Stille Nacht im Niemandsland

Eine ganze Region erinnert an den “Weihnachtsfrieden” von 1914

Kain und AbelQuelle
Der Weihnachtsfrieden 1914
Als Briten und Deutsche Weihnachtsfrieden schlossen

Von Joachim Heinz, KNA

Ypern, kath.net/KNA, 10. Dezember 2014

Irgendwo im Nirgendwo an der Grenze zwischen Belgien und Frankreich: Kalter Winterwind pfeift über Flanderns Felder. Am Rand einer kleinen Strasse südlich von Mesen säubern Arbeiter im Blaumann eine frisch eingelassene steinerne Platte. Rechts daneben steht eine hölzerne Kiste, links davon ein undefinierbares Etwas, verborgen unter Plastiktüten; drumherum liegt frischer Rollrasen. Am Donnerstag wird hier ein Geheimnis gelüftet.

Dann enthüllt UEFA-Präsident Michel Platini ein Denkmal zur Erinnerung an ein besonderes Fussballmatch, das sich vor 100 Jahren genau hier mit Blick auf den Ploegsteert-Wald zugetragen haben soll.

Dezember 1914, Jahr eins des Ersten Weltkriegs: Britische und deutsche Truppen haben sich in Schützengräben an der Westfront eingegraben. Noch ahnt keiner der Männer, dass das Schießen und Sterben vier Jahre dauern wird. Dass der «Große Krieg», wie er im Englischen bis heute heißt, schließlich Millionen Tote fordert. Gleichwohl zeichnet sich im Dezember 1914 ein Stellungskrieg ab. Soldaten auf beiden Seiten hoffen dennoch noch auf einen baldigen Frieden. Und nehmen zum Weihnachtsfest Kontakt mit dem Feind auf.

«Das Ganze geschah völlig spontan», sagt der belgische Historiker Dominiek Dendooven, der im «In Flanders Fields Museum» der Stadt Ypern arbeitet und unter anderem zum Weihnachtsfrieden von 1914 forscht. Dieser «kleine Frieden im großen Krieg» mutet gerade heute, wo Krisen und Konflikte weltweit wieder massiv zunehmen, wie ein Wunder an. Briten, Franzosen und Belgier sowie ihre deutschen Gegner, die tags zuvor noch aufeinander zielten, sangen gemeinsam «Stille Nacht, Heilige Nacht», tauschten im Niemandsland Geschenke – oder organisierten Fußballspiele, wie eben jenes bei Ploegsteert.

Zum 100. Jahrestag erinnert nicht nur das «In Flanders Fields Museum» im Rahmen einer Sonderausstellung an diese Episode. Wer sich in diesen Wochen in der Region umschaut, findet beinahe auf Schritt und Tritt Aktionen und Veranstaltungen, die an das «merkwürdig menschliche Ereignis» erinnern. Große Namen sind dabei: So wird am 20. Dezember der britische Avantgarde-Rockstar John Cale in Mesen ein eigens zu diesem Anlass komponiertes Werk aufführen. Fehlen darf auch nicht der Kinofilm «Frohe Weihnachten» mit Diane Kruger und Daniel Brühl, der 2005 den Weihnachtsfrieden auf die Leinwand brachte.

Mindestens ebenso anrührend wie der Film, den die Kritik damals als «bildgewaltig» und «in der Unmenschlichkeit menschlich» lobte, sind die vielen kleineren Initiativen vor Ort. Beispiel Houplines und Frelinghien in Frankreich, einen Steinwurf von der belgischen Grenze entfernt: «Wir haben in direkter Nachbarschaft gleich zwei konkrete Ereignisse, die mit dem Weihnachtsfrieden verknüpft sind», berichtet Jean Pierre Deseure, der mit weiteren Mitstreitern im Rathaus von Frelinghien eine Ausstellung organisiert hat.

Aus Frelinghien selbst stammten zwei Fässer Bier, die die Deutschen aus einer besetzten Brauerei in Richtung Niemandsland rollten, um mit den gegenüber liegenden Royal Welsh Fusiliers auf den Festtag anzustoßen. An der Grenze zum benachbarten Houpelines fand, so wie angeblich auch in Ploogstaert, ein Fußballspiel statt. Die «Fritze» hätten die «Tommies» 3:2 geschlagen, erinnerte sich später ein Augenzeuge, der deutsche Leutnant Johannes Niemann. Verbrieft ist das Ergebnis nicht. Aber Niemann hielt auch weit nach dem Krieg Kontakt zu den einstigen Gegnern.

«Ich habe noch mit ihm gesprochen», sagt Frelinghiens Bürgermeister Michel Pacaux, der seit Anfang der 1970er-Jahre im Amt ist. Sein Vorgänger Isaac Masse, so erzählen sie es hier, habe damals aus der Ferne die Anfeuerungsrufe für die Spieler gehört. Zum Gedenken findet an diesem Wochenende ein Fußballmatch zwischen deutschen und britischen Soldaten statt. Ebenfalls eingeplant in Frelinghien ist ein ökumenischer Gottesdienst. «Meine Predigt steht noch nicht ganz», sagt der katholische Pfarrer Dominique Lemahieu. Aber am Schluss stehe die Bitte an Gott, «dass die Gewalt der Sanftmut weichen und Friede in der Welt herrschen möge».

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