Spiel des Lebens: Runter von der Strasse

Spiel des Lebens: Runter von der Strasse: Kurz Gefasst: Appell zur WM

Kirchenprovinzen BrasiliensDie Tagespost, 10. Juni 2014

Am Donnerstag beginnt die Fussball- Weltmeisterschaft in Brasilien. Fussball-Fans in aller Welt fiebern dem Anpfiff entgegen. Doch es geht nicht nur um Sport. Die brasilianischen Bischöfe haben zur Fussball-WM einen eigenen Hirtenbrief verfasst. Denn der Fussball spielt in Südamerika auch im Leben der Kirche eine Rolle. Zwei Priester, der Herz Jesu-Pater Elemar Scheid (1936-1998) in Brasilien und der Salesianerpater Lorenzeo Massa (1882-1949) in Argentinien gelten heute als Fussballpioniere in ihren Ländern. Sogar der Papst ist Fan von Atletico San Lorenzo di Almagro, dem von Pater Massa gegründeten Klub.

In ihrer Botschaft zur Fussball Weltmeisterschaft betont die brasilianische Bischofskonferenz unter dem Motto “Jogando pela vida” (Spielen für das Leben), dass die Kirche Brasiliens mit Wohlwollen und Solidarität das grosse Sportereignis begleitet, das so viele Länder zusammenführen wird und so einen Vorgeschmack auf eine universelle Verbrüderung erahnen lässt. Gleichzeitig drücken die Bischöfe jedoch auch ihre Solidarität gegenüber jenen aus, die “wegen den Bauarbeiten für die Fussballweltmeisterschaft in ihrer Menschenwürde verletzt wurden, weil sie ihr Haus oder ihre Unterkunft verloren haben”. Damit erinnern die Bischöfe an die Hunderttausenden, die durch den Bau der Stadien und der dazugehörigen Infrastruktur ihre Unterkunft in den Favelas verloren haben.

Die Bischöfe laden die Brasilianer ein mitzuwirken bei dem Projekt “Copa da Paz” (Weltmeisterschaft des Friedens) und bei der gleichzeitig stattfindenden Kampagne “Jogando a favor da vida – denuncie o tráfico humano” (Spiele für das Leben – Bekämpfe den Menschenhandel). Gerade zur Weltmeisterschaft befürchten viele eine Zunahme der Prostitution und des Kindesmissbrauchs. Die Initiativen haben das Ziel dazu beizutragen, dass das sportliche Gross-Ereignis als eine Zeit der Stärkung der Bürgergesellschaft in Erinnerung bleiben wird.

Schon als der Fussball von England aus um 1890 auch Brasilien eroberte, verhalfen katholische Priester im Schuldienst dem Fussballsport zu grosser Popularität. Der bekannteste unter ihnen ist Pater Manuel Gonzalez in Petrópolis, der die ersten Fussballregeln für Brasilien und den ersten Lederball hergestellt haben soll. Die Kirche Brasiliens stand der wachsenden Fussballbegeisterung im Lande positiv gegenüber, weil man hoffte durch den Ballsport die aus der langen Kolonialzeit tief verwurzelten ungerechten sozialen Strukturen und die Rassenschranken besser überwinden zu können. Nachdem der Fussball bis 1930 eher ein Sport der Weissen und Reichen war, entdeckten danach auch die Afrobrasilianer und Favelabewohner ihre Freude am Fussball. So eroberte dieser die Strassen, wurde zum spontanen Ausdruck des Lebensgefühls der Benachteiligten. Auch als der Fussball seit 1930 unter Präsident Getulio Vargas dazu benutzt wurde, erstmals in der Geschichte Brasiliens so etwas wie ein Nationalgefühl zu erzeugen, stand die Kirche hinter dem damaligen Staatspräsidenten, der der Kirche im Gegenzug wieder eine stärkere Stellung in der Gesellschaft gewährte. Als der Fussball nach der verlorenen Weltmeisterschaft 1950 im eigenen Lande mehr und mehr zu einem Massenphänomen in Brasilien wurde, mit immer mehr pseudoreligiösen Zügen, wuchs bei Kirchenvertreter eine gewisse Skepsis bezüglich der “schönsten Nebensache der Welt”.

Die 1950er und 1960er Jahre waren Zeiten voller Spannungen und sozialer Konflikte in Brasilien, die auch auf den brasilianischen Fussball übergriffen. In dieser Zeit erfolgte die Popularisierung und Demokratisierung des Fussballs. Deshalb gewann der Ballsport nochmals an Popularität unter den armen Schichten der Bevölkerung. Als durch den Militärputsch 1964 Brasilien für 21 Jahre unter eine undemokratische Militärherrschaft kam, nutzten auch die Militärs den Sport als Mittel zur Selbstdarstellung und besseren Kontrolle der Gesellschaft. Für den brasilianischen Fussball war diese Zeit die erfolgreichste, denn zwischen 1958 und 1970 gewann Brasilien dank Pelé dreimal die Weltmeisterschaft. Brasilien war damit an der Weltspitze des Fussballs angekommen. Die Folge war eine rasante Kommerzialisierung und Professionalisierung des Fussballsports.

Zum Kicken ins Pfarrhaus

Von dieser Hochstimmung dem Fussball gegenüber liessen sich auch Priester und Bischöfe anstecken. Einer von ihnen war der Herz Jesu-Priester Elemar Scheid SCJ (*1936†1998) aus Lajeado im südbrasilianischen Bundesstaat Rio Grande do Sul. Sein Grosscousin war der spätere Kardinal Eusebio Scheid (81), der emeritierte Erzbischof von Rio de Janeiro. Scheid war der Nachkomme eines Auswanderers aus Sotzweiler im Saarland. Nach Beendigung seiner Theologiestudien an der Gregoriana in Rom wurde Elemar Scheid 1961 zum Priester geweiht und ging nach Brasilien zurück. Seit 1962 lehrte er dort einige Jahre Kirchenrecht an der Herz Jesu Priester Hochschule in Taubaté/SP und absolvierte selbst noch ein Jurastudium in Rio de Janeiro.

1965 begann Pater Elemar Scheid eine Tätigkeit als Gemeindepriester in Jaraguá do Sul /Santa Catarina im Süden Brasiliens. 1966 hatte die Stadt erst 25 000 Einwohner, die alle zu einer Pfarrei, die dem Heiligen Sebastian geweiht war, gehörten. Sein Schwerpunkt als Priester war die Jugendarbeit und die Arbeit mit Randgruppen. So gründete er neben der katholischen Jugend auch eine Emmaus-Initiative für Obdachlose und sozial Schwache. Einen Fussballverein gab es damals in der schnell wachsenden Stadt noch nicht. Die fussballbegeisterten Jugendlichen trafen sich deshalb im Pfarrhaus von St. Sebastian und kickten auf dem Vorplatz der Kirche. Pater Scheid erkannte das Potenzial der Jugendlichen, da er selbst leidenschaftlicher Fussballspieler war. Er erkannte aber auch das Potenzial des Fussballs, die Jugendlichen von der Strasse zu holen. Er besorgte den Jugendlichen einen Platz, wo sie trainieren konnten, aber nur unter der Bedingung, dass sie einmal in der Woche auch seinen Unterricht besuchten, er wollte nämlich aus den Fussballern auch Gemeindeleiter machen. Am Anfang fungierte Pater Scheid auch noch als Trainer. Brasilien war seit 1964 eine Militärdiktatur, das gesellschaftliche Leben wurde streng kontrolliert, nur die Kirche hatte noch einen gewissen Freiraum. So gründete Elemar Scheid am 1. Mai 1966 in seiner Pfarrei Sao Sebastiao einen Theaterklub mit Namen Juventus, diesem Klub wurde wenig später auch ein Fussballklub, Gremio Esportivo Juventus, angegliedert.

Für seinen Fussballklub fand er im fussballbegeisterten Brasilien schnell Mitstreiter unter den Einwohnern der Kleinstadt. Entscheidend war hier die italienischstämmige Unternehmerfamilie Marcatto, die bereits für ihre Arbeiter ein eigenes Betriebsstadion hatte, wo der von Elemar Scheid gegründete Verein trainieren konnte. Antonio Marcatto wurde auch der erste Präsident des neugegründeten Fussballklubs. Dennoch war die Unterstützung von Pater Elemar Scheid ausschlaggebend, dass aus einem Freizeitklub ein Fussballklub wurde, der den Vereinsstatus erlangte und begann, in einer Liga zu spielen. Erste Spieler wurden eingekauft. Sie wohnten im Pfarrhaus und waren offiziell Mitarbeiter der Firma Marcatto. Neben dem Fussball setzte sich Pater Scheid auch für eine umfassende ganzheitliche Bildung der Jugendlichen ein. Aus einer von ihm gegründeten Stiftung für Sozialstudien ist heute die Universität von Jaragua do Sul geworden mit vier Fakultäten und mehreren Tausend Studenten.

Als Pater Scheid 1978 nach Rio de Janeiro versetzt wurde, stand sein Fussballverein auf eigenen Füssen, er hatte längst ein Stadion, das den Namen Joao Marcatto, ihres ersten Mäzens, erhielt. Mit Beginn der 1990er wechselte der Club Juventus Jaraguá do Sul in den bezahlten Profi-Fussball. Erste Erfolge auf regionaler Ebene stellten sich ein. Zwischen 1991-1997 spielte der Klub bereits in der ersten Division des Bundesstaates Santa Catarina, bevor ein Finanzskandal den Verein wieder in die Amateurliga zurückversetzte. Aus den kirchlichen Wurzeln ist heute ein ganz normaler Fussballverein geworden, der 2007 und 2008 sogar erstmals bei der Copa do Brasil mitmachte, dem brasilianische Pokalwettbewerb. Aus der Jugendarbeit von Juventus Jaraguá ist auch der Spieler Filipe Luís Kasmirski (28) hervorgegangen, der heute für Atletico Madrid spielt und zu den besten Europas zählt.

Franziskus als Fussballfan

Nach der Wahl von Kardinal Bergoglio zum Papst im Jahr 2013 wurde bekannt, dass auch der argentinische Papst seit seiner Jugend ein grosser Fan des argentinischen Fuballklubs, Atletico San Lorenzo de Almagro ist, der 1908 von dem Salesianerpater Lorenzo Bartolomé Massa SDB (* 1882†1949) gegründet wurde. Auch Pater Massa wollte die Jugendlichen in dem von Einwanderern überquellenden Stadtteil Almagro der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires, von der Strasse holen und ihnen mit dem Fussball Halt geben, den sie in ihren oft entwurzelten Familien nicht mehr hatten. Auch Pater Massa gründete nach dem Fussballklub auch eine Universität in der Trägerschaft seines Ordens, das Instituto Técnico Lorenzo Massa von Tucumán. Der Verein von Pater Massa hat es im Jahre 2013 sogar zur argentinischen Meisterschaft gebracht, er spielte mit dem Konterfei von Papst Franziskus auf dem Trikot. Die erste Reise nach Gewinn der Meisterschaft ging nach Rom, wo die Mannschaft von ihrem Fan auf dem Stuhl Petri empfangen wurde.

Mit einem Appell gegen Gewalt jeder Art haben sich Brasiliens Bischöfe vor der Fussball-WM an die Bevölkerung gewandt. Dies müsse “in den Stadien und ausserhalb” gelten, heisst es in der Erklärung vom zuständigen “Sportbischof” Paulo Mendes Peixoto, die am Freitag auf der Website der Brasilianischen Bischofskonferenz veröffentlicht wurde. Es gelte, die Differenzen zu überwinden “und unsere Kräfte für den Aufbau des Guten zu kanalisieren”. Peixoto räumte ein, es gebe berechtigten Unmut über hohe Ausgaben, über Profiteure der WM und über eine Vernachlässigung des Sozialsektors. Doch durch mögliche Gewalt dürfe nicht Schlimmeres geschehen oder das Land seine Zielrichtung verlieren und abgleiten. “Halten wir die Daumen für eine Weltmeisterschaft des Friedens und des Sieges derer, die am besten vorbereitet sind”, so der Appell des Erzbischofs.

Starke Kritik an der WM hatten Brasiliens Bischöfe zuletzt mit einem Faltblatt “Weltmeisterschaft – Würde und Friede” geäussert. In der in drei Sprachen gedruckten Info-Broschüre vergab die Bischofskonferenz “Rote Karten” wegen WM-bedingter Enteignungen, der Verschwendung öffentlicher Gelder sowie der Privatisierung des Sports. Die Broschüren sollen während des am Donnerstag beginnenden Turniers verteilt werden.

Unter der Überschrift “Rote Karte” werden insgesamt acht Kritikpunkte aufgelistet, darunter Verstösse gegen die Menschenrechte. Die Bischöfe lieferten zugleich eine Aufstellung möglicher “Siegtore”, die die Regierung während des Grossereignisses erzielen könnte. Dazu gehört etwa, das Demonstrationsrecht auch während der WM zu respektieren, zivilgesellschaftliche Organisationen nicht zu kriminalisieren und auf Enteignungen armer Familien zu verzichten.

In der auf Portugiesisch, Englisch und Spanisch gedruckten Broschüre verpflichtet sich die Kirche selbst, als Vermittlerin zwischen Sozialbewegungen und der Regierung zu wirken und von der WM negativ Betroffene wie etwa Obdachlose zu begleiten. Im Vorfeld des Turniers war es in den vergangenen zwölf Monaten zu Massenprotesten gekommen. Im Zentrum der Kritik stehen Verstösse gegen die Menschenrechte im Rahmen der WM-Organisation. DT/KNA

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