Kein schnelles Ende in Sicht

Luftalarm in Jerusalem und Tel Aviv

Gaza Stadt– Abbas bittet Ägypten, zu vermitteln – Zahl ziviler Opfer steigt. Von Oliver Maksan

Israels Luftwaffe flog am Dienstagabend Bombenangriffe auf Gaza-City.

Jerusalem, Die Tagespost, 09. Juli 2014

Der Konflikt zwischen Israel und militanten Palästinensern aus Gaza hält weiter an. Die israelische Luftwaffe und die Marine griffen seit Dienstag im Rahmen der Operation “Protective Edge/Schutzrand” mehr als 400 Ziele im Gaza-Streifen an. Dabei sollen Agenturmeldungen zufolge über 30 Palästinenser getötet worden sein, darunter auch Zivilisten. Prominentestes Opfer ist ein Kommandeur des militärischen Arms der Hamas. Aus dem Gazastreifen gingen seit Beginn der israelischen Operation über 225 Raketen auf den Süden Israels nieder. Sie richteten derweil nur Sach- und keinen Personenschaden an. Ein Geschoss erreichte erstmals auch die Küstenstadt Hadera, die etwa 120 Kilometer nördlich des Gazastreifens liegt. Dabei handelt es sich um die bislang grösste Reichweite einer Rakete aus Gaza.

Nach dem Beschuss israelischer Ballungszentren wie Tel Aviv und Jerusalem am Dienstagabend, zu denen sich die Hamas bekannt hat, gehen Beobachter indes nicht von einem schnellen Ende der Kampfhandlungen aus. “Es wird noch dauern. Ein Waffenstillstand ist noch nicht absehbar. Israel will mit dieser Offensive die Infrastruktur der Hamas empfindlich treffen. Ihre Raketenreservoirs, Untergrundtunnel, aber auch ihre Kommandeure sind das Ziel”, sagt Gershon Baskin, ein Politikwissenschaftler aus Jerusalem, dieser Zeitung am Mittwoch.

Der Israeli gilt als einer der besten Kenner der Hamas. 2011 hat er den Austausch des von der Hamas 2006 entführten und über fünf Jahre festgehaltenen Soldaten Gilad Schalit vermittelt. Mit einer grossen Bodenoffensive oder gar einer Wiederbesetzung des 2005 von Israel unilateral geräumten Gebiets rechnet Baskin aber nicht. “Das ist keine Option”, sagt er. Beobachter halten einen solchen Schritt, der auf eine endgültige Ausschaltung und nicht nur Schwächung der Hamas abzielte und von einzelnen Politikern der israelischen Rechten gefordert wird, zwar für militärisch, aber nicht für politisch machbar. Der dafür nötige Häuserkampf in dem Gebiet, das als eines der dicht besiedelsten der Erde gilt, würde sowohl auf israelischer Seite als auch auf palästinensischer hohe Opferzahlen fordern und von der internationalen Gemeinschaft nicht mitgetragen. Baskin, der dem israelischen Friedenslager angehört, macht dabei die Hamas für die gegenwärtige Eskalation verantwortlich. “Sie sind so schwach wie nie. Es ging ihnen jetzt darum, ihren Ruf als Widerstandskraft gegen Israel aufzupolieren und die Unterstützung der Palästinenser wie der arabischen Strasse im allgemeinen wiederzuerlangen. Deshalb haben sie sich für Eskalation entschieden”, so Baskin. “Sie werden sich wie 2012 in jedem Falle zu Siegern erklären. Bislang fehlt ihnen aber noch ein qualitativ wichtiger Erfolg. Die Raketen auf Jerusalem und Tel Aviv wurden ja vom Abwehrsystem ‘Eiserne Kuppel’ abgefangen.” Baskin sagte weiter, dass sich Israels Premierminister Benjamin Netanjahu bislang in Zurückhaltung geübt habe. “Jetzt aber ist er gezwungen, zu handeln und Gewalt anzuwenden.” Man müsse aber auch sehen, so Baskin, dass die Hamas stets die Verantwortung für die Entführung der drei israelischen Jugendlichen Mitte Juni abgelehnt habe, woran sich die aktuelle Runde der Gewalt entzündet habe.

Israel sei aber stets vom Gegenteil ausgegangen und habe im Zuge der Suchaktion die Organisation sowohl im Westjordanland als auch in Gaza empfindlich getroffen. “In diesem jahrelangen Konflikt ist es aber letztlich ein Henne- und Ei-Spiel, wer verantwortlich ist. Es braucht endlich eine Friedensperspektive, vorläufig aber eine Verbesserung der humanitären Situation in Gaza. Mit Gewalt allein ist die Lage nicht zu lösen.”

Die Lage der Zivilbevölkerung in Gaza verschlechtert sich Usama Antar zufolge derweil wegen der Kämpfe zusehends. Der palästinensische Politikwissenschaftler aus Gaza-Stadt sagte dieser Zeitung am Mittwoch: “Die Lage ist sehr schlimm. In Gaza geht der Sprit aus. In zwei Tagen können keine Krankenwagen mehr fahren. Ausserdem haben die Krankenhäuser bald keine Betäubungsmittel mehr. In zwei Tagen vielleicht werden sie die Verletzten ohne Narkose operieren müssen.” Antar beklagt, dass Israel auch zivile Opfer bei den Angriffen gegen die Hamas in Kauf nehme. “Das sind nach internationalem Recht Kriegsverbrechen, die da geschehen“, so Antar. “Sie haben ganze Familien getötet.”

Palästinenserpräsident Abbas hat Israels Vorgehen unterdessen entschieden verurteilt und Ägypten um Hilfe gebeten. Israelischen Medienberichten zufolge (Mittwoch) will Ägyptens Staatschef Sisi zwischen den Konfliktparteien vermitteln. Im Ausland sind die Reaktionen auf die Kampfhandlungen geteilt. Jordanien hat die Angriffe der israelischen Luftwaffe am Mittwoch “barbarisch” genannt und von Israel ein sofortiges Ende gefordert. Der Iran nannte die israelische Militäroffensive in einer Stellungnahme des Aussenministeriums eine “barbarische Aggression”, die gestoppt werden müsse. Der Generalsekretär der Arabischen Liga, Nabil al-Arabi, forderte angesichts des israelischen Vorgehens eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates.

Die USA haben derweil das Recht Israels auf Selbstverteidigung betont. Ein Sprecher des Weissen Hauses zeigte sich aber zugleich besorgt angesichts von zivilen Opfern auf beiden Seiten. Die USA hofften, dass Israel einen “Kanal für Diplomatie” geöffnet liesse, um eine Waffenruhe oder eine Deeskalation der Lage herbeizuführen. Der Auswärtige Dienst der Europäischen Union verurteilte in einer Stellungnahme ebenfalls die Angriffe auf Israel. Gleichzeitig drückte er sein Bedauern angesichts der wachsenden Zahl ziviler Opfer in Gaza infolge der israelischen Luftschläge aus. Beide Seiten, so die Aussendung vom Dienstag, seien zur Zurückhaltung aufgerufen, um zivile Opfer zu vermeiden.

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