“Janukowitsch versucht, seine Haut zu retten”
“Kein Grund für Entwarnung in der Ukraine”
Auch nach der jüngsten Einigung sieht Professor Andreas Umland keinen Grund für Entwarnung in der Ukraine-Krise.
Die Tagespost, 21. Februar 2014
Von Markus Reder
Eine Übergangsregierung und vorgezogene Neuwahlen sollen helfen, die schwere innenpolitische Krise der Ukraine zu lösen. Ist damit der Weg für eine Befriedung der Situation geebnet?
Man kann nur darauf hoffen, dass die Einigung akzeptiert wird und damit auch die Proteste und die bewaffnete Auseinandersetzung aufhört.
Vieles hängt jetzt davon ab, wie die Machtverteilung aussehen wird. Nur wenn Janukowitsch einen Grossteil seiner Macht an eine akzeptierte Übergangs- beziehungsweise Koalitionsregierung abgibt, wird das für die Protestierenden akzeptabel sein. Behält er weiter direkten oder indirekten Einfluss, wird die Vereinbarung wenig bringen.
Wie erklären Sie sich das Einlenken von Janukowitsch?
Ich glaube, er hat vorher lediglich geblufft. Er hat gar nicht die Ressourcen, so einen Ausnahmezustand lange durchzuhalten. Er kann sich nicht auf die Sicherheitskräfte verlassen. Diese werden offenbar sehr gut bezahlt – aber irgendwann geht ihm das Geld aus. Er hat keinen Apparat, mit dem er so eine harte Linie lange durchsetzen kann. Deswegen versucht er jetzt, seine Haut zu retten.
Was kann die EU in dieser Situation tun?
Möglichst präsent sein! Es gibt eine Initiative von Europa-Parlamentariern, die fordern, dass in Kiew ständig europäische Parlamentarier präsent sind, deren Präsenz eine deeskalierende Wirkung hätte. Und man muss darauf achten, dass die Vereinbarungen auch eingehalten werden. Wir haben es bei Janukowitsch schon oft erlebt, dass Ergebnisse von Absprachen im Nachhinein unterwandert wurden. Man wird jetzt insbesondere darauf achten müssen, wie sich Russland verhält.
Wird Moskau diese Einigung akzeptieren?
Das ist sehr schwer zu sagen, weil die Darstellung der Ereignisse in Kiew in den russischen Massenmedien völlig abstrus ist. Da ist von einem faschistischen Putsch die Rede, von Umsturz, von Rechtsextremisten, von Xenophobie und so weiter. Natürlich gibt es unter den Protestierenden ganz verschiedene politische Gruppierungen, unter anderem auch Rechtsextremisten und Ultranationalisten. Diese Bilder werden dann gerne im russischen Fernsehen gezeigt. Deswegen würde es eine Art Diskrepanz geben zwischen einer Vereinbarung, als deren Resultat die Opposition an der Macht beteiligt würde, und dem bisherigen Bild, das in den russischen Massenmedien von der Opposition gezeichnet worden ist. Vielleicht ist trotzdem darauf zu hoffen, dass Russland diese friedliche Lösung akzeptiert.
Angesichts der instabilen Lage ist es für Entwarnung also zu früh?
Sowohl in innenpolitischer als auch aussenpolitischer Hinsicht ist Janukowitsch ein unsicherer Kumpane. Man weiss nicht, was diese Vereinbarung im Endeffekt bedeutet und inwieweit sie eingehalten wird. Noch mehr Augenmerk würde ich legen auf die aussenpolitische Komponente, insbesondere auf das Spiel zwischen ukrainischen Separatisten, etwa auf der Krim, und der Moskauer Führung. Da könnte sich ein Szenarium ergeben, das an Georgien 2008 erinnert, in dem ukrainische russophone oder russische Separatisten Moskau um Hilfe bitten und es dann zu einer Aufspaltung des Landes kommt.
Was hat zur blutigen Eskalation der vergangenen Tagen geführt? Wer trägt die Verantwortung für das Blutvergiessen in Kiew?
Die Verantwortung trägt klar die ukrainische Regierung. Es ist dann im Laufe der Eskalation immer mehr dazu gekommen, dass sich auch die Protestierenden erst mit Stöcken und Schildern bewaffnet und dann Molotow-Cocktails verwendet haben. Inzwischen gibt es auch unter den Protestierenden junge Männer, die Schusswaffen gebrauchen. Aber die Reihenfolge dieser Eskalationsschritte ist eindeutig: Die Gewaltanwendung ging zunächst von der Regierung aus. Das hat dann zur Bewaffnung und Gewaltaktion auch der Demonstrierenden geführt, die von den Protestierenden als Selbstverteidigung betrachtet wird. Es wird im Westen oft darauf gepocht, dass man doch bitte gewaltlos protestieren möchte. Wenn man aber ein paar Mal verprügelt und beschossen worden ist oder Menschen umgekommen sind, dann ist der moralisierende Ruf nach gewaltfreiem Protest nicht mehr seriös.
Inwieweit handelt es sich bei diesem blutigen Konflikt in der Ukraine um eine historische Auseinandersetzung, in der nicht nur zwei Mächte – EU und Moskau –, sondern zwei politische Konzepte, ja zwei Menschenbilder miteinander konkurrieren?
Das kann man durchaus so sagen. Da ist auf der einen Seite ein Menschenbild, in dem alle Bürger am Willensbildungsprozess und der Machtausübung beteiligt sein sollen. Auf der anderen Seite erleben wir einen Missbrauch der Macht, wie das in vielen Weltregionen der Fall ist, unter anderem im postsowjetischen Raum. In bestimmten Ländern lehnen sich die Menschen dagegen auf, in anderen nicht. In der Ukraine hat das nun leider auch zum Blutvergiessen geführt.
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