“Der Wendepunkt der Weltgeschichte”
Bernt Besch ist Kanoniker vom Heiligen Grab zu Jerusalem
Ein Gespräch über Ostern in der Grabeskirche.
Die Tagespost, 17. April 2014, Von Oliver Maksan
Natürlich kann man Ostern überall feiern. Die Grabeskirche ist dennoch der historische Ort der Kreuzigung, des Erlösertodes und der Auferstehung Christi. Hier hat unser Herr für uns gelitten. Hier hat das Wunder der Auferstehung stattgefunden, der Wendepunkt der Weltgeschichte. Physisch näher kommt man diesem Geschehen nirgends als hier.
Sind Sie da sicher?Ja, daran gibt es keinen vernünftigen Zweifel. So hat sich selbst ein israelischer Professor der Hebräischen Universität geäussert. Es nicht als historisch anzunehmen, widerspricht auch den archäologischen Funden von 1977 und 1986.
Ist es wirklich so wichtig, ob das der historische Platz war?Christlicher Glaube und Geschichte gehören zusammen, weil Gott in die Geschichte eingetreten und berührbar geworden ist. Historie, Geschichte, hat aber auch meinen ganz persönlichen Glaubensweg entscheidend geprägt. Ich bin vom Protestantismus zum Katholizismus konvertiert, weil ich unter anderem durch historische Suche erkannte, dass die katholische Kirche die von Christus gestiftete Kirche des Ursprungs ist. Dazu gehört der Primat des Petrus und die frühen Zeugnisse des Sakramentenverständnisses, besonders der Eucharistie schon seit Ende des ersten Jahrhunderts. Für mich ist es deshalb jedes Jahr wieder erhebend, zusammen mit meinem Patriarchen und den Franziskanern die liturgischen Feiern des Osterfestes an diesem Ort des damaligen Geschehens zu begehen. Zu bedenken, dass Gottes Liebe hier bis zum Äussersten gegangen ist, bewegt die Seele immer wieder neu.
Gibt es einen Ort in der Kirche, der Sie geistlich besonders anspricht?Zunächst Golgota, die Kreuzigungsstelle. Dort zu beten und zu wissen: Da war mein Herr als Mensch noch lebendig und starb dort für mich und für alle Menschen, das berührt doch sehr. Aber natürlich liebe ich auch das Heilige Grab selbst. Während der Zweiten Intifada nach 2000 konnte ich dort, vor der Grablege des Herrn kniend, sogar das Brevier beten. Damals kamen ja kaum Pilger ins Heilige Land. Das Heilige Grab barg den Leichnam des Herrn. Hier ist die grosse Wandlung geschehen. Hier ist der menschliche Leib Christi verklärt worden, wie auf dem Berg Tabor. Das Turiner Linnen, das höchstwahrscheinlich auf dem Leib des Herrn lag, zeugt davon. Die Wissenschaftler fragen sich bis heute ja, wie die Abbildungen auf den Stoff kamen. Gemalt oder gedruckt sind sie erwiesenermassen nicht. Im Moment der Auferstehung muss eine gewaltige Energie freigeworden sein, die dieses Tuch imprägniert hat. Wenn man sich das vor dem Grab des Herrn bewusst macht, wie der Leib des Herrn durch die Auferstehung gewandelt wurde, kann das auch zu einer persönlichen Wandlung führen.
Erleben Sie das bei den Pilgern, die Sie durch die Kirche führen?Ja, das habe ich immer wieder erlebt. Menschen kommen immer wieder in Tränen aufgelöst aus dem Grab. Tiefe Bewegung habe ich selbst bei Politikern erlebt, die ich gelegentlich führe, auch deutsche. Ich erinnere mich an einen früheren Aussenminister von Litauen, der vor Golgota völlig versunken betete. Man spürte, wie ihm der Ort naheging.
Nun wird die Spaltung der Christenheit nirgends so deutlich wie in der Grabeskirche, in der sechs Konfessionen zusammenleben. Wie empfinden Sie das?Die Spaltung ist da. Das ist eine Tatsache. Wir erleben das sogar während unserer Feierlichkeiten, wo simultan andere Liturgien gefeiert werden. Gerade die Kopten mit ihren Zimbeln und Schellen sind nicht zu überhören. Manchmal versteht man dann während unserer Liturgie sein eigenes Wort nicht mehr. Aber das ärgert weder meine Mitbrüder noch mich. Das ist Teil des “Status quo“. Ich sehe das eher so: Wir alle zusammen, jeder auf seine Weise, preisen Gott. Ich empfinde das eher als Bereicherung.
Dennoch geht es nicht spannungsfrei ab. Selbst Schlägereien hat es schon vor dem Heiligen Grab gegeben, dass sogar die israelische Polizei eingreifen musste.Ja, leider. Und das ist ein Skandal. Aber in den letzten Jahren hat sich die Lage doch beruhigt. Vor allem die Franziskaner lassen es nicht auf einen Konflikt ankommen und räumen lieber das Feld. Spannungsvoller geht es zwischen Griechen und Armeniern zu. Vor allem während des sogenannten Lichtwunders am Karsamstag kommt es immer wieder zu Rangeleien. Denn die Armenier meinen, sie hätten ein Recht, zusammen mit dem griechischen Patriarchen in die erste der zwei Kammern zu gehen, wo sich angeblich in der Kammer der Grablege das Licht wundersam entzündet.
Schreibe einen Kommentar