Ein Moment des Innehaltens

Im “Jahr des Glaubens” setzt Papst Franziskus gemeinsam mit Lebensschützern in Rom ein Signal

Rom, Die Tagespost, 17.06.2013,  von Anna Sophia Hofmeister

Für die Gläubigen in Rom war der Sonntag ein hoffnungsvolles Zeichen der Kontinuität: Wie seine Vorgänger stellt sich auch Papst Franziskus an die Seite der Lebensschützer.

 “110 Years of freedom” steht auf den schwarzen T-Shirts der Harley-Davidson-Fahrer, die aus aller Welt nach Rom gekommen sind, um ihren Motorrad-Club zu feiern. Mit Getöse pumpen sie ihre schweren, auf Hochglanz polierten Maschinen durch die Strassen der Stadt, von der man sagt, dass sie ewig sei. Das Leben der Motorradfahrer ist das, beileibe, nicht. Am selben Abend, an dem Gruppen aus aller Welt in Rom ein Zeichen setzen wollen für den Schutz des Lebens, stirbt eine junge Frau bei einem Umfall, in den zehn Harleys verwickelt sind.

Ganz am Anfang der Via della Conciliazione wird ihrer bereits unbewusst gedacht, als Erzbischof Rino Fisichella, der Präsident des Päpstlichen Rates für Neuevangelisierung, das Gebet anstimmt für alle Verletzten, Hilflosen, Alleingelassenen und Vergessenen. Für alle die, deren Leben gar nicht oder nicht ausreichend gewürdigt wird: Ungeborene, Menschen mit Behinderung, Kranke, Sterbende. “Giornata dell’ Evangelium vitae” hat der Päpstliche Rat seine Initiative betitelt, in deren Mittelpunkt eben die Botschaft des Lebens steht: Das in aller Konsequenz gesprochene Ja zum menschlichen Leben. Von seinem Beginn mit der Empfängnis an bis hin zu seinem Ende mit dem letzten Atemzug. Tagsüber fanden bereits verschiedensprachige Katechesen für die Pilgergruppen statt unter dem Motto: Glaubend haben wir das Leben. Ausserdem ein Gang zum Grab des Apostels Petrus, Eucharistische Anbetung und Beichtgelegenheit. Jetzt, am Abend, wo sich die Sonne hinter die Vatikanstadt senkt, versammeln sich alte und junge Menschen, Gesunde und Kranke, Helfer und Bedürftige aus etwa 17 Nationen der Welt, um Fisichella in seinem Anliegen zu unterstützen.

Geplant ist ein Schweigemarsch zum Petersplatz, auf dem die Menschen öffentlich Zeugnis geben wollen für ihren Einsatz für das Leben. Fast alle von ihnen halten Kerzen in den Händen, ihr Licht scheint hell über die rotfarbigen Abtropfbecher hinweg. Bei den Fürbitten heben sie diese hoch in den Himmel. Aus den Lautsprechern auf einer kleinen Bühne tönt Klaviermusik: Chopin, meint Antonio, der aus Neapel gekommen ist. Kinder helfen sich, gegenseitig die Kerzen anzuzünden, nur, um sie sich dann aus Spass wieder auszupusten. Immer wieder dröhnen Harleymaschinen vorbei. So laut, dass nicht jedes der Worte zu verstehen ist, die eine Krankenschwester der Organisation Unitalsi, die Pilgerreisen für Kranke und Menschen mit Behinderung nach Lourdes und Fatima organisiert, an die Menge richtet. Sie erzählt von ihrem Kind, bei dem ihr die Ärzte zur Abtreibung rieten, weil es mit seiner Behinderung nicht überleben könne. Sie habe dem nicht nachgegeben und das Mädchen lebe noch heute, nach dreizehn Jahren. “Mein Kind bestärkt mich darin, immer mehr an Gott zu glauben”, sagt die Frau mit der weissen Haube in das Mikrofon.

Ähnliches weiss ein Familienvater aus der italienischen Pro-Life Bewegung zu berichten. Wie in jeder Familie habe es auch bei ihm dunkle Zeiten gegeben, in denen er kämpfen musste. Trotzdem hätten seine Frau und er sich für ein drittes Kind entschieden. “Und hier ist es, ist es nicht wundervoll?” Ein kleines Mädchen legt schüchtern den Kopf schief. Das Publikum klatscht. “Gott ist magisch”, fährt der Vater fort, er helfe einem, immer vorwärts zu gehen.

Und als sich der lange Zug mit unzähligen Lichtern schliesslich in Bewegung setzt, wird es ganz still in der Via della Conciliazione. Sogar die Harleys tuckern nur leise vor sich hin, die Polizei hat sie ausgebremst, um die Prozession vorbeiziehen zu lassen. Zwischendurch sind die klagenden Laute der Möwen, die wie jeden Abend über Rom ihre Kreise ziehen, zu hören. Darunter das Trappen der Menschen “Etwa 3 000 sind das”, sagt einer der freiwilligen Helfer und blickt stolz über die Menge hin, “morgen, beim Papstgottesdienst, werden es über 200 000 sein.”

Vielleicht sind es sogar mehr, die sich, während der Rosenkranz gebetet wird, am nächsten Morgen auf dem Petersplatz einfinden. Bruno ist mit seiner Harley aus Frankreich gekommen. Sein Bart ist unter dem Kinn mehrmals zusammengebunden und er trägt ein verwegen geknotetes Kopftuch mit Totenköpfen. Bruno ist neugierig auf den Papst. “Er gehört für mich zu Rom dazu”, sagt er, die Messe mit ihm wolle er sich nicht entgehen lassen. Gerd, sein Leben lang schon ein treuer Harley-Fan, hält es für eine grosse Ehre, dass der Motorradclub dem Papst ein Bike der Marke vermacht hat. “Auch wenn er damit wohl kaum fahren wird”, sagt er und wirft seinen Zopf über die Schulter. “Ich bin jetzt da, um mir seinen Segen für die Rückfahrt zu holen.” Damit er mit seiner Frau wieder gesund ins heimatliche Österreich käme. Den Segen bekommt er: Nachdem der aufbrausende Jubel ihn angekündigt hat, fährt Papst Franziskus im offenen Mobil direkt an Gerd vorbei, fast kann dieser ihn berühren. Und als Gerd sich nachher umdreht, ist sein Gesicht plötzlich ganz weich. “Ein volles Leben ist nur möglich in Gott”, sagt der Papst bei der Messe, die ganz im Zeichen des Lebens steht. Und er lässt die Menschen mehrmals den Satz wiederholen: “Gott ist lebendig und barmherzig”.

Das bleibe hängen bei den Menschen, sagt Claudia Kaminski, Bundesvorsitzende der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA e.V.)., “das Wochenende für das Leben ist eine grossartige Initiative im Jahr des Glaubens, für Lebensschützer eine grandiose Ermutigung.” Der Satz, dass Gott lebendig und barmherzig ist, sei ein tolles Motto auch für den Lebensschutz. Papst Franziskus habe durch seine Unterstützung verdeutlicht, dass er sich ganz in der Kontinuität zu Johannes Paul II. und Benedikt XVI. befinde: “Das ist so wichtig für uns”, so Kaminski.

Die Menschen auf dem Platz sind bewegt, den Papst so sprechen zu hören. Immer wieder werden wie zur Zustimmung Banner und Fähnchen in die Luft gehoben, und sobald sich einer der zahlreich aufgespannten Sonnenschirme zur Seite bewegt, zeigen Kinder auf die ferne Gestalt und rufen: Schau, Mama, da!

Für Martin Lohmann, Geschäftsführer des Bundesverbandes Lebensrecht, hat der Gottesdienst eine besondere Bedeutung. “Das ist eine unglaubliche Stärkung für unsere so wichtige Arbeit. Ich erlebe das hautnah hier in Rom und bin dem Papst im Namen Vieler sehr dankbar, dass er sich so klar und unmissverständlich für das Leben einsetzt und uns buchstäblich Kraft gibt, für unser Engagement in einer Gesellschaft, in der diese Kostbarkeit oft genug nicht erkannt sein will”, sagt er gegenüber dieser Zeitung. Denn Lebensschutz sei keine Exklusivaufgabe nur für Laien. Das Leben zu schützen und seine Kostbarkeit zu bekennen sei ein Auftrag an alle. “Hier spielen Unterschiede zwischen den Konfessionen ebenso wenig eine Rolle wie zwischen Gläubigen und Geweihten”, so Lohmann. Deshalb lade er alle ein zum Marsch für das Leben in Berlin am 21. September: “Ich bin sicher, der Papst wäre bestimmt mit dabei – so wie er auch den Marsch für das Leben in Rom unterstützt und begleitet hat.”

Erzbischof Fisichella unterstreicht das abschliessend: “Sie alle kommen aus unterschiedlichen Teilen der Welt, aber alle haben gemeinsam eine Aufgabe, die über alle nationalen Grenzen hinausgeht”, schallt es über den Petersplatz. Wie der Evangelist Johannes schon gesagt habe, habe sich das Leben hier sichtbar gemacht. Alle, die sich für das Leben einsetzten gegen Egoismus und Gier, seien Zeugen der Liebe, für die es wichtig sei, im “Jahr des Glaubens” einen Moment des Innehaltens und des Gebets zu haben. “Ihre tägliche Begeisterung zeigt mit Nachdruck ihr Bemühen für die volle Unterstützung und Verteidigung des menschlichen Lebens”, so Fisichella. Das sei ein “gemeinsamer Weg” aller, hin zu einem Leben in Fülle im Füreinander. Nur darin ist echte Freiheit möglich. Nicht erst seit 110, sondern schon seit über 2000 Jahren. Eine Freiheit, die tiefer geht als nur ein laues Lüftchen Fahrtwind.

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