Niels Stensen, ein Bioethiker vor seiner Zeit

Die moderne Bioethik hat einen kirchlichen Vorläufer im 17. Jahrhundert:

Niels Stensen

Niels Stensen. Der dänische Bischof war einer der führenden Naturwissenschaftler seiner Zeit, und nach seiner Konversion zum Katholizismus brachte er sein Fachwissen in seine theologische Forschung ein. Johannes Paul II. sprach Niels Stensen selig. Der Würzburger Kirchenhistoriker Frank Sobiech hat sich im Rahmen seiner Habilitation mit Niels Stensen beschäftigt.

“Stensen war ein Naturwissenschaftler, der in einer Zeit lebte, in der die Naturwissenschaften und die Theologie noch nicht methodisch vielfach sauber voneinander getrennt waren. Stensen war der erste, oder einer der ersten, der Theologie und Naturwissenschaften methodisch trennte. Das heisst aber nicht, dass Stensen die Naturwissenschaften absolut gesetzt hätte. Sondern diese Trennung war für ihn Voraussetzung zu einem Dialog.“

Geboren 1638 in Kopenhagen, studierte Stensen Anatomie und Medizin in seiner Heimatstadt sowie in den Niederlanden. Schließlich ging er nach Italien, wo der Lutheraner 1667 zum katholischen Glauben übertrat. Italien blieb seine geliebte geistliche Heimat auch in jenen Jahren, in denen er als Bischof in der nordischen Mission eingesetzt war. In seinen naturwissenschaftlichen Forschungen interessierte sich Stensen für alles Mögliche – und kam zu beachtlichen Einsichten für seine Zeit.

„Stensen hatte 1669 eine Schrift herausgebracht, in der er die Wissenschaft der Geologen begründete. Er wies als erster nach, dass die Erde eine Geschichte hat. Er hat den Erdboden in der Toskana, aber auch europaweit – in Osteuropa insbesondere – untersucht und kam zum Ergebnis, dass sich anhand der schichten im Erdboden nachweisen lässt, dass das Ganze eine Entwicklung erfahren hat. Stensen hat noch nicht von Evolution gesprochen, aber das Zeitmoment hineingebracht in die Betrachtung der Erde. Das Außergewöhnliche daran ist: Stensen hat das als Neuerung bezeichnet, und das Ganze hat das kirchliche Imprimatur bekommen.“

In gerader Körperhaltung aufgerichtet, steht Niels Stensen, die Hand schützend auf einem leblos hingestreckten Frauenkörper. So zeigt ihn eine Skulptur vor einem Kopenhagener Universitätsgebäude. Sie erinnert daran, dass der dänische Forscher besonders beim Sezieren weiblicher Körper, als Anatom also, bahnbrechende Entdeckungen machte.

„Stensen wies als erster nach, dass die Frau nicht, wie es damals hieß, atrophierte Hoden besitzt wie der Mann, sondern ein Ovarium, also einen Eierstock. Das war damals etwas vollständig Neues. Er hat das erstmals anatomisch nachgewiesen und veröffentlicht. Das Ganze bekam auch das kirchliche Imprimatur, der zuständige Zensor lobte sogar ausdrücklich in der Zensur Stensens genaue und gründliche Darstellung, und dieses Buch wanderte sogar bis in die Privatbibliothek des damaligen Papstes Clemens IX.“

Stensen, übrigens ein Bewunderer Galilei Galileis, geriet selbst nie in Konflikt mit der Kirche. Im Gegenteil ließ der Heilige Stuhl an seiner Wertschätzung für diesen gescheiten und besonnenen Mann und seine Forschung keinen Zweifel. Als es um die Frage ging, ob dieser Konvertit zur Bischofsweihe tauge, galt es der Kirche sogar als besonderes Plus, dass Stensen Naturwissenschaftler war.

„Es wurde explizit gesagt, Stensen hat sich in weltlichen Dingen bewährt, Naturwissenschaft betrieben und von daher ist er besonders geeignet als Bischof. Man muss bedenken, Stensen sollte nicht irgendein Bischof werden, sondern ein ganz besonderer Bischof, nämlich in den nordischen Missionen. Er hatte eine Art von diplomatischer Tätigkeit, er war nämlich zuerst am Hof des konvertierten Herzogs in Hannover eingesetzt, das heißt er war dort für di Diaspora zuständig und auch für den Kontakt mit Andersgläubigen, in diesem Fall Lutheraner. Das heißt dass er kontroverstheologische Gespräche führte und für all diese mehr diplomatischen Aufgaben war eine solche naturwissenschaftliche Vorbildung sehr sinnvoll.“

Nach seiner Bischofsweihe schwenkte Niels Stensen zur Theologie und zur Seelsorge um.

„Der Philosoph Leibnitz, der damals in Hannover war, wollte ihn sogar auch versuchen ihn zur Naturwissenschaft zurückzubringen, Stensen mochte aber nicht.“

Sein Dasein als Diaspora-Bischof brachte mehrmalige Ortswechsel mit sich. Unter anderem wirkte Stensen als Weihbischof in Münster und Paderborn, zuletzt in der kleinen, von ihm gegründeten Gemeinde in Schwerin. 1686 starb er dort verarmt, aber hoch geachtet von Katholiken wie Protestanten.

„Er hatte nach wie vor Kontakt mit seinem Freund, dem Großherzog von Toskana gehalten, der ihn Zeit seines Lebens finanziell förderte. Als Stensen gestorben war wurde vom Großherzog von Toskana mit dem Schiff als Bücherkiste getarnt nach Florenz geschafft und dort in der Mediceer-Grablege San Lorenzo bestattet.“

Was Stensen als Bischof blieb von seiner Vergangenheit als Forscher, war nicht nur das naturwissenschaftliche logische Denken, sondern auch die Faszination für das menschliche Leben. Er hatte sich mit Embryologie beschäftigt. Frank Sobiech bezeichnet Stensen als Vorläufer der christlichen Bioethik – ein Begriff, der erst im 20. Jahrhundert aufkam.

„Im Mittelpunkt der Bioethik – das ist der Schlüssel seiner Bioethik – ist der Körper als Dolmetscher der Liebe Gottes. Das heißt, aufgrund dessen besitzt der Anatom, aber auch der Arzt und letztendlich jeder Mensch Verantwortung für das eigene Leben und für das Leben des anderen Menschen. Daran kann man sehen, Stensen war kein Materialist, sondern hat immer die Beziehung Mensch Gott gesehen. Stensen sagt also, wenn man nur auf die Erde blickt aber das Ziel bei Gott aus den Augen verliert, dann gerät das menschliche Leben in Gefahr.“

Unser Buchtipp: Frank Sobiech: Radius in manu Dei. Ethos und Bioethik in Werk und Rezeption des Anatomen Niels Stensen (1638-1686). Aschendorff Verlag, Münster 2013. 49 Euro.

rv 29.03.2014 gs

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