Leben entsteht aus Spannung
Gleichgeschlechtlichkeit, Nachahme-Phänomene und biblische Perspektive
Betrachtung zur Offenbarung des Johannes. Von Klaus Berger
Die Tagespost, 17. März 2014
Das Ziel der Weltgeschichte ist die Hochzeitsfeier eines Paares. Der Hafen, zu dem die Menschheit seit Adam und Eva unterwegs ist, besteht in einem grossen Hochzeitsmahl. Unter dem Bild der definitiven ehelichen Verbindung von Mann und Frau schaut der Seher Johannes den Sinn des langen Weges von Anfang bis Ende, vom Paradies bis zum neuen Paradies, vom Punkt Alpha bis zum Punkt Omega.So nachhaltig gilt der Satz “Männlich und weiblich schuf er sie”, den wir über alle Lebewesen der ersten Schöpfung hören, auch für die zweite, erneuerte und vollkommene Schöpfung. Der Mann und die Frau, die sich da verbinden, sind Gott und sein Volk, der Messias und das neue, erweiterte Israel. Und Ehe und Hochzeitsfeier, Bräutigam und Braut, Gäste und Mahl sind nicht Bilder, an den Haaren herbeigezogen von irgendwoher, sondern diese Bilder sind schon fast die Sache selbst. Denn sie sagen sehr, sehr viel über Gott und sein Volk, über das “Lied in allen Dingen“ und vor allem auch über die Ehe zwischen Mann und Frau. Wenn also die ganze Kirche jetzt aus vielen Anlässen neu nachdenkt über Sexualität, Ehe, Mann und Frau, dann sollte sie öfter in die Geheime Offenbarung des Johannes schauen, wo eben diese Themen den roten Faden ausmachen, an dem das ganze Drama zwischen Gott und Mensch hängt. Denn dieses ist, wie schon Dante sagte, eine Divina comedia, ein Stück, das wie eine Komödie gut ausgeht. Nicht in Schrecken und Zerstörung, nicht in Wahnsinn und Scheidung, nicht in Angst und Schrecken, sondern wie ein schönes Fest im Dreivierteltakt. Wir fragen zur Abwechslung einmal, was dieser Schluss der Bibel für das Verhältnis von Mann und Frau bedeutet, welches Bild von Ehe er voraussetzt. Da hält die Offenbarung des Sehers Johannes prickelnde neue Einsichten bereit.
Denn so ist es die Denkweise der ersten Christen, alle bestehenden Formen und Institutionen von der Vollendung am Ende her zu denken und zu begründen, die Kirche und die Ehe, das Amt und das Mahl, die Sakramente allgemein und die Sakramentalien, das Begräbnis und nicht zuletzt die Musik. Denn die Kirche ist der Anfang des himmlischen Jerusalem, gebaut auf den Fundamenten der Zwölf Apostel, die Ehe zwischen Mann und Frau ist das Abbild der Hochzeit zwischen Messias und Braut, das Amt versteht sich vom Einsammeln als der Aufgabe der Engel her, das Mahl ist in der Eucharistie die innigste Form der Verbindung von Gott und Mensch, die übrigen Sakramente sind die Eintrittskarten in das Paradies, Sakramentalien wie das Kreuzzeichen sind die Symbole des künftigen Sieges, das Begräbnis ist für den Toten die letztmalige Begegnung mit all dem, was Vergangenheit ist, die Kirchweihe ist Einzementieren eines Bausteins der künftigen Stadt, die Musik ist schon direkte Communio mit den Engeln.
“Sie lehrt nicht Moral, sondern erzählt von der Schönheit der Braut”
In dem Musical “Der Mann von La Mancha” über Don Quijote gibt es ein bewegendes Lied, in dem der Held Don Quichote seinen Glauben formuliert. Es beginnt mit den Worten “Ich glaube an die zukünftige Stadt”. Angesichts des gegenwärtigen Zustands der Ehe ist jeder Christ wie ein solcher Don Quichote und kann dieses Lied nur mit Tränen singen. Dabei ist es doch Sinn aller Sakramente, dass der Garant der Hoffnung, Jesus Christus, schon kraftvoll gegenwärtig ist.
Wenn Ehe so von dem her gedacht wird, wozu die Welt da ist, dann ist die Offenbarung des Johannes in diesen Punkten inspirierend: Sie lehrt nicht Moral, sondern erzählt von der Schönheit der Braut. Denn von der Stadt, der Braut des Messias, sagt Johannes: “Sie war schön wie eine Braut, die sich für ihren Bräutigam geschmückt hat.” (21, 2). Deshalb heisst es in 19, 7: “Wir wollen uns freuen und jubeln und Gott die Ehre geben. Denn bald ist die Hochzeit des Lammes. Die Braut hat sich geschmückt, sie durfte das strahlend weisse Leinengewand anlegen.” Prüderie und Sinnenfeindschaft sehen anders aus.
Und die Geheime Offenbarung ist das einzige Buch der Weltliteratur, in dem die Sehnsucht der Ehepartner nacheinander einen fast amtlichen, jedenfalls liturgischen und juristischen Charakter bekommt. Denn der Schluss dieses Buches zitiert ein Stück Liturgie, nach dem der Heilige Geist und die Braut rufen: “Komm!“ “Und jeder, der es hört, soll in den Ruf einstimmen und rufen: “Komm!“ Jeder, der Durst hat, soll kommen…“. Geist und Braut und einstimmender Christ sind die sich gegenseitig bestätigenden Zeugen. Soweit das Juristische.
Aber das Wörtchen “Komm!“ – das weiss jeder Ehepartner – ist wie das Tausend-Dollar-Geschenk in jeder Ehe. Es ist die kürzeste und eindeutigste Formulierung von Sehnsucht, die es gibt. Wer also über Ehe neu nachdenkt, sollte wissen, dass Schönheit und Sehnsucht (Begehren) die härtesten und unausweichlichen Vorgaben “von der Sache selbst her“ sind, um die es geht. Das ist eine extreme Herausforderung an jede Moraltheologie. Wenn sie dieser Anforderung nicht gewachsen ist, hat sie von Anfang an verloren. Niemand redet der Aufgabe von Grundsätzen das Wort, aber wenn man wagt, in dieser heiklen Sache davon zu reden, müsste es sprachlich, theologisch und menschlich angemessen (“herzlich“) geschehen, nämlich dem “Phänomen gerecht werdend“.
Die Ehe, von der Johannes spricht, ist Gottes Bund mit den Menschen. Daher zitiert 21, 4 – gerade nachdem in 21, 3 von der Braut die Rede war – das, was die Theologen die “Bundesformel“ nennen: “Hier wohnt Gott gemeinsam mit den Menschen. Wenn Gott bei ihnen wohnt, sind sie endgültig sein Volk, und er ist als ihr Gott für immer bei ihnen.“ So oder ähnlich hat Gott es immer wieder zu Israel gesagt. Und wenn es irgendeine Wahrheit gibt, dann diese. Gott löst keinen Bund auf, den er je geschlossen. Gott ist treu, und jede menschliche, vor allem aber jede christliche Ehe ist eingebettet in Gottes Bundestreue. Ehescheidung mit Wiederheirat ist daher wegen des jüdischen und christlichen Gottesbildes undenkbar. Gerade deshalb ist Jesu Wort gegen die Ehescheidung das am häufigsten überlieferte Jesuswort. Denn nur an der menschlichen Treue kann man ablesen, was Gottes Treue bedeutet. Jede Verbindung von Eheleuten ist Gottesverkündigung oder Gottesverrat. Wenn sie in der Darstellung von Gottes Treue ausfallen – wer soll da noch an Gottes Treue glauben? Dasselbe gilt übrigens von Priestern und ihren Weiheversprechen.
Die Kirche kann hier wieder glaubwürdig werden, wenn sie der Offenbarung des Johannes inhaltlich in dem folgt, was die Eheleute miteinander tun sollen. Dieses Buch ist ein durch und durch liturgisches. Liturgie aber bedeutet zuerst: Zeit füreinander haben. So ist zum Beispiel der Hymnus in 15, 3–4 reine Zeitverschwendung. Er bietet nichts Neues. Aber: Selig, wer seine Zeit liturgisch verschwenden kann. Ehelich heisst das: Die Gegenwart des anderen geniessen (ehe es sicher zu spät sein wird). – Gregor der Grosse spricht bei seiner Auslegung des Hohenlieds von der “Gnade des Schauens“. Jede Ehe hat mehr mit einem kontemplativen Kloster zu tun, als man denkt: “Ich mag dich anschauen und werde nicht satt davon.“ Und wenn Gott zu schauen überhaupt das höchste Ziel ist, dann kann man begreifen, warum das schlichte Anschauen des Partners ein elementarer Baustein der Ehe ist. Das hochzeitliche Mahl, von dem die Geheime Offenbarung und die Gleichnisse Jesu sprechen, hat grundsätzlich kein zeitliche Grenze.
Der Seher Johannes kann nicht aufhören, begeistert zu reden von der Würde der Braut. Denn sie ist königlich und priesterlich und Gottes kostbares Eigentum. Hat er sie doch teuer “aus den Heidenvölkern“ gekauft. Bis heute gilt unter orientalischen Christen: wer eine Araberin heiratet, wiege sie – zumindest partiell – in Gold auf. Sie ist ein Schatz. Weder Brautkauf noch Besitzvorstellungen kann man wieder einführen. Aber königlicher als Könige, strahlender als Priester, kostbarer als Schätze kann nichts und niemand sein. Diese Attribute aber sind in der Hauptsache unverlierbar. Und die Eigentumsmetaphorik zielt auf Bleibendes.
Nach Apokalypse 21, 9b sagt der Engel zu Johannes: “‘Komm, ich zeige dir die Braut des Lammes‘. Dann führte er mich in der Kraft des Heiligen Geistes auf einen riesig hohen Berg. Er zeigte mir die heilige Stadt Jerusalem, geradewegs vom Himmel auf die Erde versetzt, strahlend von Gottes Herrlichkeit, funkelnd wie ein Edelstein…“ Die Braut ist also eine heilige Stadt, das heilige, himmlische Jerusalem. Wie kommt es zu dieser “Gleichsetzung“? Was ist das Verbindende zwischen den beiden?
Immer wieder hat man eine Stadt, eine Gemeinschaft von Menschen, ein Volk, dargestellt als eine Frau. Zum Beispiel “Kirche“ und “Synagoge“ hat man gedacht und geformt als zwei weibliche Gestalten, “Marianne“ als Frankreich, Maria als “die Kirche“ oder als “die Menschheit“.
“Auch für Gott und sein Volk geht es um das Drama der Freiheit”
Die Gemeinschaft einer Universität nennt man “Alma Mater“ (nährende Mutter), Rom eine Wölfin. Denn eine Frau denkt man mit ihren Kindern zusammen. Und wenn man sagt: Ein Kind grossziehen, ist wie ein Dorf grossziehen, so gilt noch mehr: Eine Frau ist wie eine Stadt mit Häusern und Türmen, Toren, Alleen und Zugbrücken. Wer wollte sie erfassen oder auf einen Nenner bringen? Das gilt von jeder Frau und vom Gottesvolk im Ganzen. Die Weisheitsliteratur ist voll von Sprüchen über dieses Geheimnis. Wie es zum Beispiel möglich ist, dass eine Mutter jedes ihrer Kinder liebt, und jedes neue, weitere Kind mit verdoppelter Liebe? Lieben können ist hier das umkämpfte Geheimnis. Wohl deshalb wird Gottes Volk die Braut des Messias genannt, weil um die Zuneigung dieser Braut selbst der Messias kämpft. Man kann auch sagen: kämpfen muss.
Auch die Geheime Offenbarung stellt einen solchen Kampf dar, und wer zuhören kann, der lernt über das rätselvolle Zueinander von Mann und Frau vielleicht vor allem dieses: Überall dort, wo Leben ist, entsteht Leben aus dieser Spannung. Deshalb hat bei der Frage, wie denn Leben entstehen soll, so wie die Schöpfung ist, Gleichgeschlechtlichkeit keine Chance. Die Verfechter der Gleichgeschlechtlichkeit behaupten nun, es sei alles bei dieser Liebe – ausser der Reproduktion – ganz gleich. Aus der Sicht der Geheimen Offenbarung ist allerdings zu sagen: Es geht dabei nur ein Nachahme-Phänomen. Dergleichen gibt es nach der Geheimen Offenbarung öfter, und nicht gerade auf der Seite Gottes, sondern auf der Gegenseite. Und wir lernen aus dem letzten Buch der Bibel erneut, was auch schon die Propheten und Jesus nach den vier Evangelien lehrten, indem sie Jesus den Bräutigam nennen, dass diese schlichte Wahrheit auch für das Verhältnis von Gott und Menschheit gilt. Und zwar “mutatis mutandis“, wie man sagt, also nicht einfach so, geradlinig ausgeweitet, aber unter Berücksichtigung des notwendig Ungleichen doch auch und wirklich. Denn auch für Gott und sein Volk geht es um das Drama der Freiheit. Die Freiheit, Ja sagen zu können oder auch nicht, Verliebtheit zu kennen oder auch unter Liebeskummer zu leiden.
Im Verhältnis von Gott und Mensch reden dann die Mystiker davon. Andere Theologen reden von der Geschichte als der Substanz dieses Verhältnisses. Es ist so, als gäbe gerade die Anteilhabe an dieser Freiheit auch den Nachkommen die Möglichkeit, sie selbst zu werden. Denn Uniformität von Mann und Frau, Gott und Mensch nähme die Luft zum Atmen. Deshalb möchten und sollen wir zwar eins werden, aber nicht identisch, weder im jetzigen noch im kommenden Äon.
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