Brot und Spiele, Macht und Prestige
Die politischen Herrscher und die Olympischen Spiele
Brot und Spiele, Macht und Prestige. Die lange Geschichte der Olympischen Spiele ist geprägt von der Instrumentalisierung durch die Politik: Kaiser Nero liess es sich nicht nehmen, als Athlet mitzumischen. Die Nazis nutzten die Spiele für ihre Propaganda. Dann folgten zahlreiche Boykotte. Auch die Spiele von Sotschi, die am 7. Februar beginnen, gehören leider in diesen bunten politischen Reigen.
Die Tagespost, 3. Februar 2014, von Oskar M. Jacobsen
Olympia – damit verbindet man nicht nur das einstige Heiligtum des Zeus im Nordwesten der peloponnesischen Halbinsel, sondern auch sportliche Wettkämpfe im Namen einer grossen völkerverbindenden Idee – die Olympischen Spiele, welche der Überlieferung nach bereits im Jahre 776 v. Chr. ausgetragen wurden.
Der Läufer Koroibos aus Elis ist laut antiken Siegerlisten der erste Olympiasieger der Geschichte. Er siegte im Stadionlauf, der einzigen Disziplin, die damals ausgetragen wurde. Auch die Helden der neuzeitlichen Olympischen Spiele sind noch präsent: Jesse Owens oder der finnische Wunderläufer Paavo Nurmi, Bob Beamon, der Weitspringer, der den Weitsprungrekord bei den olympischen Spielen 1968 in der Höhenluft Mexikos auf unglaubliche 8, 90 Meter beamte, eine Bestleistung, die erst 23 Jahre später gebrochen werden konnte.
Derartige Erfolge setzten nicht nur früh die Massen in Verzückung, sie weckten auch von Anbeginn Begehrlichkeiten bei Geschäftsleuten und politischen Machthabern, die instinktiv erkannten, dass sich mit sportlichen Idolen und ihren Erfolgen gut verdienen lässt, Prestige und Ansehen inbegriffen. So verwundert es nicht, dass bereits aus dem 4. vorchristlichen Jahrhundert erste Korruptionsfälle überliefert sind. Siege durch Bestechung zu kaufen ist also keine Erfindung der modernen Wettmafia, sondern warf schon in der Antike einen Schatten auf die Spiele. Es waren vor allem die Römer, die den Olympischen Spielen mit ihrer gnadenlosen Gewinnsucht den Geist des Friedens und der Fairness gehörig austrieben, wobei man den hellenischen Kampfgeist nicht idealisieren sollte. Von dem in der Moderne entwickelten Motto “Dabeisein ist alles” konnte keine Rede sein.
Nur Platz eins zählte in der Antike, alle anderen Plätze auf dem Treppchen sorgten für Schmach und Spott. In besonders trübem Licht erscheint aber die 211. Olympiade: Kaiser Nero trat damals höchstpersönlich an und siegte in sage und schreibe sechs Disziplinen, nämlich dem Wagenrennen mit Viergespann von Pferden, Viergespann von Fohlen, Zehnerzug von Fohlen, Wettbewerbe der Herolde, der Tragöden und der Kitharöden, jenen Sängern, die sich auf der Ithara begleiteten. Wie es wohl geklungen haben mag, wenn Nero sang? Das weiss vermutlich nur der Jupiter, wenn er nicht weggehört hat. Einen anderen Sieger als Nero durfte es aber offenbar nicht geben, denn – so weiss man – selbst ein Sturz konnte seinen Sieg nicht verhindern. Mit dem Untergang der antiken Mysterien sank dann aber auch der Stern Olympias. Die letzte antike Olympiade fand 393 n. Christus statt. Im Jahr 394 verbot Kaiser Theodosius I. die Spiele aufgrund ihres engen geistigen Zusammenhangs mit dem heidnischen Kultwesen. Theodosius II. liess sicherheitshalber alle für die Wettkämpfe benötigten Tempel und Anlagen zerstören.
Erst 1 600 Jahre später griff der einer alteingesessenen französischen Adelsfamilie entstammende Pierre de Coubertin die antike olympische Idee wieder auf. Den Slogan “Citius, altius, fortius” (Schneller, Höher, Stärker) verband der Pädagoge de Coubertin mit dem sportlichen Ehrgeiz. Wobei de Coubertin diese Erziehungsziele ausdrücklich religiös auffasste: “Das Hauptmerkmal des alten wie des neuzeitlichen Olympismus ist, dass er eine Religion darstellt.” Für den aktiven Humanisten stellte der Sport “eine Religion mit Kirche, Dogmen, Kult …” dar, die er zusätzlich mit Internationalismus garnierte. Auch das moderne Olympia sollte seiner Meinung nach wie in der Antike ein “heiliger Bezirk” sein, in welchem der Sportler “eine Art Priester” wird, indem er die “Messe der Muskelreligion hält”.
Das pagane Armdrücken ging also mit neuem Schwung und Outfit weiter. Immerhin, noch ganz unter dem Eindruck des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71 stehend, betonte de Coubertin, dass der sportliche Wettkampf eine neue Form gewaltfreier Konfliktlösung darstellen solle. Doch schon de Coubertin musste erfahren, dass die ersehnte politische Neutralität der Spiele eine Utopie bleiben sollte. Die Olympischen Spiele der Neuzeit entwickelten sich seit ihrem Beginn 1896 sogleich zur grossen Bühne, die Könige und andere Staatsrepräsentanten für ihre Selbstdarstellung in der Weltöffentlichkeit nutzten.
Die in der Olympischen Charta postulierte politische Neutralität entpuppte sich nach dem Ersten Weltkrieg als hohle diplomatische Ehrerbietungsformel. Die Kriegsverlierer Deutschland, Österreich, Ungarn, Bulgarien und Türkei hatten bei den Spielen in Antwerpen 1920 schlichtweg Startverbot. Auch für die 1924er Olympiade in Paris musste Coubertin auf Druck der belgischen und französischen Regierung Deutschland ausladen. Die Deutschen ihrerseits waren es schliesslich, die 1936 die Olympischen Spiele zur politischen Schaubühne degradierten. Hitler nutzte die Winter- und Sommerspiele in Garmisch-Partenkirchen und Berlin zu einer gewaltigen Propaganda-Schau für die Nazi-Ideologie. Angesichts der kaum verborgenen Brutalität des NS-Regimes waren bereits 1933 nach Hitlers Machtübernahme beim Internationalen Olympischen Komitees (IOC) Zweifel aufgekommen, die Olympischen Spiele tatsächlich in Deutschland stattfinden zu lassen. Vor allem in den USA und in England gab es Bestrebungen, die Spiele zu boykottieren. Die Nürnberger Rassengesetze von 1935 und die Konzentrationslager, wo Juden, Andersdenkende und Regimegegner interniert und ermordet wurden, liessen sich kaum mit den Zielen der Olympischen Spiele nach Völkerverständigung und Weltfrieden übereinbringen. “Ein Regime, das sich stützt auf Zwangsarbeit und Massenversklavung; ein Regime, das den Krieg vorbereitet und nur durch verlogene Propaganda existiert, wie soll ein solches Regime den friedlichen Sport und freiheitlichen Sportler respektieren?”, fragte der Schriftsteller Heinrich Mann zu Recht in seiner Rede auf der Konferenz zur Verteidigung der olympischen Idee im Juni 1936 in Paris. Doch man beugte sich – auf Seiten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) und der eingeladenen Nationen. Die verhängnisvolle Appeasement-Politik, die dem Terror nachgab, statt ihm Einhalt zu gebieten, nahm ihren Anfang.
Die NS-Kamarilla nutzte die Spiele dann, um antike Symbole und Traditionen für die NS-Ideologie zu beanspruchen, während für die Dauer der zweiwöchigen Spiele bewusst auf anti-jüdische Aktionen verzichtet wurde. Schilder, die Juden das Betreten von öffentlichen Gebäuden untersagten, wurden entfernt. Sogar der Verkauf des NSDAP-Hetzblattes “Der Stürmer” war während der Spiele verboten. Das Deutsche Olympische Komitee erklärte sich bereit, deutschen Juden die Teilnahme an den Spielen zu gestatten. Allerdings waren jüdische Sportlerinnen und Sportler schon seit Jahren isoliert worden, sodass sie an den Qualifikationsnormen scheiterten. Zum Ärger der Nationalsozialisten wurde der farbige US-Amerikaner Jesse Owens dann der Star der Spiele. Owens holte insgesamt vier Goldmedaillen – ein bis dahin neuer Rekord. Die NS-Propaganda setzte auf die Statistik. Deutschland wurde schliesslich mit 33 Goldmedaillen Erster im Medaillenspiegel – vor den USA mit 24 Goldmedaillen.
Der spätere IOC-Präsident Avery Brundage aus den USA pries die Spiele von Berlin als “die grössten seit der Ära der Griechen”. Hitler durfte sich erfolgreich der Welt als “Friedenskanzler” präsentieren. Die Wahrheit sah anders aus. Das westlich von Berlin in Döberitz von der Wehrmacht erbaute Olympische Dorf wurde nach dem Ende der Spiele als Kaserne genutzt. Die Leistungen der deutschen Olympioniken wurden von der NS-Propaganda instrumentalisiert, um die “Überlegenheit Deutschlands” zu manifestieren. Bereits wenige Tage nach der Eröffnungsfeier entsandte Hitler deutsche Truppen und Kriegsgeräte nach Spanien, um in den Spanischen Bürgerkrieg einzugreifen. Drei Jahre später diktierte der deutsche Diktator der Welt seinen Krieg auf. An Olympia war erst einmal nicht mehr zu denken.
Doch auch nach dem 2. Weltkrieg wurde Olympia zum Schauplatz politischer Interessen. Der Kalte Krieg zwischen Ost und West wurde mit allen Mitteln ausgetragen. “Mit der Aufnahme der Sowjets haben wir die Olympische Bewegung politisiert”, gab der die Olympische Idee nach dem Krieg zu beleben versuchende schwedische IOC-Präsident Sigfrid Edström vorausschauend zu. 1956 griff die Politik dann tatsächlich massiv in das Olympische Geschehen ein: Ägypten, Irak und der Libanon boykottierten die Spiele in Melbourne wegen Israels Verhalten in der Suezkrise; und aus Protest gegen die Niederschlagung des Ungarn-Aufstandes durch sowjetische Truppen verweigerten Spanien, die Niederlande und die Schweiz ihre Teilnahme.
In Montreal 1976 begann dann die sogenannte “Boykott-Trilogie”. Die Schwarz-Afrikaner verlangten den Ausschluss Neuseelands, weil die Neuseeländer im Frühjahr des Olympiajahres mit einem Rugby-Team eine durch das wegen seiner Apartheid-Politik ausgeschlossene Südafrika getourt waren. Als das IOC nicht nachgab, reisten achtundzwanzig afrikanische Teams ab. 1980 fand die Olympiade in Moskau statt, doch 42 Länder boykottierten, 23 nahmen aus anderen Gründen nicht teil. Was war geschehen? Ende 1979 waren sowjetische Truppen in Afghanistan eingedrungen. Deshalb beschloss das Nationale Olympische Komitee (NOK) der Vereinigten Staaten auf immensen Druck des damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter, die Teilnahme zu verweigern. Dieser Boykott sollte in der ganzen westlichen Welt Schule machen. Das deutsche NOK schloss sich gehorsam an, auch der Deutsche Bundestag hatte sich einmütig für einen Boykott ausgesprochen. Die Retourkutsche folgte auf dem Fuss. Am 8. Mai 1984 beschloss das NOK der Sowjetunion auf Befehl des Kreml, den Spielen von Los Angeles fernzubleiben. Begründung: Die Sicherheit der Athleten sei nicht garantiert. Folglich blieben alle sozialistischen Satellitenstaaten der Veranstaltung fern. Ende der Trilogie. Danach stand fürs erste, vielleicht auch dank des Zusammenbruchs des kommunistischen Ostblocks, das Sportliche im Vordergrund. Erst bei den Spielen in Peking 2008 liessen sich wieder Stimmen vernehmen, die einen Boykott forderten.
Vorwiegend Menschenrechtsorganisationen übten harte Kritik an Chinas brutaler Tibet-Politik. Beim traditionellen Olympischen Fackellauf um die Welt gab es zahlreiche Proteste, die von einer breiten Öffentlichkeit unterstützt wurden. Doch die Spiele von Peking fanden statt und wurden von keiner Nation boykottiert. Und nun also Wladimir Putins Spiele. Die russische Schwarzmeerstadt Sotschi ist vom 7. Februar an Austragungsort der 22. Olympischen Winterspiele. Wie es gelang, das IOC von dem Austragungsort zu überzeugen, der als Paradies für Sommerurlaube gilt, wirft Fragen auf. Aus Sicht von Gunter Gebauer, der an der Freien Universität Berlin als Sportphilosoph (sic!) lehrt, sei ein Grund der zunehmende Geist des Autokratismus im IOC, der ideal zum jetzigen Gastgeberland passe. Gebauers These: Nur autokratisch geführte Staaten seien im 21. Jahrhundert in der Lage die Olympischen Spiele durchzuführen, weil in demokratischen Systemen der Widerstand gegen die mit hohen Kosten und radikalen Baumassnahmen verbundenen Spiele viel zu hoch wäre.
Immerhin, wenn auch hier und da noch ein bisschen Bauschlamm zu sehen ist, haben es die jetzigen Veranstalter doch geschafft, die subtropische Region in ein Wintersportparadies zu verwandeln. Dass das ein Vermögen gekostet hat (man spricht von 40 bis 50 Milliarden Dollar) und vermutlich nicht nur mit sauberen Händen erledigt worden ist, kann man sich denken, doch Putins mächtige Hand deckt alles. Fragen sollen nicht aufkommen. Anwohner loben vor laufenden internationalen Kameras und Mikrofonen die schnelle und gigantische Modernisierung ihres 320 000- Einwohner-Kurorts. Neue Stadien und moderne Unterkünfte sind entstanden, wie schön. Dass die Infra-Struktur monströs ausgebaut, manche Anwohner und Hausbesitzer brutal enteignet wurden, kein Thema. Fest steht: Der russische Staat übernimmt sechzig Prozent der horrenden Kosten. Geld, das man vielleicht in die Modernisierung des maroden Gesundheitssystems hätte investieren können. Den Rest finanziert neben der Privatwirtschaft der staatlich kontrollierte Energiekonzern “Gasprom”, der unter anderem eine luxuriöse Hotelanlage in Sotschi errichtet hat.
Die Gewinner des olympia-typischen Baubooms werden also vor allem die russischen Oligarchen sein, die es sich neben dem Präsidenten bei der Eröffnungsfeier bequem machen dürfen. Freie Plätze gibt es genug. Bundespräsident Joachim Gauck hat frühzeitig seinen Einzel-Boykott der Spiele angekündigt. Bundeskanzlerin Angela Merkel plant bislang auch keine Stippvisite in Putins Schöne Neue Wintersportwelt mit mediterranem Klima. Was ihren Vorgänger Gerhard Schröder, der seit längerem als Gazprom-Lobbist unterwegs ist, vielleicht zu einem medialen Comeback als Ersatz-Bundeskanzler in Sotschi verhelfen könnte. Seite an Seite mit dem erst seit kurzem amtierenden deutschen IOC-Präsidenten Thomas Bach, der immer wieder darauf hinweist, dass politische Probleme nicht auf dem Rücken von Sportlern ausgetragen werden sollten. Doch wieso eigentlich dieser strapaziöse Akt der Trennung von Sport und Politik, die offenbar doch sowieso nicht immer so richtig hinhaut. Wäre Sotschi 2014 nicht der ideale Ort, um an die grossen olympischen Leistungen von Kaiser Nero anzuknüpfen? Der Herrscher als Sportstar und Gewinner in fast allen Disziplinen? Mit Präsident Wladimir Putin steht dem russischen Team, falls es im Laufe des Wettbewerbs schwächeln sollte, jedenfalls was die Disziplinen Judo, Reiten, Schiessen, Rudern, Eishockeyspielen und Angeln betrifft, ein physisch bestens durchtrainierter Ersatzmann zur Verfügung. Sogar die Kunst des Singens und Klavierspielens soll er, beim Jupiter, beherrschen.
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