Von Trinkfestigkeit bis Gottesfurcht
Von Trinkfestigkeit bis Gottesfurcht
Der äthiopische Frankfurter Asfa-Wossen Asserate erinnert seine lieben Deutschen an ihre typischsten Tugenden.
Die Tagespost, 5. April 2013, Von Stephan Baier
Der äthiopische Prinz Asfa-Wossen Asserate ist nicht nur ein brillanter gesellschaftlicher und zeitgeschichtlicher Analyst, sondern auch ein begnadeter Literat. Mit seinem Bestseller “Manieren” hat er beide Talente einem breiten Publikum unter Beweis gestellt.
Sein nun vorgelegtes Werk über “Deutsche Tugenden” knüpft daran an. Sicherheitshalber hat der Äthiopier, der seit vier Jahrzehnten in Deutschland lebt, jeden Anspruch auf Vollständigkeit abgewiesen und die Tugenden alphabetisch gereiht: von Anmut bis Zivilcourage; darunter so grosse und bedeutungsschwere wie Freiheitsliebe, Toleranz und Gottesfurcht, aber auch so nachgereihte wie Reinlichkeit und Trinkfestigkeit.
Aber gibt es überhaupt “deutsche” Tugenden? Der universal gebildete kaiserliche Prinz aus Äthiopien, bestens vertraut mit der antiken Philosophie wie mit der christlichen Glaubenslehre, kennt selbstverständlich die klassische Tugendlehre, ebenso auch deren Krönung durch Glaube, Hoffnung und Liebe im Korintherbrief Pauli. Er kennt auch das Gegenteil der Tugenden, die Laster, und versagt sich nicht so manchen liebevollen Wink, wo er spürt, dass vermeintliche Tugenden in ihr Gegenteil zu kippen drohen. Seine Essays über “einige der den Deutschen typischerweise zugeschriebenen Eigenschaften und Tugenden” wollen keine akademischen Abhandlungen sein, auch keinen deutschen Alleinvertretungsanspruch rechtfertigen, sondern Bewahrenswertes liebevoll in Erinnerung rufen, Übertriebenes charmant korrigieren und Nützliches anekdotisch stärken.
Und immer wieder schimmert hier – wie schon in Asserates brillanten “Manieren” – durch, dass der Autor Tugenden (wie Manieren) nicht für einen Selbstzweck hält, sondern sie an der Gottes- und Nächstenliebe misst. So meint er, dass derjenige, der sich vor seinen Mitmenschen mit seinen Tugenden brüste, aus ihnen bereits Laster gemacht habe: “So betrachtet ist Demut die schönste aller Tugenden.” Noch deutlicher im Kapitel über die Freiheitsliebe: “Die Instanzen, denen man sich als Mensch verantwortlich sieht, mögen verschieden sein… für den gläubigen Menschen kann die Instanz, auf die es ankommt, niemand anderer als Gott sein.“
Asserate ist mit der deutschen Geschichte, Literatur und Musik in einer Weise vertraut, die dem deutschen Leser nicht nur Hochachtung abringt, sondern auch Verstehensbrücken baut. Und so kommen denn auch die Ratschläge des äthiopischen Frankfurters nicht von oben oder von aussen, sondern aus der Deutschen Mitte. Etwa wenn er der deutschen Politik mahnend in Erinnerung ruft, “dass Deutschland für die anderen Nationen in Europa und auf der Welt auch zukünftig ein offenes Ohr hat und ihnen auch weiterhin ein guter Nachbar bleibt – ohne Grossspurigkeit, aber auch ohne falsche Bescheidenheit“. Mitunter lauert nämlich hinter der Berufung auf die Bescheidenheit “das Laster des Geizes, unter dem Namen Habgier als eine der sieben Todsünden bekannt”. Asserate meint, dieses Laster habe er – in Deutschland wie andernorts – “so gut wie nie bei armen Leuten kennengelernt, wohl aber bei Leuten, die sich um ihren Wohlstand gewiss keine Sorgen zu machen brauchen“.
Anekdotenreich und detailsicher, geschichtskundig und welterfahren schildert der Autor den Deutschen zugeschriebenen Tugenden – solche, die in Deutschland in aller Munde sind, wie Fleiss und Erfindergeist, aber auch solche, die die meisten Deutschen eher anderen Nationen zuschreiben würden. Da ist etwa die weithin vergessene Anmut, die den Franzosen oder Amerikanern gegönnte Freiheitsliebe, die eher den Südländern zugeschriebene Gemütlichkeit (“ein durch und durch deutsches Gefühl”), die Geselligkeit, der unvermutete Humor und – weniger überraschend – der Weltschmerz. Souverän würdigt Asserate die Musikalität deutscher Genies, nicht ganz ohne kleine Spitzen die deutsche Naturverbundenheit, mit viel Lokalkolorit und Humor die deutsche Reinlichkeit. Dass er in diesem Kapitel einen Bogen vom bayerischen Reinheitsgebot bis zur – theologisch korrekt dargestellten – Unbeflecktheit Mariens spannt, ist für Asserates erfrischenden und unkonventionellen Stil bezeichnend. Zur sicher deutschen Tugend der Ordnungsliebe ruft er ins Bewusstsein, dass Ordnung zwar das halbe Leben ist, aber die andere Hälfte – die “Kunst, spontan zu sein und zu improvisieren” – nicht vergessen werden sollte.
Mitunter kann der Leser den Eindruck gewinnen, Asserate wolle seinen hochgeschätzten und überaus vertrauten Deutschen so manche Tugend mit feiner Feder wieder zuschreiben, um sie zu revitalisieren. Das altehrwürdige Pflichtgefühl etwa verteidigt er gegen das Gerede von der Selbstverwirklichung. Die Zivilcourage mahnt er als “Tugend des aufrechten Ganges” an. Und die Gottesfurcht ruft er in Erinnerung, gerade weil sie bedroht ist. So schreibt er hellsichtig: “Im öffentlichen Raum der Gesellschaft ist die Religion heute nur noch geduldet, und das heisst auch: Das Gemeinschaftsstiftende droht verloren zu gehen.” Nicht nur in Deutschland, sondern im ganzen westlichen Europa sei “die Religion durch die Aufklärung entkernt” worden. Asserates “Deutsche Tugenden” sind wie seine “Manieren”: sprachlich virtuos, unterhaltsam und erfrischend, aber auch in einer ausgesprochen charmanten Weise lehrreich.
Asfa-Wossen Asserate: Deutsche Tugenden. Von Anmut bis Weltschmerz.
Verlag C.H. Beck, München 2013, 239 Seiten, ISBN 978-3-406-64504-4, EUR 17,95
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