Kein Kalter Krieg um Syrien

Die russisch-amerikanische Einigung von Samstag hat das Schlimmste verhindert

Muttergottes der BarmherzigkeitDie Tagespost, 16. September 2013, von Stephan Baier

Die russisch-amerikanische Einigung von Samstag hat das Schlimmste verhindert: eine Eskalation des Krieges um Syrien, deren Folgen nicht absehbar gewesen wären, eine Vervielfachung des Leidens und Sterbens in Syrien, eine Spaltung des UN-Sicherheitsrates in einer Schlüsselfrage von Krieg und Frieden, einen diplomatischen Bruch zwischen Moskau und Washington.

Hätten sich die “Falken” durchgesetzt, die – offiziell wegen des Chemiewaffeneinsatzes, tatsächlich um Assads Regime zu stürzen – einen Militärschlag um jeden Preis wollen, wären die Türkei, Frankreich, Amerika und ihre Verbündeten in einen Krieg geschlittert, dessen Nachkriegsordnung sie keinesfalls bestimmen können. Hätten sich aber die “Tauben” durchgesetzt, die keine internationale Einmischung wollen, hätte man den längst über die Landesgrenzen getretenen Krieg um Syrien ganz den machtgierigen Regionalmächten überlassen, die auf syrischem Boden ihren Stellvertreterkrieg austragen.

Insofern ist die russisch-amerikanische Einigung das kleinste erreichbare Übel: Sie zwingt das Regime zur Kooperation, schafft die politische Grundlage für eine internationale Kontrolle über das gefährlichste Spielzeug der kriegsführenden Parteien, hebt die ausländische Einmischung von der geheimen auf die offizielle Ebene – und von der regionalen auf die internationale. Die praktischen Folgeprobleme dieser Einigung sind Legion: Wird Assad alle Lager und alle Kampfstoffe bekannt geben? Wird er den Inspektoren und Experten freien Zugang und die nötige Sicherheit geben wollen? Und wird er es überhaupt können, wo doch weite Teile des Landes nicht mehr unter seiner militärischen Kontrolle sind? Werden die Rebellengruppen, deren Vielfalt, Radikalität und Brutalität offenbar laufend wächst, ihrerseits bereit sein, mit den internationalen Akteuren zu kooperieren, wenn sie doch die Einigung von Genf vehement ablehnen, ja wenn selbst die Gemässigteren schwören, den Kampf weiterzuführen, bis Assad stürzt? Werden radikale Dschihadisten wie die Al-Nusra-Terroristen vielleicht gar gezielte Anschläge auf die internationalen Beobachter verüben, um ein amerikanisches oder internationales Eingreifen gegen Assad zu erzwingen?

Die Einigung von Genf wirft ein grelles Licht auf einen Krieg, der längst kein Bürgerkrieg mehr ist: In Syrien kämpft das vom Iran und von der Schiiten-Miliz Hisbollah militärisch sowie von Moskau und Peking politisch gestützte Regime gegen eine bunte Mischung aus Rebellen und Terroristen, die von Riad über Ankara bis Paris, London und Washington mit Waffen und Logistik unterstützt werden. Trotz des Kompromisses von Genf ist der Schaden längst riesig und irreversibel: Mehr als 100 000 Menschen haben ihr Leben verloren, mehr als 6,5 Millionen ihre Heimat, ihre Häuser und Dörfer. Zerbrochen ist die gute Koexistenz von Christen, Alawiten, Drusen und Muslimen. Zerbrochen ist auch die Hoffnung auf einen politischen Kompromiss und auf eine Entwicklung zur politischen Konsenskultur. “Das ist nicht der Kalte Krieg”, meinte Obama nun. Tatsächlich haben Putin und er ein Wiederaufflammen des Kalten Krieges zwischen Moskau und Washington in allerletzter Minute verhindert. Doch den heissen Krieg in Nahost können sie beide allenfalls eindämmen, nicht stoppen. Syrien brennt lichterloh – und die Flammen schlagen schon weit über die Grenzen.

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