Stark im Bund mit Maria
Vom Anfang in Dachau zum internationalen Netzwerk von Hauskirchen
Schönstatt: Apstolische Bewegung
Vatikan: Familiaris consortio: Über die Aufgaben der christlichen Familie in der Welt von heute
Josef-Ketenich-Hof
Mit der pilgernden Gottesmutter durch Europa
Streifzug durch die Geschichte der Schönstattfamilienbewegung
Von Weihbischof Michael Gerber
Die Tagespost, 03. September 2014
Die gegenwärtige Diskussion um Ehe und Familie provoziert nicht zuletzt die Frage nach den Ressourcen. Es ist die Überzeugung der Kirche, dass die urmenschliche Sehnsucht nach vorbehaltloser und unbegrenzter Annahme eine Antwort findet im Jawort, das sich die Brautleute mit der Spendung des Sakramentes der Ehe gegenseitig schenken. Darin manifestiert sich die Zusage der unbedingten Treue Gottes.
So stellt sich die Frage: Was hilft, das einmal gegebene “Ja” auf dem Hintergrund sich persönlich und allgemein gesellschaftlich rasant verändernder Lebensumstände jeweils neu zu buchstabieren und mit Leben zu erfüllen?
Hier ist in den vergangenen 70 Jahren inmitten der Schönstattbewegung ein Erfahrungsfeld gewachsen. Der Gründungsvorgang der Schönstätter Familienbewegung vollzieht sich – vordergründig betrachtet – in einer äusserst ungünstigen Situation: Das Schönstattwerk war in seinen ersten Jahren neben einer bald einsetzenden Volks- und Wallfahrtsbewegung geprägt vom Aufbau zölibatärer Frauengemeinschaften, grossen Exerzitienkursen für Priester sowie Tagungen für Pädagogen. Jedoch wurde für den Gründer Schönstatts, Pater Josef Kentenich, in den dreissiger Jahren mehr und mehr auch die Familienthematik ein Schwerpunkt seiner Vortragstätigkeit.
In der Auseinandersetzung der Kirche mit dem Nationalsozialismus entdeckt er Parallelen zur Situation der Urkirche: Während der Verfolgungszeit der frühen Kirche haben Familien, “Hauskirchen”, eine zentrale Rolle gespielt für die Vermittlung genuin christlicher Werte und den Aufbau der frühen Gemeinden. Für die sich ihm bietende Situation postuliert Pater Kentenich daher eine Erneuerung und Stärkung der Familie als eine vorrangige Aufgabe kirchlichen Handelns. Dass Jesus selbst vor seinem öffentlichen Auftreten in einer Familie gelebt hat, ist für Pater Kentenich ein weiterer gewichtiger Hinweis für die Rolle, welche der Schöpfer selbst der Familie zugewiesen hat.
Nach seiner Einlieferung ins Konzentrationslager Dachau hatte er einige Begegnungen, die ihn dazu ermutigten, innerhalb der Bewegung eigene verfasste Gemeinschaften von Familien zu gründen. In einem schlichten Akt wird am 16. Juli 1942 inmitten des Konzentrationslagers das Schönstatt Familienwerk gegründet. Ein Häftling und Familienvater, Fritz Kühr, steht am Anfang der bald wachsenden Zahl von Ehepaaren, die sich der neuen Bewegung anschliessen. Pater Kentenich und seinen Mitgründern ist bewusst, dass die Familienbewegung eine mehrfache Aufgabe hat. Sie soll Quelle der Inspiration für das Ehe- und Familienleben ihrer jeweiligen Mitglieder sein. Zugleich sollen in ihr Menschen heranwachsen, welche in Kirche und Welt entscheidend Verantwortung übernehmen können.
Schon bald nach dem Krieg kommt es zu jener Ausdifferenzierung der Familienbewegung, die bereits für die zölibatären Gliederungen der Schönstattbewegung typisch ist. Entsprechend dem Grad der Bindung eines Ehepaares an die Gemeinschaft unterscheiden sich Liga, Bund und das Institut der Schönstattfamilien. Wesentliche Elemente der Spiritualität und Pädagogik sind ihnen jedoch gemeinsam. Ein zentraler Ausgangspunkt ist die Frage nach der Sendung von Ehe und Familie für die Kirche und die Gesellschaft von heute. Die Bedeutung, welche die Heilige Schrift und die bereits erwähnte urkirchliche Praxis der Familie zuerkennen, ist dabei ein unerlässliches Fundament. Grundlegend sind zugleich die entsprechenden lehramtlichen Äusserungen, insbesondere des Zweiten Vatikanischen Konzils und der Päpste seither, allen voran Johannes Paul II. mit seiner Enzyklika “Familiaris consortio” und seinen zahlreichen Katechesen und weiteren Äusserungen zu Ehe und Familie.
Im Kontext dieses gemeinsamen Sendungsauftrages werden die Ehepaare angeleitet, dem Geheimnis ihrer je originellen Berufung als Paar tiefer auf die Spur zu kommen. Diese Berufung ist mehr als die blosse Addition zweier Berufungswege. Der Blick auf die Evangelien zeigt dies deutlich. Jesus sendet seine Jünger zu zweit aus (vgl. Lk 10, 1). Bereits die Art und Weise, wie die Jünger den Auftrag Jesu als einen Weg zu zweit verwirklichen, ist Teil ihrer Verkündigung. Beim Ansatz Schönstatts begegnen sich wichtige Stränge kirchlicher Tradition: die Bedeutung des Charismas einer Gemeinschaft und die Sakramentalität der Ehe.
So lebt in der Kirche seit Jahrhunderten die Überzeugung, dass nicht nur einzelnen Personen, sondern auch einer Gemeinschaft als Ganzes ein je spezifisches Charisma geschenkt ist. In diesem Sinne haben die unterschiedlichen Ordensfamilien es als ihren Auftrag erkannt, je einen wesentlichen Aspekt des Christus-, Menschen- und Gemeinschaftsbildes hervorzuheben und mit Leben zu füllen. Diese Akzentuierung, etwa der Armut, der Kontemplation, der Verkündigung oder der Fürsorge für die Kranken geschieht nicht exklusiv, wenn auch durchaus pointiert, jedoch immer bezogen auf das Ganze des christlichen Glaubens und der kirchlichen Gemeinschaft. Was hier im Blick auf Ordensgemeinschaften bewährte Tradition ist, wird in der Schönstattfamilienbewegung gleichsam heruntergebrochen auf Ehe und Familie. Ist die Ehe auch die kleinste Form menschlicher Gemeinschaft, so ist gerade dieser Beziehung, welche zur Würde eines Sakramentes erhoben ist, eine je besondere Berufung geschenkt.
Auch die von einem Ehepaar in der Familienbewegung Schönstatts erkannte Sendung versteht sich immer als Teil des Organismus der Kirche. Die bereits erwähnten Zeugnisse aus Schrift und Tradition werden hier ergänzt durch ein originelles Grundelement der Schönstattspiritualität. Pater Kentenich war davon überzeugt, dass der Vorgang, welchen das zweite Kapitel des Johannesevangelium schildert, sich in der Geschichte Gottes mit seinem Volk immer wieder vollzieht: Wo Menschen ihren Beitrag, ihr Beten und Tun Gott zur Verfügung stellen, gleichsam ihr “Wasser” in die Krüge geben, offenbart sich die Gegenwart Christi und seiner Mutter und die Bedeutung dieser Gegenwart für die Heilsgeschichte. Diese gläubige Überzeugung prägt seit der Gründung Schönstatts den Blick auf den Ursprungsort, das “Urheiligtum”, sowie die inzwischen gut 200 dieser Kapelle nachgebildeten “Filialheiligtümer”.
Bereits 1948 schreibt der Gründer in einem Brief aus Santa Maria/Brasilien an das gerade entstehende Familienwerk davon, dass die Familien selbst die Berufung haben, zu “kleinen Heiligtümern” zu werden, in welchen “heilige Familienglieder” geformt werden.
Diese Sicht der Familie versteht sich im Kontext der kirchlichen Tradition einer “ecclesia domestica/ecclesiola” (Hauskirche/Kirche im Kleinen). Kirche soll hier erfahren werden als Ort der Heilung und der Heiligung. In vielen Begegnungen des Gründers mit Familien und ihrem Alltag in Milwaukee erprobte er mit diesen eine zeitgemässe religiöse Familienkultur und -spiritualität, die im sogenannten “Hausheiligtum” ihr Zentrum hat: Neben dem Kreuz und dem Marienbild finden hier viele Elemente einen Platz, die für das konkrete Leben der jeweiligen Familie stehen: Erinnerungsgegenstände, ein Foto von Menschen, denen gerade die Sorge der Familie gilt ebenso wie ein wichtiger Brief, der empfangen wurde oder abgeschickt werden muss. Gerade für Kinder unterschiedlichsten Alters sind hiermit zentrale religiöse Erfahrungen verbunden. Sie erleben sinnlich-konkret: Unser buntes Leben findet hier seinen Platz, wird vor Gott gebracht, die Fäden der einzelnen Familienmitglieder werden hier sichtbar miteinander verwoben. In der Regel gibt das Ehepaar seinem “Hausheiligtum” einen originellen Namen, der einen Aspekt der gemeinsamen Sendung zum Ausdruck bringt.
Das Entdecken der je eigenen Sendung ist für das Ehepaar ohne Zweifel ein Prozess, der ein Leben lang andauert. Neue Herausforderungen stellen – ähnlich wie bei Ordensgemeinschaften auch – die Frage, wie das ureigene Charisma unter veränderten Bedingungen neu und authentisch zugleich zu leben ist. Damit zeigt sich die pädagogische und integrierende Wirkung dieses geistlichen Ansatzes. Ganz in der Linie grosser geistlicher Traditionen können zentrale Erfahrungen, die nicht selten auch als Kontingenzerfahrungen erlebt werden, im Sinne des gemeinsamen Berufungsweges gedeutet werden. Die Schönstätter Familiengemeinschaften weisen in diesem Sinne ein hohes erzieherisches Potenzial auf: Dazu gehört die bleibende Bereitschaft zur Selbsterziehung sowie das Einüben eines Verständnisses von Partnerschaft, wonach diese – gerade auch die unausweichlichen Spannungen – die Funktion haben, den Reifeprozess der eigenen Persönlichkeit zu fördern. Dazu gehört auch eine realistische Sicht der eigenen Begrenztheit und der wechselseitigen Ergänzungsbedürftigkeit. Das Paargespräch und die regelmässige Beichte sind daher unverzichtbare Elemente dieses Lebensstils.
Nicht zuletzt auch in Krisen zeigt sich die Stärke einer Gemeinschaft von Familien. Paare können sich gegenseitig mittragen und sehr konkret in Tat und Wort unterstützen. Zugleich achten die Schönstätter Familiengemeinschaften in ihrer konkreten Art des Miteinanders darauf, dass der je persönliche Raum des einzelnen Paares geschützt und gestärkt wird. Es braucht eine rechte Balance zwischen der Kommunikation als Paar und der Kommunikation im Kreis der Paare.
Als Teil der apostolischen Schönstattbewegung entfalten die Familien ihre missionarische Existenz. Das erste “Apostolat” und damit die erste und vorrangige Sorge gelten der eigenen Familie, der Partnerschaft und den Kindern. Darüber hinaus setzen sich die Ehepaare je nach Fähigkeit, Möglichkeit und Lebensphase apostolisch ein, beispielsweise in der Ehevorbereitung, in der Begleitung einzelner Paare und Familiengruppen oder in der Frage nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Eine besondere Qualität kommt hier den sogenannten “Familienakademien” zu, welche an verschiedenen Orten im deutschen Sprachraum beheimatet sind. Diese sind initiiert und geleitet von Schönstattfamilien. Während eines Intervallkurses von circa zwei Jahren erhalten Familien wesentliche spirituelle und pädagogische Impulse für ihren Familienalltag. Sie lernen zugleich, selbst qualifizierte Angebote und Impulse im Bereich der Familienpastoral zu initiieren.
Wie verläuft nun der Weg als Schönstattfamilie? Exemplarisch veranschaulicht werden soll dies am Weg des Schönstatt-Familienbundes. Die wesentlichen Elemente gelten jedoch auch für die andere Gemeinschaft mit intensiver Bindungsform, das Institut der Schönstattfamilien. Als Kind einer Familie des Familienbundes wurde mir hier mancher Einblick geschenkt. Nach einer Zeit der Interessentenphase macht sich das Paar zusammen mit anderen Paaren auf den Weg in die Gemeinschaft. Sie bilden einen Kurs, eine Teilgemeinschaft, die ein Leben lang zusammenbleibt. Jedes Paar bleibt in seinem gewohnten Umfeld, geht seinem Beruf nach und engagiert sich nach Kräften in der Kirche vor Ort. Das Entdecken der je spezifischen Sendung und Berufung kann im Sinne der “Unterscheidung der Geister“ dabei helfen, die an das Paar gestellten Herausforderungen in Familie, Kirche und Gesellschaft richtig zu gewichten.
Die Zeit der Kandidatur – begleitet von einem erfahrenen Ehepaar, einem Priester und einer Schwester aus der Schönstattbewegung – findet seinen Abschluss in der Weihe an die Gottesmutter und der zeitlichen Mitgliedschaft in der Gemeinschaft. Das Leben in der Gemeinschaft ist geprägt von regelmässigen Gruppenstunden und einer einwöchigen Jahrestagung. Einige Jahre der Bewährung und Vertiefung führen dann zur dauerhaften Bindung an den Familienbund.
Damit stellt sich die Frage, wer genau Mitglied dieser Familiengemeinschaft ist. Im Sinne der Entscheidung und Bindung an die Gemeinschaft ist dies immer nur das Ehepaar selbst. Die Kinder sind nicht Teil der Gemeinschaft, der Aspekt der Freiheit und der Achtung vor der Originalität der Berufung eines Kindes ist hier fundamental. Auf dem Lebensweg bekommen sie jedoch einiges mit. Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt dabei das Zentrum des – deutschen – Familienbundes, der Josef-Kentenich-Hof in Hillscheid in der Nähe des Ursprungsortes Schönstatt. Der von den Familien selbst umgebaute ehemalige Bauernhof ist für die Kinder mit vielen vitalen wie geistlichen Erlebnissen verbunden. Dies schafft in der Regel unter den Kindern eines Kurses eine eigene und oft tiefe Verbundenheit.
Hinsichtlich des Nachwuchses spricht die Statistik des Familienbundes in Deutschland – eingebunden in die Konföderation weiterer Bundesgemeinschaften in 18 Ländern mit über 1 700 Familien – für sich: Derzeit gehören in Deutschland knapp 400 lebende Mitglieder in circa 200 Familien (einige Mitglieder sind verwitwet) der Gemeinschaft an. Hinzu kommen 25 weitere Familien in Deutschland, die sich gerade auf dem Weg in der Kandidatur befinden. Damit ist beeindruckend, für wie viele junge Familien diese Gemeinschaft heute eine Perspektive aufzeigt. In Deutschland haben sich 32 Kinder aus Bundesfamilien bisher mit dem Ehepartner (oder der Ehepartnerin) für den Eintritt in den Familienbund entschieden und fünf Kinder für das Institut der Schönstattfamilien. Zugleich wachsen im Familienbund weitere Berufungen: Bislang sind aus ihm zehn Priester hervorgegangen und 23 weitere Frauen und Männer, die sich für ein gottgeweihtes Leben entschieden haben. “Familie – stark im Bund” – dieses Wort aus dem Logo des Schönstatt-Familienbundes ist Auftrag und Verheissung zugleich. Der Blick auf das Leben, das sich dahinter verbirgt gibt Anlass zu der berechtigten Hoffnung, dass Gott mit den Familien auch in Zukunft Grosses vor hat.
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