Den Besuch Gottes bei seinem Volk betrachten

Ein Interview mit Papst Franziskus

Guido Horst Über Weihnachten, die “Ökumene des Blutes”, wiederverheiratete Geschiedene und das IOR. Von Guido Horst

Rom, Die Tagespost, 16. Dezember 2013

In seinem ersten seriösen Interview mit einer italienischen Tageszeitung hat Papst Franziskus über das Weihnachtsfest, die Ökumene und einige praktische Fragen der ersten Monate seines Pontifikats gesprochen.

Es war die Turiner Zeitung “La Stampa”, deren Redakteur Andrea Tornielli der Papst am 10. Dezember Rede und Antwort stand, diesmal mit Aufnahmegerät und einer ordentlichen Autorisierung des Gesprächs – und nicht auf Grundlage eines völlig unpräzisen Gedächtnisprotokolls, das der Alt-Laizist Eugenio Scalfari im Sommer nach seiner Unterhaltung mit Franziskus in der von ihm gegründeten Zeitung “La Repubblica” hatte abdrucken lassen.

Das grosse Thema: Weihnachten. Für ihn, so der Papst, bedeute das Fest der Geburt Christi, über die Begegnung Gottes mit seinem Volk nachzudenken. “Bei Weihnachten geht es um Zärtlichkeit und Hoffnung”, sagte Franziskus. Wenn die Christen Zärtlichkeit und Hoffnung vergessen würden, werden sie “eine kalte Kirche” ohne Orientierung, die sich in Ideologien und mondäne Haltungen verstricke. Weihnachten sei aber auch nicht die Anklage von sozialer Ungerechtigkeit und Armut, sondern eine Verkündigung der Freude, des Lichts und des Friedens. Früher habe er oft nach der Christmette einige Stunden allein in der Kapelle zugebracht, bis die Zeit für die Frühmesse gekommen sei. Das sei ein “Gefühl tiefen Trostes und Friedens” gewesen. 1974 habe er in Rom eine Nacht des Gebets nach der Weihnachtsmette im Centro Astalli, der Flüchtlings-Notaufnahme der Jesuiten, zugebracht. Für ihn sei Weihnachten immer das gewesen: den Besuch Gottes bei seinem Volk zu betrachten.

Nach der Ökumene befragt, meinte Franziskus, dass diese für ihn Priorität habe. “Heute gibt es eine Ökumene des Blutes”, fügte er an. “In einigen Ländern bringen sie Christen um, weil sie ein Kreuz tragen oder eine Bibel haben, und bevor sie sie umbringen fragen sie nicht, ob sie anglikanisch, lutherisch, katholisch oder orthodox sind. Für die, die umbringen, sind wir Christen. Vereint im Blut, auch wenn wir unter uns nicht imstande sind, die nötigen Schritte zur Einheit zu setzen, und vielleicht auch die Zeit noch nicht reif ist”, sagte der Papst.

Franziskus erinnerte an seine Begegnungen mit dem Ehrenoberhaupt der Orthodoxie, Patriarch Bartholomäus, mit Hilarion, dem Leiter des Aussenamts der Russisch-Orthodoxen Kirche, oder dem koptischen Papst Tawadros, den er als “Mystiker” bezeichnete. “Ich habe mich als ihr Bruder gefühlt. Sie stehen in der apostolischen Nachfolge, ich habe sie als Brüder im Bischofsamt empfangen.” Es sei schmerzvoll, nicht die Eucharistie miteinander feiern zu können, “aber die Freundschaft ist vorhanden”, so Franziskus. Der Papst erinnerte an die Reise von Paul VI. vor fünfzig Jahren ins Heilige Land. Papst Montini habe den Mut gehabt, aufzubrechen – und so habe die Zeit der Papst-Reisen begonnen. Auch er wolle dorthin fahren, um mit Patriarch Bartholomäus zusammenzutreffen und an die Umarmung von Paul VI. und Patriarch Athenagoras 1964 in Jerusalem zu erinnern. “Wir sind dabei, das vorzubereiten”, sagte der Papst.

Zur klugen und mutigen Sakramentenpastoral befragt, so wie er das in seiner Apostolischen Exhortation “Evangelii gaudium” angesprochen habe, meinte Franziskus: “Wenn ich von Klugheit rede, denke ich nicht an ein lähmendes Verhalten, sondern an eine Tugend dessen, der leitet.” Er habe von der Taufe und von der Kommunion als geistlicher Nahrung gesprochen, um voranzugehen. “Einige haben sofort an die Sakramente für die wiederverheirateten Geschiedenen gedacht”, erläuterte der Papst. “Aber ich habe nicht einen besonderen Fall aufgegriffen: Ich wollte nur ein Prinzip aufzeigen.” In Argentinien, erläuterte Franziskus, sei im vergangenen Jahr das Verhalten von einigen Priestern beklagt worden, die uneheliche Kinder nicht hätten taufen wollen – “das ist eine kranke Mentalität”, meinte der Papst. Zu den wiederverheirateten Geschiedenen sagte Franziskus weiter: “Der Ausschluss der Geschiedenen, die in einer zweiten Beziehung leben, ist keine Sanktion. Es ist wichtig, daran zu erinnern. Aber in der Exhortation habe ich davon nicht sprechen wollen.” Sowohl die ausserordentliche Synode im Oktober 2014 als auch die ordentliche Bischofssynode ein Jahr später würden sich mit der Frage beschäftigen. Dann würden die Dinge vertieft und geklärt, so der Papst.

Auf die Frage, ob es Frauen im Kardinalamt geben werde, meinte Franziskus, Frauen müssten in der Kirche wertgeschätzt, nicht “klerikalisiert” werden. “Wer an Kardinälinnen denkt, leidet ein wenig an Klerikalismus”, so der Papst wörtlich.

Über die Zukunft des vatikanischen Geldinstitutes IOR äusserte sich Franziskus zurückhaltend. Die “Zentralbank“ des Vatikans sei eigentlich die Güterverwaltung des Heiligen Stuhls, die APSA. Das IOR sei entstanden, um den religiösen Werken, den Missionen und der Kirche in armen Ländern zu helfen. Erst später sei daraus die Institution geworden, “die wir heute haben”, sagte der Papst.

Nach Überzeugung des Heiligen Vaters muss die Kirche immer eine ausreichende Distanz zur Politik wahren. Beide Kräfte wirkten auf parallelen Pfaden. Diese dürften sich nur dort treffen, wo es um die Hilfe für Menschen gehe, betonte Franziskus. Wenn es zwischen beiden Kräften zu einer Verbindung ohne die Menschen komme, “beginnt jene Ehe mit der politischen Macht, die zu einem Verfaulen der Kirche führt: durch Geschäfte, durch Kompromisse.” Kirche und Politik müssten ihre jeweiligen Aufgaben und Berufungen im Blick behalten – “vereint nur für das Gemeinwohl”. Ansonsten bestehe stets die Gefahr, dass die Kirche durch die Politik korrumpiert werde. Auch die Politik werde beschmutzt, wenn sie für Geschäfte missbraucht werde, so der Papst.

Vorwürfe, er vertrete in seiner Wirtschaftsethik “marxistische” Theorien, wies Franziskus in dem Interview zurück. “Die marxistische Ideologie ist falsch”, sagte der Papst. “Aber in meinem Leben habe ich viele menschlich gute Marxisten getroffen, und deshalb fühle ich mich nicht angegriffen.” Alles, was er in “Evangelii gaudium” geschrieben habe, stimme mit der katholischen Soziallehre überein. Extreme Konservative in den Vereinigten Staaten hatten Franziskus als “Marxisten” gebrandmarkt, weil er in seinem Lehrschreiben das kapitalistische Wirtschaftssystem der Gegenwart scharf kritisiert hatte. Ein einziges spezifisches Zitat habe er benutzt, sagte Franziskus: Die kapitalistische Wirtschaftstheorie verspreche, die Armen würden davon profitierten, wenn ein Glas so voll sei, dass es überfliesst. “Doch wenn das Glas voll ist, dann vergrössert es sich jedes Mal auf wundersame Weise, und so kommt für die Armen nie etwas heraus”, meinte der Papst.

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