Wo war Gott?

Wo war Gott?: Die Rede in Auschwitz

Zum Verhältnis von Christen und Juden in Deutschland

Kurzbeschreibung

Über den Autor und weitere Mitwirkende

Beiträger: Elie Wiesel, New York, geb. 1928, KZ-Überlebender, Schriftsteller, Friedensnobelpreisträger;
Wladyslaw Bartoszewski, Warschau, geb. 1922, KZ-Überlebender, ehem. polnischer Aussenminister;
Johann Baptist Metz, Münster, geb. 1928, Fundamentaltheologe, Vordenker einer “Theologie nach Auschwitz”.

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An diesem Ort zu sprechen – fast unmöglich
Von helmpr

“An diesem Ort des Grauens, einer Anhäufung von Verbrechen gegen Gott und den Menschen ohne Parallele in der Geschichte, zu sprechen, ist fast unmöglich – ist besonders schwer und bedrückend für einen Christen, einen Papst, der aus Deutschland kommt. An diesem Ort versagen die Worte, kann eigentlich nur erschütterndes Schweigen stehen – Schweigen, das ein inwendiges Schreien zu Gott ist. Warum hast du geschwiegen? Warum konntest du dies alles dulden? In solchem Schweigen verbeugen wir uns inwendig vor der unzähligen Schar derer, die hier gelitten haben und zu Tode gebracht worden sind; dieses Schweigen wird dann doch zur lauten Bitte um Vergebung und Versöhnung, zu einem Ruf an den lebendigen Gott, dass er solches nie wieder geschehen lasse.”

So beginnt Papst Benedikt XVI. seine Rede in Auschwitz, an derselben Stelle, an der sein Vorgänger Johannes Paul II bereits geredet hatte, 27 Jahre vor ihm. Seine Rede hat weder die Eindringlichkeit der Beiträge von Elie Wiesel und Władysław Bartoszewski im selben Buch noch die Eindringlichkeit der Rede seines Vorgängers im Amt. Das geht auch nicht, denn jene beiden Männer waren Opfer, entkamen der Hölle der Konzentrationslager nur knapp, der Amtsvorgänger war Teil des polnischen Opfervolkes. Benedikt dagegen repräsentiert das Tätervolk, wie er gleich zu Anfang betont, auch wenn er zur so genannten Flakhelfergeneration gehört, die als Jugendliche noch kurz vor Ende des Krieges eingezogen worden sind. Die Herkunft macht den enormen Unterschied.

Jedem Satz spürt man Benedikt ab, wie er um Worte gerungen hat, wie er reden musste, wo er lieber schweigen hätte wollen. Gerade in seiner Unsicherheit überzeugt er. Und dort, wo er vor Gott klagt, Gott fragt, fast anklagend: wo er gewesen sei, warum er geschwiegen habe. Der Papst rechtet mit Gott. Das bewegt.

Weniger konnte ich mitgehen, wo Benedikt recht zügig Wörter wie Vergebung und Versöhnung einführt. Das ist in seinem Mund zumindest befremdlich, es ist zuerst Sache der Opfer. Oder wo er verallgemeinert, etwa wenn er den Notschrei Israels zum Notschrei aller verallgemeinert, die um der Wahrheit und des Guten willen leiden. Nein, Israel sollte vernichtet werden, das Volk, ganz und gar – es litt nicht um der Wahrheit und des Guten willen, es litt, weil die Nationalsozialisten es aus rassehygienischen, biologischen Gründen wollten. Manche Sätze wirken sehr, sehr vernünftig und abgeklärt, wie austariert, beispielsweise wenn die Stalin-Diktatur mit angeklagt wird, die mit dem Ort Auschwitz eher weniger zu tun hat und ihr Gedächtnis anderswo seinen berechtigten Platz hätte.

ABER das will ich nur ganz persönlich anmerken, nicht grundsätzlich oder sogar vollmundig kritisieren, ich kann es nicht, denn jeder, der in Auschwitz reden muss, wo Schweigen angemessener wäre, aber Schweigen nicht geht, jeder, der sich der Aufgabe gewissenhaft, ringend und verantwortlich stellt, hat meine Solidarität und meinen Respekt. Wer unbedingt sucht, findet in einer solchen Rede immer etwas, das fehlt oder heikel oder missverständlich ist. Zumal wenn der Redner ein Vertreter des Tätervolkes ist oder der katholischen Kirche mit ihrer ambivalenten Geschichte gegenüber den Juden, wo alles Gesagte und Nichtgesagte selbstverständlich auf die Goldwaage gelegt wird. Aber es ist Benedikt, der hier redet, der sich treu bleibt und sagt, was Benedikt sagen kann und will. Und das achte ich ausdrücklich.

Die Wirkung auf anwesende Überlebende wurde von Beobachtern durchweg als bewegend und zustimmend geschildert, weil Benedikt authentisch war, und der Schmerz war ihm anzusehen. Und die Rede hat starke Abschnitte wie das Verweilen bei den Gedenksteinen in verschiedenen Sprachen, wie das Gedächtnis der Sinti und Roma, die er nicht wie andere vor und nach ihm unterschlägt, wie der positive Schluss, dass von Auschwitz aus Initiativen entstehen, die den Frieden suchen und für den Frieden arbeiten, dass sich solches nie mehr wiederholt. In diesem Sinn auch der Hirtenpsalm der Bibel, gemeinsames Totengebet und Vertrauensgebet von Christen und Juden: Der Herr ist mein Hirte.

Zugegeben. Zunächst war ich irritiert vom positiven Schluss, weil zu viel Vertrauen und positiver Sinn mir abwegig vorkam, bis ich beim zweiten Mal Lesen erkannte, wie wichtig diese weiterführenden Schlussgedanken gerade für Überlebende und für Angehörige von Getöteten sind. Sie wollen nicht verweilen im Sog des Bösen, sie wollen ihrem Leben Sinn geben in der Fürsorge um eine bessere Zukunft. Und die Toten sind nicht ganz umsonst gestorben, ihr Sterben ist Gedächtnis und Mahnung.

Der Papstrede folgt der weit eindrücklichere Text von Elie Wiesel, Wiederbegegnung mit Auschwitz. Wort für Wort, Satz für Satz quält sich Wiesel durch das Unsagbare und findet so doch den passenden Ton. Auch er stellt die Gottesfrage und beantwortet sie so tiefgründig jüdisch in der Doppelheit von Anklage und Vertrauen und Trotz, wie das eben ein spätgeborener, rationaler Papst nie könnte. Was seine Poesie vermag! Denn Wiesels Text ist poetische Auseinandersetzung mit der Leid- und Morderfahrung. Wo Benedikt vernünftig distanziert wirkt, wird Wiesel existentiell. Es ist gut, dass die Papstrede mit diesem Text konfrontiert wird. Ohne ihn würde dem Buch etwas Entscheidendes fehlen.

Das gilt auch für den ehemaligen Auschwitz-Häftling Władysław Bartoszewski. Er wurde als polnischer Katholik inhaftiert. Als polnischer Katholik ist er auch berührt von dem Erlebnis des Papstbesuches, das er nacherzählt und mit Respekt bewertet, ergänzt um weitere Äusserungen des Papstes, der durch den Besuch und seine Rede immer mehr zu “seinem” Papst geworden ist.

Wieder etwas rational-distanzierter ist das Schlusskapitel von Johann Baptist Metz, dem grossen Schüler Karl Rahners. Nach all den unter die Haut gehenden Worten wohltuend sachlich, sortiert und ordnet er die Gedanken und Traditionen. Gut, wie er etwa die Theodizee-Frage (Rechtfertigung Gottes, also wie Gott etwas zulassen konnte, was seinem Willen und Wesen ganz widerspricht) differenziert: dass es eben ein philosophisch rationale Diskussion gibt oder eine existentielle, persönliche in Form der Klage, wie sie die Bibel kennt.

Zurecht greift Metz die aktuelle Dauer-Rede vom “lieben” Gott an, die einfach nicht der Glaubenserfahrung vieler Menschen entspricht, letztlich dem Glauben an Gott nach Auschwitz sogar widerspricht. Ein glaubender Mensch hat es ja nicht einfacher im Leben, sondern er muss sich auch noch mit seinem Gott auseinandersetzen, mit Gott ringen und gegebenenfalls streiten wie schon Abraham oder Mose oder Hiob in der Bibel. Glaube hat, darauf insistiert Metz zurecht, leidempfindlich zu sein. Und wo, wenn nicht im Glauben, kann das Gedächtnis der Misshandelten dauerhaft bewahrt werden und gegen das Vergessen verteidigt.

Ein starkes kleines Buch, das nicht einfach so nebenbei zu lesen ist, sondern Zeit braucht. Und die Stille, von der Elie Wiesel schreibt.

Wo war Gott?: Die Rede in Auschwitz

Autor: Benedikt XVI.
Gebundene Ausgabe: 64 Seiten
Verlag: Verlag Herder; Auflage: 1 (16. August 2006)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3451293684

 

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