51 Millionen sind auf der Flucht

Papst Franziskus fordert die “Globalisierung der Nächstenliebe” und ein “universales Netz der Zusammenarbeit”

Wieder fliehen Syrer vor Terror, Gewalt und Verfolgung in die Türkei. Mehr als 1,5 Millionen ihrer Landsleute sind bereits in die Türkei geflohen, rund 1,2 Millionen in den Libanon und mehr als 600 000 nach Jordanien.

Rom/Berlin/Damaskus, Die Tagespost/sb/dpa, 24. September 2014

Zur “Solidarität gegenüber den Migranten und den Flüchtlingen” und zum Aufbau einer gerechteren weltweiten Wirtschafts- und Finanzordnung ruft Papst Franziskus in seiner Botschaft zum Weltflüchtlingstag am 18. Januar 2015 auf. “Auf die Globalisierung des Phänomens der Migration muss mit der Globalisierung der Nächstenliebe und der Zusammenarbeit geantwortet werden, um die Lage der Migranten menschlicher zu gestalten”, heisst es in dem am Dienstag veröffentlichten Schreiben.

Der Papst kritisiert darin, dass “diese Wanderungsbewegungen auch in kirchlichen Gemeinden Misstrauen und Feindseligkeiten” auslösen. Das stehe im Konflikt mit dem biblischen Gebot, “den bedürftigen Fremden mit Achtung und Solidarität aufzunehmen”. Christus wolle “in den Migranten und den Flüchtlingen, in den Vertriebenen und den Heimatlosen erkannt werden”.

Als “Mutter aller” verbreite die Kirche in der Welt “die Kultur der Aufnahme und der Solidarität, der zufolge niemand als unnütz, als fehl am Platze oder als Auszusondernder betrachtet wird“, schreibt Franziskus, der ein „universales Netz der Zusammenarbeit” fordert, um den Menschenhandel, die Verletzung der Grundrechte sowie alle Formen von Gewalt und Versklavung wirkungsvoll zu bekämpfen. Der Papst richtet den Blick auch auf die Gründe, “welche ganze Völker dazu drängen, aufgrund von Kriegen und Hungersnöten, die sich häufig gegenseitig bedingen, ihr Geburtsland zu verlassen”.

Wegen der zahlreichen Krisen in Afrika und Nahost sind derzeit weltweit so viele Menschen auf der Flucht wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Darauf hat die Generalsekretärin von Amnesty International Deutschland, Selmin Caliskan, am Mittwoch in Berlin hingewiesen. Der überwiegende Teil der 51 Millionen entwurzelten Menschen suche innerhalb des eigenen Landes Schutz. Etwa 18 Millionen Menschen hätten sich aufgemacht in ein anderes Land. Angesichts dieser dramatischen Entwicklung müsse Europa seine “Abschottungspolitik“ beenden, so Caliskan. “Es nimmt in Kauf, Menschenrechte zu verraten und das Mittelmeer zum Massengrab zu machen”, sagte sie mit Blick auf die Schleuser-Boote, die im Mittelmeer gekentert waren. Auch die Strategie, durch Zusammenarbeit mit Transit-Ländern wie Libyen eine “Pufferzone“ rund um Europa zu errichten, sei grundlegend falsch. Der Geschäftsführer von Pro Asyl, Günter Burkhardt, erklärte, das sogenannte Dublin-Verfahren, wonach jeder Asylbewerber in Europa seinen Antrag in dem Land stellen muss, das er zuerst betreten hat, sei gescheitert. Trotzdem beharrten Deutschland und einige andere Staaten darauf, die Verantwortung für die Aufnahme von Flüchtlingen auf Grenzstaaten wie Italien und Griechenland abzuwälzen. “Europa muss das Sterben an seinen Grenzen beenden”, forderte Burkhardt.

In dieser Woche lösen der Terror des “Islamischen Staats“ (IS) und die Luftangriffe auf IS-Stellungen im Irak und in Syrien eine neuerliche Flüchtlingswelle aus. Nach Angaben der Vereinten Nationen hat die Türkei inzwischen mehr Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen als jedes andere Land. Selin Ünal vom UN-Flüchtlingshilfswerk sagte am Mittwoch, seit Freitag hätten rund 140 000 Menschen aus der syrischen Region Ain Al-Arab aus Furcht vor dem IS Zuflucht in der Türkei gesucht. “Das ist der grösste Zustrom in die Türkei in so kurzer Zeit seit Beginn der Krise vor dreieinhalb Jahren.” Insgesamt sind nach Angaben der türkischen Regierung 1,5 Millionen syrische Flüchtlinge im Land. Deutschland hat die Aufnahme von lediglich 20 000 Syrern zugesagt. Ünal sagte, die Türkei könne für die Versorgung der Flüchtlinge nicht alleine aufkommen: “Wir bitten um internationale Unterstützung.” Das UN-Flüchtlingshilfswerk habe die internationale Gemeinschaft um 386 Millionen Euro für die Versorgung der Flüchtlinge in der Türkei gebeten, aber erst 21 Prozent der Summe erhalten. “Das ist die geringste Unterstützung unter allen Ländern, die syrische Flüchtlinge beherbergen, und die Türkei hat die grösste Anzahl von Flüchtlingen”, sagte Ünal. “Wir als Vereinte Nationen können nicht mehr unternehmen, wenn wir nicht mehr Unterstützung erhalten.”

Ausländische Kampfflugzeuge sind laut Augenzeugen am Mittwoch von der Türkei aus nach Syrien geflogen und haben dort Stellungen des IS bombardiert. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldete, die Maschinen hätten Ziele in der Nähe der vor allem von Kurden bewohnten Stadt Ain al-Arab (kurdisch: Kobane) angegriffen. Bislang hat die Türkei im Einsatz gegen den IS nur humanitäre Hilfe zugesagt. In der vergangenen Woche hatte die Terrormiliz Dutzende Dörfer rund um die Stadt erobert und eine neue Massenflucht ausgelöst. Die Orte liegen an der Grenze zur Türkei in einer Enklave, die bisher unter Kontrolle kurdischer Einheiten standen. IS beherrscht in Syrien bereits rund ein Drittel des Landes. Laut Menschenrechtsbeobachtern bombardierten die Flugzeuge IS-Stellungen etwa 30 Kilometer südlich von Ain al-Arab. Zu den Zielen gehörten Versorgungsrouten. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat zuvor eine militärische Unterstützung im Kampf gegen die Terrormiliz nicht mehr ausgeschlossen. Vor Reportern sagte Erdogan, die mögliche Unterstützung der internationalen Allianz gegen die Extremisten “beinhaltet alle Arten, militärisch, politisch, alles”. Er werde mit seiner Regierung bald darüber beraten. Zu den US-Luftangriffen auf den IS in Syrien sagte Erdogan: “Natürlich ist dieser Schritt gegen diese Ziele, besonders gegen die Terrororganisation in der Gegend, ein Schritt, den wir für positiv halten.”

Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks fliehen auch immer mehr Iraker nach Jordanien und in die Türkei. Zwei Drittel von ihnen kämen aus den IS-kontrollierten Gebieten. Die Flüchtlinge berichteten von niedergebrannten Häusern, Zwangskonversionen und Zwangsheiraten, Entführungen und Drohungen. (Siehe Seite 7)

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