiker sei. Seine Botschaft sei die von Frieden und Liebe. Es tue gut, das zu hören. Sollte aber auch heissen: Papst ist Papst und Politik ist Politik. Besinnlichkeit kann sich Washington im mittlerweile voll entbrannten Präsidentschaftswahlkampf eben maximal eine Stunde leisten.
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