‘Das Geheimnis Gottes, das sich im Ich verbirgt’
Zum Gedenktag des hl. Augustinus am 28.8 dokumentiert kath.net die Katechesen Benedikts XVI. bei Generalaudienzen im Jahr 2008
Quelle
KathTube: Trailer zu einem guten Augustinusfilm
Hl. Augustinus
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– Papst Benedikt nannte Augustinus “den grössten Vater der lateinischen Kirche”
Vatikan, kath.net, 27. August 2014
Papst Benedikt XVI. hatte im Jahr 2008 in einer Katechese bei zwei aufeinanderfolgenden Generalaudienzen über den heiligen Augustinus gesprochen. Zum Gedenktag des Kirchenlehrers Augustinus von Hippo (354-430 n.Chr.) dokumentiert kath.net die beiden Katechesen in voller Länge:
Der Heilige Augustinus, Teil 1/Generalaudienz am Mittwoch, 9. Januar 2008
Liebe Brüder und Schwestern!
Nach den grossen Weihnachtsfeierlichkeiten möchte ich zu den Betrachtungen über die Kirchenväter zurückkehren und heute über den grössten Vater der lateinischen Kirche sprechen, den hl. Augustinus: Als ein Mann voll Leidenschaft und Glauben, von höchster Intelligenz und unermüdlicher pastoraler Sorge ist dieser grosse Heilige und Kirchenlehrer zumindest dem Rufe nach oft denen bekannt, die das Christentum nicht kennen oder nicht mit ihm vertraut sind, da er eine sehr tiefe Spur im kulturellen Leben des Abendlandes und der ganzen Welt hinterlassen hat. Aufgrund seiner einzigartigen Bedeutung hatte der hl. Augustinus einen sehr grossen Einfluss, und man könnte einerseits behaupten, dass alle Wege der lateinischen christlichen Literatur nach Hippo führen (dem heutigen Annaba an der Küste Algeriens), dem Ort, wo er Bischof war, und andererseits, dass von dieser Stadt des römischen Afrikas, deren Bischof Augustinus von 395 bis zu seinem Tod im Jahr 430 war, viele andere Wege des nachfolgenden Christentums und der abendländischen Kultur ausgehen.
Selten konnte eine Zivilisation einen Menschen von solcher Geistesgrösse vorweisen, der es verstand, ihre Werte aufzunehmen und ihren inneren Reichtum zu erhöhen, indem er Ideen und Formen erfand, von denen sich die Nachfahren nähren würden, wie auch Paul VI. hervorhob: “Man kann sagen, dass das gesamte Denken der Antike in seinem Werk zusammenfliesst und von ihm Denkströmungen ausgehen, die die gesamte Lehrtradition der nachfolgenden Jahrhunderte durchdringen” (AAS, 62, 1970, S. 426). Augustinus ist darüber hinaus der Kirchenvater, der die grösste Zahl von Werken hinterlassen hat. Sein Biograph Possidius sagt: Es schien unmöglich, dass ein Mann so vieles in seinem Leben zu schreiben vermochte. Über diese verschiedenen Werke werden wir bei einer der nächsten Begegnungen sprechen. Heute wird unsere Aufmerksamkeit seinem Leben vorbehalten sein, das sich aus seinen Schriften gut rekonstruieren lässt, insbesondere aus den Confessiones, der aussergewöhnlichen geistlichen Autobiographie, die zum Lob Gottes geschrieben wurde und sein berühmtestes Werk ist. Und das mit Recht, denn es sind gerade die Confessiones des Augustinus mit ihrer Aufmerksamkeit für die Innerlichkeit und die Psychologie, die ein einzigartiges Vorbild in der abendländischen Literatur, und nicht nur der abendländischen, auch der nichtreligiösen Literatur bis hin zur Moderne, darstellen. Diese Aufmerksamkeit für das geistliche Leben, für das Geheimnis des Ich, für das Geheimnis Gottes, das sich im Ich verbirgt, ist etwas Ausserordentliches und noch nie Dagewesenes und bleibt für immer sozusagen ein geistlicher Höhepunkt.
Wir wollen aber nun auf sein Leben zu sprechen kommen: Augustinus wurde in Thagaste – in der Provinz Numidien im römischen Afrika – am 13. November 354 als Sohn des Patricius, eines Heiden, der später Katechumene wurde, und Monika, einer eifrigen Christin, geboren. Diese leidenschaftliche Frau, die als Heilige verehrt wird, übte sehr grossen Einfluss auf den Sohn aus und erzog ihn im christlichen Glauben. Augustinus hatte auch das Salz als Zeichen der Aufnahme in das Katechumenat empfangen. Und er ist immer von der Gestalt Jesu Christi fasziniert geblieben; ja, er sagt, dass er Jesus immer geliebt habe, sich aber immer mehr vom kirchlichen Glauben, von der kirchlichen Praxis entfernt habe, wie es auch heute bei vielen Jugendlichen geschieht.
Augustinus hatte auch einen Bruder, Navigius, und eine Schwester, deren Namen wir nicht kennen und die später, nachdem sie Witwe geworden war, an der Spitze eines Frauenklosters stand. Der Knabe von sehr lebhafter Intelligenz erhielt eine gute Erziehung, auch wenn er nicht immer ein vorbildlicher Schüler war. Er studierte jedoch gut die Grammatik, zuerst in seiner Geburtsstadt, dann in Madaura und ab 370 Rhetorik in Karthago, der Hauptstadt des römischen Afrika: Er beherrschte perfekt die lateinische Sprache, gelangte jedoch nicht zu einer ebensolchen Beherrschung des Griechischen und erlernte nicht das von seinen Landsleuten gesprochene Punische. Gerade in Karthago las Augustinus zum ersten Mal den Hortensius, eine später verlorengegangene Schrift Ciceros, die am Anfang seines Bekehrungsweges steht. Der Text Ciceros weckte nämlich in ihm die Liebe zur Weisheit, wie er dann als Bischof in den Confessiones schreiben wird: “Jenes Buch änderte wahrlich meinen Sinn”, so sehr, dass “plötzlich jede eitle Hoffnung ihren Wert verlor und ich mit einer unglaublichen Glut des Herzens die Unsterblichkeit der Weisheit ersehnte” (III, 4,7).
Da er aber überzeugt war, dass man ohne Jesus nicht behaupten könne, die Wahrheit wirklich gefunden zu haben, und weil ihm in diesem fesselnden Buch jener Name fehlte, begann er sofort, nachdem er es gelesen hatte, die Heilige Schrift, die Bibel zu lesen. Aber er war davon enttäuscht. Nicht nur, weil der lateinische Stil der Übersetzung der Heiligen Schrift unzulänglich war, sondern auch, weil ihm der Inhalt selbst unbefriedigend erschien. In den Erzählungen der Schrift über Kriege und andere menschliche Angelegenheiten fand er nicht die Höhe der Philosophie, den Glanz der Suche nach der Wahrheit, die ihr eigen ist. Dennoch wollte er nicht ohne Gott leben und suchte daher eine Religion, die seiner Sehnsucht nach Wahrheit und auch seiner Sehnsucht, Jesus näherzukommen, entsprach. So ging er den Manichäern ins Netz, die sich als Christen ausgaben und eine völlig rationale Religion versprachen. Sie behaupteten, dass die Welt in zwei Prinzipien geteilt sei: das Gute und das Böse. Und damit wäre die ganze Komplexität der menschlichen Geschichte zu erklären. Auch die dualistische Moral gefiel dem hl. Augustinus, weil sie eine sehr hohe Moral für die Erwählten mit sich brachte: Und für den, der ihr, so wie er, anhing, war ein Leben möglich, das der Situation der Zeit sehr viel angemessener war, besonders für einen jungen Menschen. Er wurde also Manichäer und war in jenem Augenblick davon überzeugt, die Synthese zwischen Rationalität, Wahrheitssuche und Liebe zu Jesus Christus gefunden zu haben. Und das hatte auch einen konkreten Vorteil für sein Leben: die Zugehörigkeit zu den Manichäern eröffnete nämlich bequeme Perspektiven für eine Karriere. Jener Religion anzugehören, die so viele einflussreiche Persönlichkeiten zu ihren Anhängern zählte, gestattete ihm, die mit einer Frau eingegangene Beziehung fortzusetzen und in seiner Karriere voranzukommen. Von dieser Frau hatte er einen Sohn, Adeodatus, den er sehr liebte; er war sehr intelligent und sollte später bei der Vorbereitung auf die Taufe am Comer See zugegen sein und an jenen “Dialogen” teilnehmen, die der hl. Augustinus uns überliefert hat. Leider starb der Knabe frühzeitig. Mit ungefähr zwanzig Jahren lehrte Augustinus Grammatik in seiner Geburtsstadt, kehrte aber bald nach Karthago zurück, wo er ein brillanter und gefeierter Rhetorikmeister wurde. Mit der Zeit jedoch begann Augustinus sich vom Glauben der Manichäer zu entfernen, die ihn gerade vom intellektuellen Gesichtspunkt her enttäuschten, insofern sie unfähig waren, seine Zweifel zu klären, und er übersiedelte nach Rom und dann nach Mailand, wo sich damals der Sitz des Kaiserhofes befand und wo er dank des Interesses und der Empfehlungen des Präfekten von Rom, des Heiden Symmachus, der dem Bischof von Mailand, dem hl. Ambrosius, feindlich gesinnt war, eine einflussreiche Stelle erhalten hatte.
In Mailand nahm Augustinus – anfänglich um seine rhetorischen Kenntnisse weiter zu vertiefen – die Gewohnheit an, die sehr schönen Predigten des Bischofs Ambrosius anzuhören, der der Vertreter des Kaisers für Norditalien gewesen war, und der afrikanische Rhetor war vom Wort des grossen Mailänder Bischofs fasziniert; und nicht nur von seiner Rhetorik, sondern vor allem der Inhalt rührte immer mehr sein Herz. Das grosse Problem des Alten Testaments, nämlich das Fehlen rhetorischer Schönheit und philosophischer Grösse, erfuhr in den Predigten des hl. Ambrosius dank der typologischen Auslegung des Alten Testaments eine Lösung: Augustinus begriff, dass das ganze Alte Testament ein Weg zu Jesus Christus ist. So fand er den Schlüssel, um die Schönheit und auch die philosophische Tiefe des Alten Testaments zu verstehen, und begriff die ganze Einheit des Geheimnisses Christi in der Geschichte und auch die Synthese zwischen Philosophie, Rationalität und Glaube im “Logos”, in Christus, dem ewigen Wort, das Fleisch geworden ist.
In kurzer Zeit wurde Augustinus sich bewusst, dass die allegorische Lesart der Schrift und die neuplatonische Philosophie, die vom Mailänder Bischof angewandt wurden, ihm erlaubten, die intellektuellen Schwierigkeiten zu lösen, die ihm, als er jünger war, bei seiner ersten Annäherung an die biblischen Texte unüberwindbar erschienen waren.
Der Lektüre der Schriften der Philosophen liess Augustinus somit die erneute Lektüre der Schrift und vor allem der Briefe des Paulus folgen. Die Bekehrung zum Christentum am 15. August 386 stellte somit den Höhepunkt eines langen und mühsamen inneren Weges dar, von dem wir noch in einer weiteren Katechese sprechen werden, und der Afrikaner begab sich aufs Land im Norden von Mailand am Comer See – zusammen mit seiner Mutter Monika, seinem Sohn Adeodatus und einer kleinen Gruppe von Freunden –, um sich auf die Taufe vorzubereiten. So wurde Augustinus mit 32 Jahren am 24. April 387 von Ambrosius in der Osternacht im Mailänder Dom getauft.
Nach der Taufe beschloss Augustinus, mit den Freunden nach Afrika zurückzugehen, wobei er sich mit dem Gedanken trug, ein Gemeinschaftsleben monastischer Art im Dienst Gottes zu führen. Aber als sie in Ostia auf die Abreise warteten, erkrankte plötzlich seine Mutter und starb wenig später, was dem Sohn das Herz zerriss. Nachdem er schliesslich in die Heimat zurückgekehrt war, liess sich der Bekehrte in Hippo nieder, um ein Kloster zu gründen. In dieser afrikanischen Küstenstadt wurde er trotz seines Widerstands 391 zum Priester geweiht und begann mit einigen Gefährten das monastische Leben, an das er seit langem dachte, und teilte seine Zeit zwischen Gebet, Studium und Predigttätigkeit auf. Er wollte nur im Dienst der Wahrheit stehen, er fühlte sich nicht zum pastoralen Leben berufen, begriff aber dann, dass der Ruf Gottes genau darin bestand, Hirt unter den anderen zu sein und so das Geschenk der Wahrheit den anderen zu bringen. In Hippo wurde er vier Jahre später, im Jahr 395, zum Bischof geweiht. Während Augustinus weiter das Studium der Schrift und der Texte der christlichen Tradition vertiefte, war er ein vorbildlicher Bischof in seinem unermüdlichen pastoralen Einsatz: Mehrmals in der Woche predigte er für seine Gläubigen, unterstützte die Armen und die Waisen, sorgte für die Ausbildung des Klerus und die Organisation von Frauen- und Männerklöstern. In kurzer Zeit behauptete sich der ehemalige Rhetor als einer der bedeutendsten Vertreter des Christentums jener Zeit: Der Bischof von Hippo, der in den über 35 Jahren als Bischof in der Leitung seiner Diözese äusserst aktiv war – mit bemerkenswerten Auswirkungen auch auf das zivile Leben –, übte in der Tat einen grossen Einfluss auf die Leitung der katholischen Kirche des römischen Afrika und ganz allgemein im Christentum seiner Zeit aus, wobei er religiösen Strömungen und hartnäckigen und spalterischen Irrlehren wie dem Manichäismus, dem Donatismus und dem Pelagianismus, die den christlichen Glauben an den einen und an Erbarmen reichen Gott gefährdeten, entgegentrat.
Und Augustinus vertraute sich Gott jeden Tag an, bis zum Ende seines Lebens: Während seine Stadt Hippo seit fast drei Monaten von den vandalischen Invasoren belagert wurde, bat der von einem Fieber befallene Bischof – wie sein Freund Possidius in der Vita Augustini berichtet – darum, mit grossen Buchstaben die Busspsalmen abzuschreiben, “und liess die Blätter an der Wand befestigen, so dass er sie vom Bett aus während seiner Krankheit sehen und lesen konnte, und er vergoss unablässig heisse Tränen” (31,2). So vergingen die letzten Tage des Lebens des Augustinus, der am 28. August 430 starb, als er noch nicht 76 Jahre alt war. Seinen Werken, seiner Botschaft und seiner inneren Verfassung werden wir die nächsten Begegnungen widmen.
Generalaudienz
Der Heilige Augustinus, Teil 2/Generalaudienz am Mittwoch, 16. Januar 2008
Liebe Brüder und Schwestern!
Wie schon am vergangenen Mittwoch will ich heute über den grossen Bischof von Hippo, den hl. Augustinus, sprechen. Vier Jahre vor seinem Tod wollte er seinen Nachfolger ernennen. Dazu versammelte er am 26. September 426 das Volk in der Friedensbasilika in Hippo, um den Gläubigen den Mann vorzustellen, den er für diese Aufgabe bestimmt hatte. Er sagte: “In diesem Leben sind wir alle sterblich, aber der letzte Tag dieses Lebens ist für jeden einzelnen immer ungewiss. Trotzdem hofft man in der Kindheit, zum Jünglingsalter zu gelangen; im Jünglingsalter zur Jugend; in der Jugend zum Erwachsenenalter; im Erwachsenenalter zur Zeit der Reife; in der Zeit der Reife zum Alter. Man ist nicht sicher, dahin zu gelangen, aber man hofft darauf. Das Alter hat hingegen keinen weiteren Zeitabschnitt vor sich, auf den es hoffen könnte; seine Dauer selbst ist ungewiss… Ich kam durch Gottes Willen in der Blüte meines Lebens in diese Stadt; aber jetzt ist meine Jugend vorüber, und ich bin nun alt” (Ep. 213,1). An dieser Stelle nannte Augustinus den Namen des designierten Nachfolgers, des Priesters Heraclius. Die Versammlung brach in zustimmenden Beifall aus und wiederholte dreiundzwanzig Mal: “Gedankt sei Gott! Gelobt sei Christus!” Mit weiteren Akklamationen stimmten die Gläubigen ausserdem allem zu, was Augustinus dann hinsichtlich seiner künftigen Vorhaben sagte: er wollte die ihm noch verbleibenden Jahre einem intensiveren Studium der Heiligen Schrift widmen (vgl. Ep. 213,6).
In der Tat, die nachfolgenden vier Jahre waren Jahre einer ausserordentlichen intellektuellen Aktivität: Er vollendete wichtige Werke, nahm weitere, nicht weniger anspruchsvolle in Angriff, hielt öffentliche Debatten mit den Irrlehrern – er suchte immer den Dialog –, er griff ein, um den Frieden in den afrikanischen Provinzen zu fördern, die von den Barbarenstämmen aus dem Süden bedroht wurden. In diesem Sinn schrieb er an den Comes Darius, der nach Afrika gekommen war, um den Streit zwischen dem Comes Bonifatius und dem kaiserlichen Hof beizulegen, den die Stämme der Mauren für ihre Überfälle ausnutzten: “Der grösste Ehrentitel« – sagte er in dem Brief – “besteht darin, den Krieg mit dem Wort statt Menschen mit dem Schwert zu töten, und mit dem Frieden für den Frieden zu sorgen oder ihn aufrechtzuerhalten und nicht mit dem Krieg. Gewiss, auch diejenigen, die kämpfen, suchen, wenn sie gut sind, zweifellos den Frieden, aber um den Preis, Blut zu vergiessen. Du hingegen bist entsandt worden, um zu verhindern, dass man versuche, irgend jemandes Blut zu vergiessen” (Ep. 229,2). Die Hoffnung auf eine Befriedung der afrikanischen Gebiete wurde leider enttäuscht: Im Mai 429 passierten die Vandalen die Strasse von Gibraltar, nachdem sie aus Rache von Bonifatius selbst nach Afrika eingeladen worden waren, und fielen in Mauretanien ein. Die Invasion erreichte schnell die anderen reichen afrikanischen Provinzen. Im Mai oder Juni des Jahres 430 standen “die Zerstörer des Römischen Reiches”, wie Possidius jene Barbaren nennt (Vita, 30,1), vor Hippo, das sie belagerten.
In der Stadt hatte auch Bonifatius Zuflucht gesucht, der sich zu spät mit dem Hof ausgesöhnt hatte und nun vergeblich versuchte, den Invasoren den Weg zu versperren. Der Biograph Possidius beschreibt den Schmerz des Augustinus: “Mehr als sonst waren die Tränen Tag und Nacht sein Brot, er war nunmehr ans Ende seines Lebens gelangt und fristete mehr als die anderen in Bitterkeit und Trauer sein vorgerücktes Dasein” (Vita, 28,6). Und er erklärt: “Er, jener Mann Gottes, sah nämlich die Gemetzel und die Zerstörungen der Städte; die Häuser auf dem Land verfallen und die Einwohner von den Feinden getötet oder in die Flucht geschlagen und zerstreut; die Kirchen ihrer Priester und Diener beraubt; die heiligen Jungfrauen und die Ordensleute überallhin zerstreut; unter ihnen die einen unter der Folter gestorben, die anderen mit dem Schwert getötet, wieder andere gefangengenommen, die Integrität der Seele und des Leibes und auch den Glauben verloren, von den Feinden in schmerzhafte und lange Sklaverei geführt” (ebd., 28,8).
Obwohl er alt und müde war, stand Augustinus weiterhin in vorderster Linie und tröstete sich selbst und die anderen mit dem Gebet und der Betrachtung über die geheimnisvollen Pläne der Vorsehung. Er sprach diesbezüglich vom “Greisenalter der Welt” – und diese römische Welt war tatsächlich alt –, er sprach von diesem Alter, wie er es schon Jahre zuvor getan hatte, um die aus Italien kommenden Flüchtlinge zu trösten, als im Jahr 410 die Goten Alarichs die Stadt Rom erstürmt hatten. Im Alter, sagte er, gibt es Krankheiten in Fülle: Husten, Katarrh, Triefäugigkeit, Angst, Erschöpfung. Aber auch wenn die Welt altert, ist Christus ewig jung. Und daher die Aufforderung: “Lehne nicht ab, vereint mit Christus jung zu werden, auch in der alten Welt. Er sagt zu dir: Fürchte dich nicht, deine Jugend wird sich erneuern wie die des Adlers” (vgl. Serm. 81,8). Der Christ darf also auch in schwierigen Situationen nicht verzagen, sondern muss sich dafür einsetzen, dem zu helfen, der in Not ist. Das rät der grosse Lehrer, als er dem Bischof von Thiava, Honoratus, antwortet, der ihn gefragt hatte, ob unter der Bedrängnis der Barbareneinfälle ein Bischof oder ein Priester oder irgendein Mann der Kirche fliehen dürfe, um sein Leben zu retten: “Wenn für alle gleichermassen Gefahr besteht, das heisst für Bischöfe, Kleriker und Laien, so sollen diejenigen, die der anderen bedürfen, nicht von denen verlassen werden, derer sie bedürfen. In diesem Fall sollen sich alle an sichere Orte begeben; wenn aber einige bleiben müssen, sollen sie nicht von denen verlassen werden, die die Pflicht haben, ihnen mit dem heiligen Dienst beizustehen, so dass sie sich entweder gemeinsam in Sicherheit bringen oder gemeinsam das Unglück ertragen, das sie nach dem Willen des Familienoberhauptes erdulden sollen” (Ep. 228,2). Und er schloss: “Das ist der höchste Beweis der Liebe” (ebd., 3). Wie sollte man in diesen Worten nicht die heroische Botschaft wiedererkennen, die im Lauf der Jahrhunderte so viele Priester angenommen und sich zu eigen gemacht haben?
Indessen leistete die Stadt Hippo Widerstand. Das Kloster-Haus des Augustinus hatte seine Tore geöffnet, um die Mitbrüder im Bischofsamt aufzunehmen, die um Gastfreundschaft ersuchten. Unter diesen befand sich auch sein ehemaliger Schüler Possidius, der uns so das direkte Zeugnis jener letzten, dramatischen Tage hinterlassen konnte. “Im dritten Monat jener Belagerung” – berichtet er – “legte er sich mit Fieber ins Bett: Es war seine letzte Krankheit” (Vita, 29,3). Der heilige Greis nutze jene endlich freie Zeit, um sich mit grösserer Intensität dem Gebet zu widmen. Er pflegte zu sagen, dass keiner, weder Bischof noch Ordensmann noch Laie, möge seine Lebensführung noch so untadelig erscheinen, dem Tod ohne eine angemessene Busse entgegentreten darf. Daher wiederholte er ständig unter Tränen die Busspsalmen, die er so oft mit dem Volk gebetet hatte (vgl. ebd., 31,2).
Je mehr sich die Krankheit verschlimmerte, desto mehr verspürte der sterbende Bischof das Bedürfnis nach Einsamkeit und Gebet: “Um von niemandem in seiner Sammlung gestört zu werden, bat er ungefähr zehn Tage vor seinem Hinscheiden uns Anwesende, ausserhalb der Stunden, in denen die Ärzte kamen, um ihn zu untersuchen, oder man ihm das Essen brachte, niemanden in seine Kammer eintreten zu lassen. Sein Wille wurde genau erfüllt, und diese ganze Zeit verbrachte er im Gebet” (ebd. 31,3). Er verschied am 28. August 430: Sein grosses Herz hatte endlich Ruhe gefunden in Gott.
Zur Grablegung seines Leibes – informiert uns Possidius – wurde Gott das Opfer dargebracht, an dem wir teilnahmen, und dann wurde er bestattet (Vita 31,5). Sein Leib wurde an ungewissem Datum nach Sardinien übertragen und von dort im Jahr 725 nach Pavia in die Basilika “San Pietro in Ciel d’oro”, wo er auch heute ruht. Sein erster Biograph gibt über ihn dieses abschliessende Urteil ab: “Er hinterliess der Kirche einen sehr zahlreichen Klerus, wie auch Männer- und Frauenklöster voller Menschen, die sich der Enthaltsamkeit im Gehorsam gegenüber ihren Oberen geweiht hatten, zusammen mit den Bibliotheken, die seine Bücher und Reden sowie die anderer Heiliger enthielten, aus denen man erfährt, worin durch die Gnade Gottes sein Verdienst und seine Grösse in der Kirche bestanden habe, und in denen die Gläubigen ihn immer lebendig vorfinden” (Possidius, Vita, 31,8). Das ist ein Urteil, dem wir uns anschliessen können: in seinen Schriften “finden” auch wir ihn “lebendig” vor. Wenn ich die Schriften des hl. Augustinus lese, habe ich nicht den Eindruck, dass es sich um einen Mann handelt, der vor mehr oder weniger 1600 Jahren gestorben ist, sondern ich spüre ihn wie einen Menschen von heute: einen Freund, einen Zeitgenossen, der zu mir spricht, der mit seinem frischen und aktuellen Glauben zu uns spricht. Im hl. Augustinus, der in seinen Schriften zu mir, zu uns spricht, sehen wir die bleibende Aktualität seines Glaubens; des Glaubens, der von Christus kommt, dem ewigen, fleischgewordenen Wort, Gottessohn und Menschensohn. Und wir können sehen, dass dieser Glaube nicht von gestern ist, auch wenn er gestern verkündet wurde; er ist immer von heute, weil Christus wirklich gestern, heute und in Ewigkeit ist. Er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben. So ermutigt uns der hl. Augustinus dazu, uns diesem immer lebendigen Christus anzuvertrauen und so den Weg des Lebens zu finden.
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