Warnung vor Religionskrieg
Heiliges Land: Bischöfe besorgt angesichts der sich ausbreitenden Gewalt
Die Tagespost, 10. November 2014, Von Oliver Maksan
Trauer über Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern.
Die Bischöfe des Heiligen Landes zeigen sich angesichts der sich ausbreitenden Gewalt besorgt. Der Lateinische Patriarch von Jerusalem, Fuad Twal, sagte jetzt im Gespräch mit der KNA, dass es schwierig sei, vorherzusehen, was in einem Monat sein werde. “Ich weiss es nicht, alles ist möglich. Was wir für heute voraussagen, gilt bereits morgen nicht mehr, derart schnell ändert sich die Lage hier. Die Reaktionen sind heftig, alles verändert sich sehr schnell, so dass es schwierig ist, vorherzusehen, was in einem, zwei Monaten passieren wird. Nehmen wir das Brotvermehrungsfest in Tabgha als Beispiel. In diesem Jahr sind deutlich weniger arabische Gläubige gekommen als in früheren Jahren, und zwar, weil sie nicht bis Tabgha durchgekommen sind. Nach der Erschiessung des jungen Palästinensers gibt es Strassensperren in der Region sowie einen Totalstreik.”
Patriarch Twal bezog sich auf die Erschiessung eines israelischen Arabers im nordisraelischen Ort Kafr Kanna durch israelische Polizei am Freitag. Der junge Mann war erschossen worden, nachdem er einen Polizisten mit einem Messer angegriffen haben soll. Videoaufnahmen sollen belegen, dass er auf der Flucht erschossen worden ist. Viele israelische Araber traten daraufhin am Sonntag aus Protest in einen Streik. Gegen die Polizisten wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Am Sonntag kam es im zentral-israelischen Tayibe ebenfalls zu einem Vorfall, als maskierte Männer versuchten, einen durchfahrenden jüdischen Autofahrer zu lynchen. Andere Ortsbewohner eilten dem Mann zu Hilfe und verhinderten so Schlimmeres. Das ganze Wochenende über wurden Zusammenstösse von jungen Arabern und israelischen Sicherheitskräften in verschiedenen Orten Israels und des Westjordanlandes gemeldet. Am Montag ist es zudem in Tel Aviv zu einem mutmasslichen Terrorakt gekommen, als ein Palästinenser aus Nablus im Westjordanland einen Soldaten schwer mit einem Messer verletzte. Damit breitet sich die Gewalt über Jerusalem hinaus aus. Dort kommt es seit Wochen zu teils heftigen Gewaltausbrüchen. Befürchtungen der Muslime, Israel wolle den Status quo auf dem Tempelberg ändern und Juden dort das Gebet erlauben, sorgen für Unruhe.
Der im Lateinischen Patriarchat für die palästinensischen Gebiete zuständige Weihbischof William Shomali schloss eine dritte Intifada nicht mehr aus. Gegenüber dieser Zeitung sagte er am Sonntag: “Ich fürchte den Ausbruch einer dritten Intifada. Die Symptome sind alle da: Gewalt, Tötungen, Begräbnisse, Vergeltung, mehr Hass, neue Gewalt, es ist ein Teufelskreis.” Auf die Frage, ob jüdische und muslimische Extremisten ein Interesse an einem Religionskrieg haben könnten, sagte Shomali: “Ja, ich habe diese Befürchtung. Wenn sich Religion mit der Politik verbündet, kann das Schlimmste dabei herauskommen.“ Weihbischof Shomalis Einschätzung zufolge wolle die palästinensische Regierung indes keine dritte Intifada. “Sie will eine politische Lösung durch den Gang vor den UN-Sicherheitsrat erreichen. Eine dritte Intifada wäre zerstörerisch für den Friedensprozess und die Wirtschaft des Landes. Ausserdem würde es das Problem nicht lösen. Ein nicht-gewaltsames Vorgehen ist produktiver. Zudem ist die Erfahrung des letzten Gaza-Krieges noch frisch in aller Gedächtnis und schreckt die Regierung davon ab, eine neue Runde der Gewalt zu starten.”
Shomali sagte, zwei aktuelle Stellungnahmen könnten muslimische Befürchtungen zerstreuen helfen, Israel wolle den Status quo auf dem Tempelberg ändern und Juden dort das Gebet gestatten. “Da gibt es die Versicherungen, die Israels Premier Netanjahu jetzt dem König von Jordanien gegeben hat, wonach er den Status quo respektieren wolle. Ausserdem ist da die Stellungnahme des sefardischen Chefrabbiners Yitzhak Josef vom Freitag, der Juden dazu aufgerufen hat, von Besuchen auf dem Tempelberg abzusehen, um Ordnung und Ruhe nach Wochen der Gewalt wiederherzustellen. Andererseits gibt es viele Siedler und fanatische Juden, die unter den Augen der Polizei provokative Gebete abhalten. Wem sollen wir glauben: Unseren Augen oder unseren Ohren?“ Shomali zufolge müssten mehrere Massnahmen ergriffen werden, um die Situation zu beruhigen. “Israel muss den Siedlungsbau stoppen und den Status quo auf dem Haram al-Scharif (Jerusalemer Tempelberg, A.d.R.) respektieren. Ausserdem muss eine Runde ernsthafter Verhandlungen gestartet werden, um eine Lösung zu finden, die den beiden Völkern hilft, aus diesem Teufelskreis herauszufinden.”
Zuvor hatten sich bereits die christlichen Kirchenführer des Heiligen Landes in einer Stellungnahme geäussert. In dem am Donnerstag veröffentlichten Papier heisst es, dass der Status quo an den Heiligen Stätten Jerusalems umfänglich respektiert werden müsse.”
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