“Hören wir auf, andere zu verspotten !”
Obiora Ike sorgt sich um Frieden in der Welt
Obiora Ike, katholischer Priester aus Nigeria und Direktor des Catholic Institutes for Development, Justice and Peace in Enugu, sorgt sich um den Frieden in der Welt. Ike, der in Bonn studierte und unter anderem seine nigerianische Regierung beim Christlich-Islamischen Dialog berät, fordert mehr Sensibilität und Respekt füreinander.
Von Martin Lohmann
Die Tagespost, 16. Januar 2015
Professor Ike, sind Sie Charlie?
Nein, ich bin nicht Charlie, ich bin Obiora Ike.
In Europa sieht man überall Schilder und hört Bekundungen mit dem Bekenntnis: “Je suis Charlie“. Warum machen Sie das nicht?
Die Menschen in Europa sollen ihre Gefühle gerne so ausdrücken. Dieser Terrorismus ist ein schreckliches Vergehen gegen die Menschheit insgesamt. Aber: Dieses Attentat macht aufmerksam darauf, dass es so etwas jeden Tag überall auf der Welt gibt. Bei uns in Nigeria sind schon unzählig viele Menschen von islamistischen Terroristen getötet worden. Erst jetzt wurden wieder viele Christen ermordet. Boko Haram wütet seit langer Zeit bei uns, ist ein Ableger von Al Kaida und will einen islamischen Gottesstaat. Also: Man kann nicht nur “Charlie” sein! Wir müssen uns gegen den Terror überall wenden. Es heisst, in Paris habe es ein Attentat gegen die Pressefreiheit gegeben. Deshalb sagen so viele: Ich bin Charlie. Aber das ist mir zu kurz gedacht.
In diesem Zusammenhang wird auch immer wieder die Blasphemie genannt und die Freiheit, religiöse Gefühle rücksichtslos verletzen zu dürfen. Gibt es ein Recht auf Blasphemie?
Für uns Christen gilt: Du sollst den Namen Gottes nicht verunehren. Das ist Teil der Zehn Gebote, die auch die Juden kennen. Etwas Ähnliches gibt es auch in anderen Religionen. Und hier geht es auch um einen Schutz für das Sakrale, das immer besonders schützenswert ist. Respekt ist ein Ausdruck von Kultur und Bildung. Wir brauchen mehr davon, nicht weniger. Die Welt braucht mehr Dialog des Herzens. Wir brauchen mehr Sensibilität, aber viel weniger Provokationen. Verspotten ist nichts Gutes. Hören wir doch auf, andere zu verspotten. Das wäre ein Fortschritt. Sonst ist der Friede überall gefährdet.
Werden die mörderischen Aktionen der islamistischen Boko Haram in Europa ausreichend wahrgenommen?
Ich finde das sehr bedauerlich. Ich finde es schade, dass man viel zu häufig wegschaut, was bei uns wirklich passiert und wer wir wirklich sind. Afrika scheint nicht besonders im Blickfeld europäischer Politiker zu liegen. Afrika ist für viele eher ein Kontinent zur Ausbeutung, aber kein Kontinent auf Augenhöhe. Es gibt für viele Europäer noch keine Gleichstellung zwischen hier und dort. Man meint, Afrika sei ein dunkler Kontinent mit barbarischen Leuten. Das aber ist grundlegend falsch. Afrika ist die Wiege der Menschheit. Deshalb ist die Missachtung unseres Lebens immer wieder schmerzlich. Und: Afrika ist nicht weit weg, nicht fern. Afrika liegt vor der europäischen Haustür. Afrika ist Ressourcenkontinent. Afrika ist der Kontinent der Arbeiter. Je schneller unsere europäischen Geschwister uns als Geschwister erkennen und begreifen, dass alle die Probleme unsere gemeinsamen Herausforderungen sind, desto weniger wird es ein “Charlie” geben. Wir alle müssen aufmerksamer sein füreinander. Europa und Afrika müssen endlich gut zusammenarbeiten. Boko Haram ist ein Ableger von Al Kaida. Es geht also nicht nur uns in Nigeria etwas an, sondern die ganze Welt. Wenn wir den Frieden überall wollen, müssen wir den Terror überall bekämpfen. Am besten gemeinsam.
In wenigen Wochen wird in Nigeria gewählt. der christliche Präsident trifft auf einen islamischen Herausforderer. Wie sieht die Prognose von Obiora Ike aus?
Das Wichtigere über beide Kandidaten ist: Beide sind Nigerianer. Das verbindet. Es wird einen harten Wahlkampf geben, aber ich gehe davon aus, dass unser Präsident wiedergewählt wird. Doch er muss mehr Profil zeigen, zum Beispiel gegen Korruption. Sein Herausforderer war einmal Diktator bei uns, hat Nigeria regiert. Das vergessen unsere Leute nicht so schnell. Unser Präsident wird sehr viel mehr tun müssen für die Infrastruktur unseres Landes. Und er wird kräftig daran arbeiten müssen, dass unser grosses und wichtiges Land eine grössere Rolle in der Weltpolitik spielen kann.
Aus Afrika strömen viele Flüchtlinge nach Europa. Darüber wird auch viel diskutiert. Wie ist die Sichtweise des Nigerianers Obiora Ike, der auch in Deutschland Heimat hat?
Eigentlich gehört die Welt niemandem. Wir alle sind Migranten. Wir sind von Gott erschaffen, kommen herein in die Welt und verlassen sie wieder, wenn wir sterben. Wir brauchen eine offene Herzensbereitschaft, Menschen zu helfen, die in Not sind. Wer aus einem brennenden Haus flieht, dem darf man nicht sagen, laufe doch wieder zurück in dein Haus. Wir sind alle Geschwister. Aber wir müssen den Menschen auch helfen, dass sie wieder zurückkehren können in ihre Heimat, wo sie mehr Schutz und Hilfe verdienen. Es muss doch klar sein: Menschen in Not brauchen Hilfe. Ohne Wenn und Aber. Sie brauchen offene Arme und offene Herzen. Das ist menschlich und menschenwürdig. Wir müssen Mensch sein!
Welches sind die grössten Probleme Europas?
Sprechen wir besser von Herausforderungen. Und da sehe ich vor allem die Klärung der Frage: Was ist die europäische Identität? Ich glaube, dass Europa unter einem grossen Identitätsmangel leidet, ihn aber noch nicht richtig als solchen erkannt hat. Wer sind wir als Europäer? Christlich? Abendländisch? Das ist völlig unklar. Wer seine Vergangenheit und Herkunft nicht kennt, kann auch keinen Weg in die Zukunft finden.
Hat Europa zu sehr Gott vergessen?
Das weiss ich als Afrikaner nicht. Aber ich sehe, dass der Glaube weniger lebendig ist, die Kirchen leer sind und es vielleicht zu wenig Anbetung gibt. Gott kann nicht die Welt verlassen, auch nicht Deutschland und Europa. Er bleibt und ist da, bietet sich immer wieder an, auch wenn man mal eine längere Zeit weghört. Also: Die Sache mit der Gottvergessenheit muss jeder in Europa selbst beantworten.
Sie beraten auch Ihre Regierung im christlich-islamischen Dialog. Die Gottesvorstellungen sind sehr unterschiedlich. Wie soll der Dialog nicht nur in Nigeria geführt werden?
Wir brauchen den Dialog des Herzens, den Respekt gegenüber dem anderen. Wir sind alle verschieden, jeder Fingerabdruck ist anders. Das sollten wir respektieren. Das Problem bei uns in Nigeria ist, dass manche Moslems meinen, sie dürften andere töten, wenn diese nicht dasselbe denken und glauben wie sei selbst. Dann haben wir Terror und Krieg, aber keine Chance für den Frieden. Jeder extreme Fanatismus und Fundamentalismus muss aufhören! Sonst kann es keinen wirklichen und guten Dialog geben.
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