Alles nur Rhetorik?

Greift der syrische Bürgerkrieg auf die Nachbarländer über?

Frieden xpDie Tagespost, 6. Mai 2013, von Oliver Maksan

Israel hat Ziele in Syrien angegriffen, um Waffenlieferungen an die Hisbollah zu stoppen – Greift der syrische Bürgerkrieg auf die Nachbarländer über? Von Oliver Maksan

Die von Israel bislang unbestätigten Angriffe auf Ziele in Syrien – sowohl am Freitag als auch am Sonntag – müssen von einer unbeschreiblichen Wucht gewesen sein. Nur einem Erdbeben seien die Detonationen vergleichbar gewesen, berichten Augenzeugen. Israelische Kommentatoren auf youtube sprechen angesichts der dort eingestellten Aufnahmen vom Gott Israels, der sich erneut als mächtig gegenüber seinen Feinden erwiesen habe.

Die Angriffe galten, so ist zu hören, iranischen, für die Hisbollah bestimmten Waffen, die das Zeug haben, das strategische Gleichgewicht zu Ungunsten Israels zu verschieben. Viele Details der Attacken sind bislang ungeklärt.

Dennoch stellt sich alle Welt jetzt vor allem eine Frage: Waren die israelischen Luftangriffe nun der Tropfen, der das Fass syrischer Bürgerkrieg endgültig zum regionalen Überlaufen bringt? Syriens Regierung sprach umgehend von einer israelischen Kriegserklärung, die zu gegebener Zeit beantwortet würde. Unabhängig davon, dass die formal gesehen gar nicht nötig wäre, weil sich beide Staaten völkerrechtlich seit Jahrzehnten im Kriegszustand befinden: Lässt Damaskus der rhetorischen Eskalation auch eine militärische folgen? Oder erledigen das Syriens Verbündete wie die Hisbollah, indem sie auf den Norden Israels bald Raketen aus dem Südlibanon regnen lässt? Das ist in beiden Fällen eher unwahrscheinlich. Vorsorglich hat das israelische Militär zwar zwei Batterien seines berüchtigten Raketenabwehrsystems “Iron Dome” im Norden in Stellung gebracht, den nördlichen Luftraum für den Flugverkehr gesperrt und die Armeeeinheiten im Norden zu erhöhter Wachsamkeit aufgerufen. Dennoch hält Israels Premierminister Benjamin Netanjahu die Lage für so weit unter Kontrolle, dass er nach einer Sitzung des Sicherheitskabinetts von Sonntag auf Montag wie geplant zu einer China-Reise aufgebrochen ist. Zudem handelt es sich bei den israelischen Angriffen um kein Novum.

Schon im Januar diesen Jahres war es zu Aktionen gegen einen mutmasslichen Waffentransport in den Libanon gekommen, ohne dass syrische Vergeltungsaktionen gefolgt wären. Zu sehr ist das Regime damit beschäftigt, sich der Rebellen zu erwehren, als dass es irgendwelches Interesse an der Eröffnung einer neuen Front haben könnte. Die bisweilen geäusserte Überlegung, Assad könne so vom internen Konflikt ablenken und angesichts des verhassten Israel die Reihen schliessen, übersieht, wie unkalkulierbar ein solches Unterfangen wäre. Profiteure wären letztlich die Rebellen. Dieselbe Zurückhaltung ist für die Hisbollah und mit ihr den sie unterstützenden Iran anzunehmen. Beide sind Akteure des syrischen Bürgerkriegs, weil sie ein vitales Interesse am Fortbestand des Assad-Regime haben. Beide sind auch zu grossen Opfern bereit, nicht aber dazu, mit Assad unterzugehen.

Die Erhaltung der bereits bestehenden gegen Israel gerichteten Angriffskapazitäten ist für die Hisbollah zu kostbar, gerade dann, wenn ein Untergang des Assad-Regimes nicht mehr ausgeschlossen werden kann.

Israel einen Vorwand zu liefern, im Libanon selbst einzugreifen, kann derzeit deshalb nicht im Interesse der Hisbollah liegen. Teheran seinerseits hält das Angriffspotenzial des libanesischen Verbündeten zudem für den Fall eines israelischen Angriffs auf seine Atomanlagen für unverzichtbar. So ist auch aus Teheran eher moderierender Einfluss anzunehmen.

Eskalationswille ist auch auf israelischer Seite nicht zu erkennen. Schon bisher verfolgte Jerusalem in Syrien ausschliesslich defensive denn offensive Ziele. Angesichts der Unübersichtlichkeit des Konflikts ging es Netanjahu vor allem darum, einerseits ein Übergreifen auf israelisches Territorium zu verhindern.

Gelegentliche syrische Irrläufer etwa in Richtung des israelisch besetzten Golans wurden von Israel mit Warnschüssen eher pflichtschuldig beantwortet. Zum anderen wollte er vor allem die Waffenproliferation verhindern. Exakt dies hat Israel für den Moment erreicht. Die roten Linien Jerusalems wurden der Achse Teheran-Damaskus-Beirut unüberhörbar ins Gedächtnis gerufen, die waffentechnische Überlegenheit Israels ausdrücklich unter Beweis gestellt. Israels mutmasslicher Angriff hat unterdessen die gegensätzlichen Positionen der Grossmächte zur syrischen Frage einmal mehr verschärft. Russland, ein Unterstützer Assads, zeigte sich besorgt, wie ein Sprecher des russischen Aussenministeriums mitteilte. Die Zeichen zur Vorbereitung einer ausländischen Intervention in Syrien mehrten sich. Auch China, Gastgeberland Netanjahus für die nächsten Tage und ebenfalls im pro-Assad-Lager, verurteilte am Montag – ohne Israel beim Namen zu nennen – die Anwendung von Gewalt und die Verletzung nationaler territorialer Souveränität. Dieses Prinzip ist China nicht zuletzt aufgrund etwa der Tibetfrage über die Massen wichtig.

In Washington, dem Anführer des Anti-Assad-Lagers, wurde derweil die Diskussion um die rechte Syrien-Politik der USA durch Israels Angriff erneut befeuert. Senator John McCain, Führer der aussen- und sicherheitspolitischen Opposition gegen Präsident Barack Obama, stellte Israels entschlossenes Handeln umgehend dem angeblichen Zögern des Präsidenten gegenüber. Seit Monaten diskutiert Washington, wie man eigene strategische und humanitäre Interessen in Syrien durchsetzen könnte, ohne deswegen in ein erneutes Irak-Szenario verwickelt zu werden.

Der wachsende Einfluss dschihadistischer Kräfte liess Überlegungen, die Opposition zu bewaffnen, lange hinfällig erscheinen. Zu unkontrollierbar erschien die Verbreitung von Waffen. Zwar fordert auch die republikanische Opposition nicht die Entsendung von amerikanischen Bodentruppen. Dennoch wünscht man sich hier eine substanzielle Unterstützung und das heisst Bewaffnung der gemässigten Rebellen.

Sollte Israels Angriff indes an der Washingtoner Politik nichts verändern, hätte Präsident Assad propagandistisch und diplomatisch vom israelischen Angriff eher profitiert.

Denn einerseits kann er auf die israelische Aggression verweisen und seine Gegner der Kollaboration bezichtigen. Zum anderen haben seine internationalen Verbündeten in Moskau und Peking ein Argument mehr für ihre Unterstützungspolitik bekommen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kategorien

Die drei Säulen der röm. kath. Kirche

monstranz maria papst-franziskus

Archiv

Empfehlung

Ausgewählte Artikel