Mit dem Geruch der Schafe

Zwei Jahre Franziskus

Zwei Jahre Franziskus: Anders als im Vatikan haben die offenen Baustellen des Papstes seiner Beliebtheit bei den Italienern keinen Abbruch getan.

Von Guido Horst

Rom, Die Tagespost, 11. März 2015

Als Franziskus vor zwei Jahren, am Abend des 13. März, auf die Loggia des Petersdoms trat, um sich der überraschten Welt zum ersten Mal im Papstgewand zu zeigen, wusste er genau, was er tat. Es wäre naiv und fast unmenschlich zu glauben, dass Jorge Mario Bergoglio, der schon im Konklave von 2005 zu den heissen Kandidaten gehörte, sich in den Jahren danach in Buenos Aires nicht hin und wieder gefragt hätte, was er denn machen würde, wenn er an der Stelle von Joseph Ratzinger das Petrusamt übernommen hätte.

Und ebenso kann man annehmen, dass sich Kardinal Bergoglio vor zwei Jahren, als er schon im Vorkonklave spürte, dass ihn eine starke Gruppe unter den Papstwählern wieder ins Auge gefasst hatte, in den letzten Tagen vor seiner Wahl nicht hin und wieder überlegt hat, wie er diesen ersten, entscheidenden Augenblick der Kontaktaufnahme mit der Welt gestalten sollte.

Franziskus trat auf die Loggia, sagte “Guten Abend”, bezeichnete sich als Bischof der Römer, verbeugte sich vor dem Volk und liess es für ihn beten. Die Welt war begeistert. Die Welt, nicht irgendeine Splittergruppe von Kirchenjournalisten oder Basiskatholiken. Der neue Papst in Rom ist immer noch ein universales Medienereignis. In der Meinung, dass der weisse Rauch vor allem Römer auf den Petersplatz locken würde – das Publikum war dann in Wirklichkeit wesentlich internationaler –, stellte sich Franziskus den Wartenden als ihr Bischof vor. Was ja auch richtig ist. Und diese erlebten einen “einfachen” Papst, ohne Mozetta oder päpstlichen Insignien, ohne komplizierte Sprache, der sich den Namen Franziskus gegeben hatte, den Namen eines “armen Mannes Gottes” und Kirchenrevolutionärs, der in Italien genauso populär ist wie Pater Pio oder Antonius von Padua.

Indem er sich am Wahlabend als Bischof seines Volks präsentierte, traf Papst Franziskus genau in die Herzmitte seiner Theologie. Von der Theologie des Volkes ist in Lateinamerika viel die Rede. Wobei man vorsichtig sein sollte, bei jedem hermeneutischen Schlüsselbegriff immer gleich von Theologie zu sprechen: Theologie der Befreiung, Theologie des Volkes, Theologie der Frau… Für Franziskus geht es da auch nicht in erster Linie um theologische Konstruktionen, sondern um Stil, Spiritualität und Geisteshaltung: Der Hirte solle nach seinen Schafen riechen, Kirche habe eine Kirche der Armen zu sein, es gehe darum, in die Randbezirke zu gehen, das Zentrum jeder Pastoral sei die Barmherzigkeit des Seelsorgers, der sich den liebenden Blick Jesu Christi zu eigen macht.

Auch wenn sich in Deutschland und einigen anderen Weltgegenden wie Nordamerika das Franziskus-Bild in letzter Zeit aufgrund einiger unglücklicher Formulierungen von Franziskus leicht getrübt hat, stieg die Beliebtheitskurve des Papstes vom anderen Ende der Welt in Italien in unglaubliche Höhen und ist auf diesem hohen Niveau verblieben. Seine Art, ein Mann des Volkes zu sein, kommt bei den Menschen an. Und Franziskus kann sich Schnitzer leisten, so viel er will, von Karnickeln reden, vom Schlagen der Kinder, vom Fausthieb gegen den Beleidiger seiner Mutter, er kann immer wieder vom Teufel sprechen und anderen “vormodernen” Dingen – die Zustimmung, die Bergoglio in Italien entgegenschlägt, bleibt konstant auf höchstem Niveau, bei Katholiken wie bei Laikalen, bei Linken wie bei Rechten. Unter den italienischen Bischöfen und vor allem in der Römischen Kurie ist das anders. Im Vatikan ist die Stimmung, was den Papst angeht, stattdessen regelrecht schlecht.

Schnell und unverzüglich hat sich Papst Franziskus an die Aufgaben gemacht, die ihm die zu Vorkonklave und Papstwahl zusammengekommenen Kardinäle vor zwei Jahren mit auf den Weg gegeben haben, vor allem, nach dem unsäglichen Fall Vatileaks hinter den heiligen Mauern aufzuräumen und die Kurie zu reformieren. Franziskus berief acht Kardinäle aus den unterschiedlichsten Weltgegenden, die ihn dabei beraten sollten und die sich alle durch eine Eigenschaft auszeichneten: die Arbeit der Kurie nicht von innen zu kennen. Später hat Franziskus den Staatssekretär dazu nominiert, der kennt sich mit dem Vatikan aus, muss sich aber etwas zurückhalten, sein Amt steht schliesslich auch auf dem Prüfstand. Manchen Kurienprälaten graust es, wenn er in Interviews liest, wie sich die acht beziehungsweise neun Ratgeber-Kardinäle die Neuerungen im Vatikan vorstellen. Als sich der Chef der Gruppe, Kardinal Óscar Rodríguez Maradiaga aus der schwindsüchtigen Ortskirche von Honduras darüber ausliess, dass man die drei Gerichtshöfe des Apostolischen Stuhls samt des Päpstlichen Rats für die Gesetzestexte zu einer Art vatikanischem “Justizministerium” zusammenlegen könne, standen nicht nur Kanonisten die Haare zu Berge.

Die zweite Baustelle, die Franziskus eröffnet hat, war der synodale Prozess zu Ehe und Familie, dem der Papst insofern eine bestimmte Richtung gab, indem er dem deutschen und in Lateinamerika viel gelesenen Theologen und emeritierten Kurienkardinal Walter Kasper den Auftrag gab, die Debatte im Februar 2014 mit einem Grundsatzreferat zu eröffnen. Kasper tat das und liess seine Überlegungen wie erwartet in der Frage gipfeln, ob es nicht Fälle gebe, in denen man die Wiederverheirateten zur Kommunion zulassen könne. Seitdem gärt es – weit über den Vatikan hinaus. Es ist ein bisweilen wütendes Pro und Contra: Kardinäle, Bischöfe und Theologen schreiben Bücher, geben Interviews, stechen Informationen an Medien durch oder verhaspeln sich. Wie etwa Kardinal Kasper, der dem Streit mit einer unglücklichen Bemerkung über die Amtsbrüder aus Afrika auch noch eine rassistische Note gab. Gleichzeitig beauftragte Franziskus seinen Synodensekretär Baldisseri, den er vorher zum Kardinal gemacht hatte, in Sachen Sex und Ehemoral per Befragungen der Ortskirche des Volkes Stimmung zu ermitteln. Was bei dem synodalen Prozess zu Ehe und Familie, bei dem es eigentlich um Mission und Evangelisierung geht, am Ende herauskommen soll, weiss bisher niemand. Auch Franziskus schweigt.

Es gibt Äusserungen des Papstes, dass er sein Amt wohl drei, vier Jahre ausüben wolle. Dann hätte er jetzt so eine Art Halbzeit erreicht. Sicher ist jedoch, dass das nun beginnende dritte Amtsjahr für den Jesuiten-Papst und sein Pontifikat das entscheidende ist: die Weichen bei Kurienreform und synodalem Prozess werden in diesem Jahr gestellt. Grosse Unsicherheit liegt über dem Vatikan. Der ungeheuren Popularität von Franziskus bei den Italienern hat das bisher keinen Abbruch getan.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kategorien

Die drei Säulen der röm. kath. Kirche

monstranz maria papst-franziskus

Archiv

Empfehlung

Ausgewählte Artikel