Europa braucht Mauerbrecher

‘Freiheit kann man verspielen’

RosapopejohnpauliiBesuch Papst Johannes Paul II. 1996: DVD
Papst Johannes Paul II. Ansprache beim Brandenburgertor: 23. Juni 1996
Vatikan: Pastoralbesuch in Deutschland 1996

Die Tagespost, 07. November 2014

Von Markus Reder

Historische “Penner” gab es immer, damals wie heute. Vor 25 Jahren galt als “historischer Penner”, wer die Nacht des Mauerfalls verschlief.

Heute passt das eher auf jene, die Mallorca, Gran Canaria oder die Malediven kennen, aber noch nie in Erfurt, Dresden oder Leipzig waren. Die wissen gar nicht, was sie verpassen. Wer sich im Osten umtut, erkennt unschwer: Die vergangenen 25 Jahre sind eine Erfolgsgeschichte.

Was nicht heisst, dass es nicht auch Verlierer, Enttäuschung und Frustration gab und gibt. Dies als Preis der Freiheit zu bezeichnen, wäre zynisch. Sicher, Freiheit hat ihren Preis. Wer wüsste das besser als die oft vergessenen Opfer des SED-Regimes. Doch man darf Freiheit nicht mit jenem zügellosen Kapitalismus des Westens verwechseln, der sich im Osten mitunter fast übergangslos an die Stelle der DDR-Diktatur gesetzt hat. Solche Entwicklungen zeigen vielmehr, wie zerbrechlich die Freiheit ist. Der 25. Jahrestag des Mauerfalls braucht daher nicht nur den Blick zurück, sondern vor allem eine Vergewisserung darüber, was der Freiheit Bestand verleiht.

Aus diesem Grund hat sich die “Tagespost” entschlossen, in dieser Ausgabe die Ansprache von Papst Johannes Paul II. vor dem Brandenburger Tor aus dem Jahr 1996 erneut abzudrucken (Seite 12). Das ist unüblich, gewiss. Aber Zeitungen sind nicht nur Sekundenzeiger der Geschichte, wie es so schön heisst. Sie haben auch die Aufgabe, ans Licht zu heben, was wieder und neu bedacht werden sollte, weil es um Grundsätzliches und Zukunftsweisendes geht. Beides gilt in besonderer Weise für diese Ansprache. Aus ihr spricht nicht nur die Lebenserfahrung eines Papstes, der hinter dem Eisernen Vorhang im wahrsten Sinn des Wortes gross wurde. Mit ihr liegt in komprimierter Form eine “Theologie der Freiheit” vor, die – wie bei Johannes Paul II. üblich – zugleich Anthropologie ist.

Freiheit kann man verspielen. Wer sie mit Beliebigkeit verwechselt, versetzt ihr den Todesstoss, mahnte Johannes Paul II. 25 Jahre nach dem Fall der Mauer ist diese Gefahr nicht nur in Europa mit Händen zu greifen. Zu offensichtlich ist der Zusammenhang zwischen jenem Freiheits-Appell vor dem Brandenburger Tor, den Warnungen Benedikts XVI. vor einer “Diktatur des Relativismus” und den Donnerworten von Papst Franziskus gegen eine “Globalisierung der Gleichgültigkeit” und eine “Wirtschaft, die tötet”.

In der Tat: Ein pervertiertes Freiheitsverständnis kann tödlich sein. Das zeigt sich auch beim Kampf um den Schutz des ungeborenen Lebens wie um den assistierten Suizid und aktive Sterbehilfe. Das wird ebenso deutlich in der Auseinandersetzung um Familie und Gender-ideologie. Freiheit braucht Wahrheit, sonst hat sie keinen Bestand.

Die Mauer, die Deutschland teilte und Europa spaltete, ist Vergangenheit. Inzwischen stehen neue Mauern. Sie gehen quer durch Europa, die neuen ideologischen Mauern. Auch diese Mauern sind tödlich. Sie bedrohen die Kultur der Freiheit, die Humanität einer Gesellschaft und letztlich die Demokratie. Die “Diktatur des Relativismus” hat längst ihre Stacheldrähte gezogen und Wachtürme errichtet. Das alles geschieht weitgehend unsichtbar. Europa steht heute mitten in einem geistigen Kampf um die Freiheit.

Der 9. November 1989 lehrt: Mauern können fallen. Das gilt für die aus Stein wie für die geistigen Mauern der Ideologen. “Befreit Euch zu Freiheit in Verantwortung”, hat der Jahrtausend-Papst aus dem Osten den Menschen vor dem Brandenburger Tor zugerufen.

Europa braucht Menschen, die die Freiheit schützen. Europa braucht heute wieder mutige Mauerbrecher.

Christen sind da erneut besonders gefordert.

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