Kann Zorn heilig sein?
Impuls zum 3. Fastensonntag 2015 – Jahreskreis B
Münster, Msgr. Dr. Peter von Steinitz
In unserer hoch entwickelten Gesellschaft gilt der Zorn als etwas Ungehöriges. “Wer schimpft, hat unrecht”.
Wie können wir die Szene des heutigen Evangeliums, wo der Zorn Jesu geschildert wird, in unser Weltbild einordnen?
Jesus ist erzürnt darüber, dass die Händler, die zahlreiche zum Tempeldienst notwendigen Accessoires verkaufen, ihre Geschäfte im Tempel selbst abwickeln. Wir können uns das lebhaft vorstellen: da wurden vor allem Opfertiere gekauft und verkauft.
Denken wir an die Darstellung des Herrn, wo Josef und Maria nach der Vorschrift des Mose, ein Paar Turteltauben, oder, im Falle von Armut, zwei junge Tauben opfern mussten, um das Kind, den erstgeborenen Sohn, der per definitionem Gott gehörte, wieder zurück zu kaufen. Aber nicht nur Tauben wurden verkauft, auch ‘lästigere’ Tiere, wie Ziegen und Schafe. Bei einer grösseren Anzahl von solchen Opfertieren gibt es eine Menge Lärm und lästigen Geruch. Absolut unpassend für einen heiligen Ort der Gottesverehrung.
Hier sehen wir aber, was es um den Zorn Jesu ist. Keineswegs ist er einfach wütend, keineswegs lässt er sich gehen. Sein Wunsch ist es nicht, an den Händlern seine Wut auszulassen. Was er will, ist einfach nur, dass das unwürdige Treiben aufhört. Aber auch nicht nur das, sondern dass die beteiligten Leute zur Einsicht kommen und die Heiligkeit des Ortes respektieren.
Er weiss genau, dass es ihm nicht gelingen würde, sich durchzusetzen, wenn er, wie es eigentlich seine Art ist, ruhig und deutlich zu ihnen spräche. Bei dem Lärm und der derben Art der Händler wäre dieses Vorgehen zum Scheitern verurteilt. Er muss laut werden, sonst würden sie ihn nicht verstehen. Wir können hier tatsächlich von einem heiligen Zorn sprechen, denn der Beweggrund Jesu, der jedem Menschen seine Liebe erweist, weil er will, dass jeder Mensch gerettet wird, ist auch hier nur die Liebe.
Da Jesus vollkommener Gott und auch vollkommener Mensch ist, müsste also der Zorn generell für jeden Menschen eine mögliche Option, nicht nur etwas rein Negatives sein.
Schauen wir einen Moment lang auf die innere ‘Konstruktion’ des Menschen, wie er in seinem Seelenleben gebaut ist. Tatsächlich ist sein Inneres dem Äusseren ähnlich. Bei beiden ist das Wichtige oben. So wie beim äusseren Körper der Kopf das wichtigste Element ist, so sind beim inneren Menschen die Seelenkräfte ebenfalls sozusagen hierarchisch geordnet. Die höchsten und obersten Seelenkräfte sind Verstand und Wille, oder auch Erkenntnisvermögen und Liebesfähigkeit. Diese beiden müssen alle ‘darunter’ liegenden Seelenkräfte dirigieren und beherrschen.
In der zweitobersten ‘Etage’ sehen wir beim Menschen die Gefühle. Jeder weiss, wie wichtig sie sind, aber sie müssen sich dem Verstand und dem Willen unterordnen. Wie oft kommt es vor, dass ein grosses Gefühl, z.B. Verliebtheit, so mächtig wird, dass es sich verselbständigt. Die tausendfach vorkommende Ursache für Ehekatastrophen (‘Ich liebe doch jene Frau, für meine jetzige Frau empfinde ich nichts mehr’). Hier muss der Verstand und der Wille das ausufernde Gefühl in die Schranken weisen.
Eine weitere ‘Etage’ tiefer: die Leidenschaften. Dazu gehört, neben anderen, der Zorn. Fast immer ufert der Zorn aus, und es geschehen unangenehme Situationen. Aber auch die Leidenschaften können und sollen von der ‘Chefetage’ aus beherrscht werden, wie wir es soeben bei Jesus, dem Herrn, gesehen haben.
Alle Seelenkräfte – auch die noch weiter unten angesiedelten Instinkte – haben ihren Sinn und sind von Gott geschaffen. Auch die sexuelle Leidenschaft, wenn sie richtig geordnet und dirigiert wird, ist sehr sinnvoll. Denn wäre sie nicht, würde das menschliche Geschlecht sich nicht fortpflanzen. Überflüssig zu erwähnen, dass sie oft nicht von ‘oben’ kontrolliert wird, und dass dann all die Dinge passieren, die vielen Menschen Leiden verursachen.
Als die Juden Jesus zur Rede stellen wollen, spricht der Herr etwas rätselhaft vom Tempel, den er in drei Tagen wieder aufbauen werde, und er meint damit den Tempel seines Leibes.
Wieder einmal verstehen seine Jünger nicht, was er damit meint. Wir, die ‘Spätgeborenen’ verstehen das besser, aber auch wir müssen uns immer wieder neu auf die Worte Jesu einlassen, um ihren manchmal verborgenen Sinn zu verstehen.
Oft geht es uns wie den Emmaus-Jüngern, denen Jesus den tieferen Sinn seiner Passion erklärt: “Musste der Messias nicht all das erleiden, um so in seine Herrlichkeit einzugehen?”
Msgr. Dr. Peter von Steinitz, war bis 1980 als Architekt tätig; 1984 Priesterweihe durch den hl. Johannes Paul II.; 1987-2007 Pfarrer an St. Pantaleon, Köln; seit 2007 Seelsorger in Münster. Er ist Verfasser der katechetischen Romane: “Pantaleon der Arzt“, “Leo – Allah mahabba“ (auch als Hörbuch erhältlich) und “Katharina von Ägypten“.
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