Der Kollaps der Information

Wir leben in einer Informationsgesellschaft. Angeblich

Die Tagespost, 21. Juli 2014

Tatsächlich werden wir überflutet von Informationen und Desinformationen, von mit Fakten getarnten Meinungen und Manipulationen. Aus welcher Küche welches Gerücht stammt, lässt sich rasch nicht mehr nachvollziehen: von Nachrichtenagenturen oder Nachrichtendiensten, Publizisten oder Politikern, Spin-Docs oder Spinnern? Wir leben in der Blütezeit der Verschwörungstheorien: weil wir wissen wollen, möglichst alles sofort – und weil wir zu wissen glauben wollen. Die Katastrophe des MH17-Absturzes ist nur ein Beispiel dafür: Wer Putin die Schuld für die Eskalation in der Ukraine gab, fand im Agieren der pro-russischen Separatisten und ihrer militärischen Ausrüstung die fehlenden Puzzleteile zum Kriegstreiberbild.

Putin-Apologeten dagegen “wissen” von Aktivitäten der Kiewer Flugabwehr, von finsteren Plänen fremder Mächte, von CIA-Intrigen. Abenteuerliche Parallelen werden da auf Facebook und Twitter gezogen: zu den Schüssen von Sarajevo, die vor einem Jahrhundert einen Weltkrieg auslösten, und zum 11. September 2001, dem Hochfest aller Verschwörungstheoretiker. Ähnliches spielt sich an der Internet-Front des Nahost-Konflikts ab: Jede Seite findet da ihre lückenlosen Beweisketten, die die ultimative Bosheit der je anderen Seite belegen. Unversöhnlich wie im Gaza-Streifen prallen auf Facebook & Co kontroverse Positionen aufeinander.

Auf der Strecke bleiben die Bereitschaft und die Kraft zur Differenzierung: Wer Gegenargumenten glaubt, ist ja wohl auf die gefälschten “Beweise” von FSB (sprich: KGB) oder CIA, von Hamas oder Mossad hereingefallen, oder? Sicher wird gelogen, dass sich die Balken biegen. Nicht bloss von Politikern und Geheimdiensten. Fotos und Dokumente fälschen kann heute fast jeder. Tatsache ist aber, dass nicht nur wir Endverbraucher von Informationen und Desinformationen ständig den Überblick verlieren. Auch die Politiker und Propagandisten, die Nachrichtendienste und Nachrichtenagenturen verlieren ihn angesichts immer häufigerer und komplexerer Krisen permanent.

Und auch das ist nicht beruhigend.

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