Skandal der Spaltung überwinden
Die Osterfeiern in Jerusalem verliefen friedlich, brachten die Stadt aber an ihre Grenzen
Jerusalem, Die Tagespost, 2. April 2013, von Oliver Maksan
Friedliche Ostertage voller Sonnenschein und schöner Liturgien liegen hinter Jerusalem. Dennoch brachten die Feiern die Stadt an den Rand ihrer Kapazitäten. Denn mit den Christen strömten auch Juden aus aller Welt nach Jerusalem, um das Pessach-Fest zu begehen. Von insgesamt über 150 000 Pilgern des Alten und des Neuen Bundes sprach das israelische Tourismusministerium. Auch aus Ägypten sollen über 4 000 Christen ins Nachbarland gereist sein.Dies entspräche einem Zuwachs von vierzig Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Mit mehreren Direktflügen trafen die Pilger vom Nil ein, bei denen es sich wahrscheinlich überwiegend um Katholiken handelte. Dennoch waren auch orthodoxe Kopten in grösserer Zahl ins Heilige Land gereist, wenn ihr Osterfest am 5. Mai auch noch fern ist. Als Grund für die steigenden Pilgerzahlen wird vermutet, dass der neue koptisch-orthodoxe Patriarch Tawadros II. den Bann seines Vorgängers Schenuda III. über Pilgerreisen in die israelische besetzte Altstadt von Jerusalem nicht erneuert hat.
Diese glich in der vergangenen Woche einem Ameisenhaufen aus zur Klagemauer eilenden Juden und die Stätten des Leidens, Sterbens und Auferstehens Christi aufsuchenden Christen. Die Sicherheitskräfte wussten die Massen dennoch einigermassen zu lenken, indem sie die schmalen und finsteren Basarwege teilweise zu Einbahnstrassen erklärten. In manchen Gassen war dennoch kaum ein Vorankommen. Geduld war nötig. Die Prozessionen der Franziskaner und des Lateinischen Patriarchen wussten sich dennoch ihren Weg durch die Menge zu bahnen. Gemäss der Tradition gehen ihnen Wächter voraus, die durch das Aufstampfen ihrer schweren, eisenbeschlagenen Prozessionsstäbe auf das glatte Pflaster für ein Durchkommen sorgen.
Besonders ragt unter der Vielzahl der Prozessionen zu den Heiligen Stätten während der Ostertage der Zug der Franziskaner zum Ort des Letzten Abendmahls heraus. Vom Erlöserkloster im christlichen Viertel aus war auch in diesem Jahr am Gründonnerstag Nachmittag das Coenaculum das Ziel. Mit einem Wortgottesdienst und der Fusswaschung gedachte der Custos der Franziskaner dort der Einsetzung der Eucharistie und des Priestertums. Eine Messfeier ist in dem Saal, den viele mit guten Gründen für das Obergemach halten, von dem im Neuen Testament berichtet wird, bislang nicht möglich. Israel reklamiert das Gelände an der Altstadtmauer, wo das Grab des Propheten David verehrt wird, für sich. Papst Johannes Paul II. feierte hier anlässlich seiner Heilig-Land-Wallfahrt 2000 dennoch eine Messe. Jüdische Jugendfreude sollen das ermöglicht haben. Die Franziskaner beanspruchen aber weiterhin aufgrund einer Schenkung aus dem vierzehnten Jahrhundert das Eigentum am Abendmahlssaal. Wie zum Trotz hing hinter dem Custos deshalb ein Banner mit seinem Siegel, das ihn auch als “Guardian vom Berge Zion” ausweist – in Erinnerung an das Kloster, aus dem die Franziskaner im 16. Jahrhundert von den Osmanen vertrieben wurden.
An den anderen Originalschauplätzen des österlichen Mysteriums Christi ist die Liturgiefeier indes möglich, wenn auch nicht unproblematisch. Den Karfreitagsgottesdienst in der Grabeskirche am Morgen konnte der Lateinische Patriarch auf dem Berg Kalvaria feiern. Dicht gedrängt standen die Gläubigen. Allerdings konnte die Feier nicht an dem Altar stattfinden, wo das Kreuz Christi gestanden hat. Der Patriarch feierte vielmehr am benachbarten Altar, wo der Annagelung des Herrn an das Kreuz gedacht wird. Denn nur dieser Altar gehört den Katholiken, während der andere von den Griechisch-Orthodoxen gehütet wird. Ein griechischer Mönch wachte deshalb auch mit grimmigem Ausdruck darüber, dass die Katholiken innerhalb ihrer Grenzen bleiben würden.
Beim Osterhochamt am Sonntag Morgen, das vor dem Heiligen Grab gefeiert wurde, erinnerte der Lateinische Patriarch Fouad Twal denn auch an den Skandal der Spaltung der Christenheit, der nie so deutlich wird wie an Ostern und an den Heiligen Stätten der Passion. “Wir wissen, dass die Spaltung nicht von Gott kommt. Deshalb haben wir in unserer Diözese des Heiligen Landes mit der Ausnahme für Jerusalem und Bethlehem entschieden, das Osterfestdatum der Katholiken dem julianischen Kalender anzupassen, damit die Familien gemischter Konfession dieses Fest zusammen feiern können, wie dies in Jordanien, Ägypten und Syrien der Fall ist. Diese Entscheidung, das Osterfestdatum zusammenzulegen, ist nicht leicht, aber aber sie ist ein erster Schritt hin zu jener vollen Einheit, der wir unser Gebet widmen sollen.”
Im nächsten Jahr muss sich die Stadt auf einen besonderen Ansturm gefasst machen. Denn dann werden das westliche und das orthodoxe Osterfest auf dasselbe Datum, den 20. April, fallen. Ob die etwa 40 000 palästinensischen Christen aus dem Westjordanland und Gaza dann auch wirklich nach Jerusalem kommen können, hängt von der israelischen Vergabepraxis für Einreisevisa ab, die von den Christen auch in diesem Jahr als restriktiv kritisiert worden war.
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