Bis zur letzten Minute putzt sich Manila für den Besuch des Papstes heraus

Das katholischste Land Asiens hat sich für den Papstbesuch herausgeputzt, doch die Kluft zwischen Arm und Reich ist auf den Philippinen nicht zu übersehen

Bis zur letzten Minute putzt sich Manila für den Besuch des Papstes heraus

Die Tagespost, 14. Januar 2015

Von Stephan Baier

Bis zur letzten Minute putzt sich Manila für den Besuch des Papstes heraus. Da werden sonst vielbefahrene Strassenzüge der philippinischen Hauptstadt komplett für den Verkehr gesperrt und gesäubert, die Einfassungen der Bäume werden neu gestrichen. Selbst die Kathedrale, die schon Paul VI. bei seiner Asien-Reise 1970 besuchte und in der Johannes Paul II. 1981 eine Messe feierte, ist zwei Tage lang gesperrt, um für das Kommen des Papstes schön gemacht zu werden. Da stand die neue Kathedra mit dem Wappen von Franziskus bereits. Wenn der Heilige Vater am Donnerstag um 17.45 Uhr Ortszeit landet, werden auf Anordnung des Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Erzbischof Socrates B. Villegas von Lingayen-Dagupan, im ganzen Land die Kirchenglocken läuten, um den Papst willkommen zu heissen. “Diese Geste des Willkommens für den Heiligen Vater ruft auch jene Menschen, die nicht in der Lage sein werden, ihn persönlich zu sehen, dazu auf, während seines Philippinen-Besuchs wenigstens für den Heiligen Vater zu beten”, erklärte Erzbischof Villegas.

Millionen Filipinos werden den Papst – zumindest von ferne – persönlich sehen. Von 20 Millionen spricht einer der Leiter des kirchlichen Medienzentrums, Raymond Bandril, gegenüber der “Tagespost”. Die Eucharistiefeier am Sonntagnachmittag im zentralen Rizal-Park könnte den Rekord von 1995 noch übertreffen. Damals, vor genau zwei Jahrzehnten, kamen während des Weltjugendtages mehr als fünf Millionen Gläubige zur Messe mit Johannes Paul II. – die grösste Menschenansammlung aller Zeiten. Der Papst musste mit dem Helikopter zum Altarplatz geflogen werden, weil das Papamobil nicht mehr durchkam. Diesmal haben die Sicherheitsbehörden insbesondere älteren und gesundheitlich beeinträchtigten Menschen geraten, den Papst lieber vor den Fernsehbildschirmen zu begleiten. In manchen Kirchen wurden Leinwände für die Fernsehübertragung aufgebaut, damit die Gläubigen in der Kirche dem Papst nahe sein können. Nach Angaben von Staatspräsident Benigno Aquino sind rund 50 000 Sicherheitskräfte zum Schutz des Papstes im Einsatz. Tausende Freiwillige proben seit Tagen, Sicherheitsbarrieren für den Papst zu bilden.

Nicht nur Staat und Kirche haben sich seit Monaten auf diesen Moment vorbereitet. “Pepsi“ hat ganze Strassenzüge grossflächig mit dem Konterfei von Franziskus plakatiert. Auch andere Firmen oder Restaurants heissen den Papst auf Plakaten willkommen. Über all das schmunzelt Raymond Bandril nur. Ein T-Shirt mit dem Logo des Papstbesuchs und der Aufschrift “Keine Rasse. Keine Religion. Ich bin für Verschiedenheit“ ging den Bischöfen dann aber doch gegen den Strich. “Irreführend und ziemlich offenkundig falsch” nannte Erzbischof Villegas diese Aktion.

Nicht zum ersten Mal stellt sich die Frage, ob Franziskus, der ja eine “arme Kirche für die Armen” wünscht, herausgeputzte Fassaden, die vielzitierten Potemkinschen Dörfer, sehen will, ob nicht gerade dieser Papst lieber die missbrauchten Mädchen und die Bewohner der Slums in ihrem Elend trösten wollen würde. Marco Evangelista, ein Redakteur des asienweit missionierenden kirchlichen Senders “Radio Veritas”, stimmt im Gespräch mit der “Tagespost“ leidenschaftlich zu: “Der Papst sollte Slums wie in Tondo oder Quezon City sehen!“ Man müsse ihm auch die andere Seite der Medaille zeigen: das Elend, die Armut und die politische Korruption auf den Philippinen. In Tacloban wird Franziskus am Samstag mit Opfern des Taifuns Yolanda (Haiyan) zusammentreffen, der im November 2013 über die Inselgruppe hinwegfegte, zehntausend Menschen tötete und 4,3 Millionen obdachlos machte. In Manila werde er eher der Ober- und Mittelschicht begegnen, meint Marco Evangelista. Die Pfarreien hätten für das Familientreffen und die Eucharistiefeier Kontingente bekommen und vergeben – meist wohl nicht an die Ärmsten, sondern an die Aktivsten. Mitunter auch an ihre Spender, wie der betont marianische Radiojournalist lachend vermutet.

Die katholische Kirche, die auf den Philippinen fast 85 Prozent zu den Ihren zählt, hat ssWert darauf gelegt, dass die Vorbereitung auf den vierten Papstbesuch in der Geschichte des Landes nicht in Äusserlichkeiten verharrt: Die Bischöfe erklärten das Jahr 2015 zum “Jahr der Armen“, bereiteten ihre Gläubigen seit Wochen mit Gebet und Fasten auf den Besuch vor. Zur Einstimmung seien die Filipinos aufgerufen, jeden Tag “einen Akt der Barmherzigkeit zu machen, etwa Hungernden Essen zu geben, dabei zu helfen, den Katastrophenopfern ein neues Heim zu bauen, Gefangene, Kranke oder Waisenkinder zu besuchen“, sagt der Vorsitzende der Bischofskonferenz. Die Zeit der Vorbereitung sei eine “Zeit, die geistigen und körperlichen Akte der Barmherzigkeit neu zu lernen und zu leben“, so Villegas, der die Katholiken nachdrücklich zum Empfang des Bußsakraments aufrief.

Die kommunistische Guerilla und die Regierung verkündeten eine Waffenruhe, die bis zur Abreise des Papstes halten soll. Der Präsident verfügte überdies anlässlich des Papstbesuches eine Amnestie für ältere und kranke Gefängnisinsassen. Und der Vorsitzende des Imam-Rates, Moxsir al-Haj, forderte die philippinischen Muslime auf, den Weisungen des Papstes zu Frieden und Versöhnung zu folgen, denn dies sei der einzige Weg, den Terrorismus zu besiegen.

Der Glaube blüht auf den Philippinen. Der Aberglaube auch. Kein Wunder, dass da selbst die Lotterien mit Heiligenbildern werben. Auch Sekten greifen um sich, etwa die “Iglesia ni Cristo”, die – anders als ihr Name suggeriert – die Gottheit Jesu leugnet. Ein philippinischer Katechist beschreibt gegenüber dieser Zeitung diese zur Ökumene unfähige Sekte als mafiose Organisation, die Politiker gezielt korrumpiere und Beamte erpresse, um immer mehr Macht und Reichtum zu gewinnen. Rund vier Prozent gehören dieser Sekte an.

Manchmal habe sie den Eindruck, der einst von den spanischen Kolonialherren vermittelte Glaube sei zwar angenommen worden, aber doch nicht ganz bis ins Herz gegangen, sondern vermische sich mit allerlei Traditionen, meint eine Sozialarbeiterin beim Spaziergang durch die Slums von Tondo. Sie versucht mit der katholischen Hilfsorganisation “Fidesco“ jungen Frauen aus den Slums zu einem mündigen, selbstbestimmten Leben zu verhelfen. Leicht ist das nicht, denn viele sind Analphabeten, wohnen im Slum auf allerengstem Raum, erleben viel häusliche Gewalt – vor allem aber Elend. Hier lernen sie Englisch, Geografie und unterschiedliches Handwerk – vor allem aber Selbstvertrauen.

“Ich bin 24 Jahre, habe zwei Kinder und will einmal Köchin werden”, sagt eine junge Dame. Ihre Nachbarin im selben Alter hat bereits vier Kinder. Manchmal verweigern die Ehemänner oder Lebensgefährten die Weiterbildung der jungen Frauen, denn das bringt ein Ungleichgewicht in die bestehenden Familienstrukturen. Manche Frauen haben Kinder von unterschiedlichen Männern, die sich schnell wieder aus dem Staub machten. Sich an einen neuen Mann zu binden – nicht jeder “husband“ ist tatsächlich der Ehemann – ist dann oft eine Frage des Überlebens. Christliche Moral zu verkündigen ist in diesem Elend, wo das Überleben an erster Stelle steht, gar nicht einfach. Manche Frauen wären etwa zur natürlichen Familienplanung nach den Regeln der Kirche bereit – nicht aber ihre “husbands“. Zumal Kinderreichtum selbst in fragilen Familien noch als Alterssicherung gilt. Mehr als ein Drittel aller Filipinos ist – ganz anders als im vergreisenden Europa – unter 14 Jahre alt. Die Bevölkerung wächst rasch.

Mit nacktem Oberkörper trennen die Männer am Rande des Slums von Tondo den gesammelten Müll, um ihn zu verwerten. Autoreifen, Essensreste aus Restaurants, Haushaltsabfälle: alles findet eine Wiederverwertung. In den engen Hütten sitzen Kinder und schälen einen riesigen Sack voll Knoblauch – stundenlang. 75 philippinische Pesos bekommt die Familie dafür, rund 1,50 Euro. Nackt oder halbnackt streunen die kleineren Kinder durch die schmutzigen Strassen. Die meisten sind kontaktfreudig und fröhlich, wissen noch nicht, dass sie kaum eine Perspektive haben. 30 Millionen Einwohner leben auf den Philippinen unter der Armutsgrenze. Nach Schätzungen von Wohltätigkeitsorganisationen wurde fast ein Drittel der Frauen während ihrer Jugend Opfer körperlichen Missbrauchs. Auf 1,5 Millionen wird die Zahl der Strassenkinder geschätzt. Bis zu 100 000 Kinder sollen Prostitutionsopfer sein.

Viele der Älteren träumen von einem besseren Leben im Ausland. Fast zehn Millionen Filipinos, so schätzen Experten, sind als Gastarbeiter, Arbeitsmigranten oder mitunter auch Arbeitssklaven irgendwo auf der Welt. Viele von ihnen in den arabischen Ländern, wo sie unter sklavenähnlichen Bedingungen für reiche arabische Unternehmen oder Haushalte arbeiten. Allein in Saudi-Arabien, wo jede nicht-sunnitische Glaubensausübung hart diskriminiert wird, leben zwischen 800 000 und einer Million philippinischer Katholiken – eine höchst aktive, doch leise Untergrundkirche. Freier können sie ihren religiösen Bedürfnissen in den Vereinigten Arabischen Emiraten nachgehen. Doch auch hier gehören die philippinischen Gastarbeiter zu den rechtlosen Arbeitern der untersten Klasse, die schlecht behandelt und schlecht bezahlt werden.

In den Slums von Manila kennt man diese grosse, weite Welt kaum. Viele sind nicht einmal amtlich registriert, haben nie eine Geburtsurkunde bekommen. Die wenigsten hier kennen die wohlhabenden Stadtteile der philippinischen Hauptstadt, das mondäne Makati oder die schmucke historische Altstadt “Intramuros“. Arm und Reich prallen in der Megacity Manila, einer der am dichtesten besiedelten Städte der Welt, hart aufeinander. Wie viele Einwohner die aus mehreren Städten zusammengeschweisste Hauptstadtregion “Metro Manila“ tatsächlich hat, kann – vor allem wegen der unablässig wachsenden Slums – niemand sagen: Die Schätzungen schwanken zwischen 12 und 20 Millionen. Vor allem ausländische Missionare sind in den Slums aktiv: spanische, italienische und französische Patres etwa. “Mit ausländischen Missionaren kann man die Leute hier mehr beeindrucken“, meint ein Katechist zur “Tagespost“. Mahnend sagte einmal der Vorsitzende der philippinischen Bischofskonferenz, Erzbischof Socrates B. Villegas, in einem armen Land wie den Philippinen dürfte eigentlich kein Priester reich sterben. Dass der mit der Armut in schnell wachsenden Megacities vertraute Papst aus Buenos Aires auf die frisch gestrichenen Fassaden und Gitter in Manila blicken wird, ohne die dahinter liegende Armut und Not zu erkennen – und zu thematisieren – ist nicht anzunehmen.

Das ist auch der Kirchenleitung klar. So schreibt der Bischof der Diözese Daet, Gilbert A. Garcera, in einem aktuellen Pastoralbrief, der Besuch des Papstes sei ein Segen, aber – mit Blick auf das “Jahr der Armen“ – auch eine grosse Herausforderung für alle philippinischen Gläubigen. Alle Christen seien dazu berufen, “ein Instrument Gottes für die Befreiung und Förderung der Armen zu sein, um sie dazu zu befähigen, voll in der Gesellschaft mitzuwirken“. Erzbischof Socrates Villegas erinnerte daran, dass der Papst in erster Linie die Opfer des Super-Taifuns Yolanda besuche: “Unser mitleidvoller Hirte kommt, um sein tiefes Mitgefühl für unser Volk zu zeigen, das durch zerstörerische Katastrophen gegangen ist.” Und Manilas Kardinal Luis Antonio Tagle ergänzte am Dienstag in einem Fernsehinterview, Franziskus wolle den Menschen nahe sein, “die Taifune überstanden haben; nicht bloss den Taifun Yolanda, sondern die Stürme des alltäglichen Lebens“.

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