Wagt es bei uns ein Politiker noch, dem Volk, Gottes Segen zu wünschen?

Ansprache seiner Durchlaucht Erbprinz Alois von und zu Lichtenstein anlässlich des Staatsfeiertages 2015 am 15. August 2015

Christus PantokratorQuelle

Liebe Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner

Dieses Jahr feiern wir zum 75. Mal den Staatsfeiertag. Heute vor 75 Jahren war einer der kritischsten Momente der Geschichte Liechtensteins: der Zweite Weltkrieg war ausgebrochen und Liechtenstein grenzte direkt an das Dritte Reich. Es gab eine einflussreiche Bewegung für einen Anschluss Liechtensteins an das Dritte Reich. Glücklicherweise hatte diese Bewegung nicht zuletzt dank dem entschlossenen Zusammenstehen eines Grossteils der Bevölkerung keinen Erfolg und die Eigenständigkeit unseres Staates konnte gewahrt werden.

Vor 75 Jahren hatte Liechtenstein ausserdem unter einer sehr schwierigen wirtschaftlichen Situation zu leiden. Die Bevölkerung kämpfte mit den Nachwehen der Rheinüberschwemmung, der Weltwirtschaftskrise und des Sparkassenskandals. Wenn wir heute auf die letzten 75 Jahre zurückblicken, können wir zu Recht feiern. Liechtenstein hat sich äusserst erfolgreich entwickelt: von einem armen Bergbauernstaat zu einem der reichsten Staaten der Welt mit einem hoch entwickelten und breit diversifizierten Wirtschaftsstandort, von einem Auswanderungsland zu einem Einwanderungsland, von einem bedrohten, um seine internationale Anerkennung kämpfenden Staat zu einem respektierten Mitglied von internationalen Organisationen souveräner Staaten wie der UNO und des EWRs, deren 25- bzw. 20-jähriges Beitrittsjubiläum wir dieses Jahr ebenfalls feiern können.

Selbst wenn wir heute von einigen unangenehmen Sparmassnahmen betroffen sind, gehört Liechtenstein weiterhin zu jenen Standorten mit der höchsten Lebensqualität. Wir können uns daher glücklich schätzen, uns über diese Entwicklung freuen und stolz darauf sein.

Der Staatsfeiertag ist aber nicht nur ein Tag des Feierns, sondern auch ein Moment darüber nachzudenken, wie es zu dieser so erfolgreichen Entwicklung gekommen ist bzw. welche Erfolgsfaktoren dafür verantwortlich waren, vor welchen Herausforderungen wir in den kommenden Jahren stehen und was nötig sein wird, damit wir uns weiterhin gut entwickeln und glücklich schätzen können.

Zum Erfolg Liechtensteins in den letzten Jahrzehnten haben verschiedene Faktoren beigetragen. Ganz wichtig war, dass Fürst und Volk in einer sehr kritischen Lage an Liechtenstein geglaubt haben. Wir waren bereit, einen grossen Einsatz zu leisten, um die Souveränität des Staates den Zugang zu den Absatzmärkten zu sichern. Wir konnten diesen Einsatz leisten, weil wir vorsichtig mit den Finanzmitteln umgingen und den Staat nicht für alles verantwortlich machten, sondern auf Eigenverantwortung setzten. Wir legten Wert auf eine gute Bildung und attraktive Rahmenbedingungen für die Wirtschaft, insbesondere auf Rechtsstaatlichkeit, liberale Regulierungen, niedrige Abgaben und einen flexiblen Arbeitsmarkt.

Den Erfolg begünstigt haben auch die Verfassung von 1921 und der Umstand, dass der Fürst seinen Wohnsitz 1938 nach Liechtenstein verlegt hatte. Dies brachte eine grosse Stabilität, was für das Gedeihen einer Wirtschaft von grundlegender Bedeutung ist. Gleichzeitig erlaubt unser Staatssystem aber auch dann schnell zu reagieren, wenn Chancen rechtzeitig ergriffen werden müssen.

Liechtenstein ist es in der Vergangenheit jeweils gelungen, zum richtigen Zeitpunkt die Weichen neu zu stellen, insbesondere: 1923 durch den Zollvertrag mit der Schweiz, 1995 mit dem Beitritt zum EWR oder 2009 beim Informationsaustausch in Steuerfragen. Für den Erfolg Liechtensteins seit dem Zweiten Weltkrieg waren aber auch Faktoren verantwortlich, die ausserhalb unserer Gestaltungsmöglichkeiten lagen. Wir profitierten von einer bisher nicht gekannten Friedensperiode und der wirtschaftlichen Entwicklung in Europa – unserem wichtigsten Absatzmarkt. Die Globalisierung mit der Beseitigung von Handelshemmnissen und Kapitaltransferbeschränkungen erlaubte nicht nur ein Gedeihen des Industriestandortes sondern auch des Finanzplatzes. Als Kleinstaat kam uns ausserdem sehr die gute Zusammenarbeit mit unseren beiden ebenfalls besonders stabilen und erfolgreichen Nachbarstaaten zugute.

Wenn uns heute einiges schwerer fällt, so hat dies vor allem damit zu tun, dass sich das internationale Umfeld geändert hat. Dafür sind weitgehend Änderungen von Rahmenbedingungen verantwortlich, die wir als Kleinstaat nicht beeinflussen können, wie: die wirtschaftlichen Schwierigkeiten wichtiger Absatzmärkte, der ungünstige Wechselkurs und die internationale Regulierungsflut als Folge der globalen Finanzkrise.

Obwohl wir primär durch das geänderte internationale Umfeld herausgefordert sind, sollten wir uns auch mit Änderungen in dem von uns beeinflussbaren Umfeld auseinandersetzen. Durch die stetig steigenden Einnahmen hatte der Druck, klare Prioritäten zu setzen, abgenommen – sowohl auf staatlicher als auch oftmals auf privater Seite. Entsprechend schwierig fällt es uns teilweise heute, das von uns beeinflussbare Umfeld kritisch zu hinterfragen und auch unpopuläre Massnahmen zu setzen.

Was ist aber für eine erfolgreiche Zukunft nötig? Einerseits müssen wir weiterhin an den Faktoren arbeiten, die auch für die positive Entwicklung Liechtensteins in den letzten 75 Jahren entscheidend waren: wir müssen wieder an uns glauben, hart arbeiten und nicht einfach für alles nach dem Staat rufen, sondern Eigenverantwortung zeigen, wir müssen unsere Stabilität bewahren und unseren Staatshaushalt sowie unsere Sozialversicherungen auf eine finanziell nachhaltige Basis stellen und wir müssen unser Bildungssystem und die Rahmenbedingungen für unsere Wirtschaft weiter verbessern.

Andererseits sollten wir aber auch lernen, uns wieder mit weniger zufrieden zu geben, unsere Wünsche realistischer zu formulieren und unseren Möglichkeiten entsprechend anzupassen. Wir sollten einfach akzeptieren, dass nicht mehr alles möglich ist, was wir uns in der Vergangenheit – teilweise auch über unsere Verhältnisse – geleistet haben.

Liebe Liechtensteinerinnen und Liechtensteiner

Auch wenn wir gezwungen sind, unseren Gürtel enger zu schnallen, brauchen wir keine Angst vor der Zukunft haben. Im Gegenteil – ich bin überzeugt, dass Liechtenstein ein Standort von weltweit höchster Lebensqualität bleiben wird. Lasst uns aber so wie in früheren Jahrzehnten dort, wo wir Gestaltungsmöglichkeiten haben, gemeinsam konsequent an unseren Erfolgsfaktoren arbeiten. Dann werden uns auch weiterhin viele um unseren Staat beneiden.

Nach der Ansprache des Landtagspräsidenten lade ich Sie im Namen meiner Familie zu einer Stärkung vor dem Schloss ein. Von Herzen danke ich all jenen, die an der Gestaltung des Staatsfeiertages mitgewirkt haben, und wünsche Ihnen allen einen schönen Festtag und Gottesm Segen.

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