Im dunklen Rausch der Drogen
70 Jahre Entdeckung halluzinogene Wirkung des LSD
Vor 70 Jahren entdeckte der Schweizer Chemiker Albert Hofmann die halluzinogene Wirkung des LSD: Seitdem haben viele Künstler mit dieser Droge ihr Bewusstsein zu erweitern versucht. Nie fanden sie den Himmel, oft endeten die Trips in Verzweiflung.
Die Tagespost, 15. April 2013, von Alexander Riebel
Überall diese Hippies, die dachten, heute würde sich die Welt verändern. Was sie für eine alternative Gesellschaft hielten, war im Grunde nur ein Acker, auf dem man kniehoch im Schlamm versank und auf dem überall LSD genommen wurde.
“Wenn das die Welt war, in der sie leben wollen, dann konnten sie mich mal…“, schimpfte Pete Townshend, Sänger und Gitarrist der Rockgruppe “The Who”, über seine Fans auf dem Woodstock-Festival 1969. Er selbst behauptete, Drogen zu nehmen, um besser komponieren zu können. Woodstock aber ist zum Symbol geworden für den LSD-Rausch mit dröhnender Musik und freier Liebe.
Unbeabsichtigt hatte Albert Hofmann (1906–2008) das LSD bei seinen Experimenten entdeckt. Vor genau 70 Jahren hat der Schweizer Chemiker die synthetische Droge entwickelt. Eigentlich suchte er nur nach einem aufputschenden Mittel für den Kreislauf. Doch seine Untersuchungen führten ihn zu Lysergsäurediäthylamid (LSD) und dann zu aussergewöhnlichen Farbspielen, die er stundenlang bei geschlossenen Augen erleben konnte. Der LSD-Trip war geboren und begann seinen unaufhaltsamen Siegeszug.
Hofmann gehörte noch zu einer Generation, die einen anderen Umgang mit Drogen hatte, als die späteren Anhänger des Pop. Hofmann pries das LSD als Weg zur Wahrheit: “Der Mechanismus des LSD ist ganz einfach: Die Tore der Wahrnehmung werden geöffnet und wir sehen plötzlich mehr – von der Wahrheit.” Das meinte er auch ganz metaphysisch im Hinblick auf eine Einheit von Glaube und Vernunft: “Es ist eine weitverbreitete Meinung, das objektive, materielle Weltbild der Naturwissenschaften und die mystisch-religiöse Welterfahrung würden sich widersprechen. Das Gegenteil ist wahr. Sie ergänzen sich zu einer umfassenden Einsicht in ein und dieselbe geistig-materielle Wirklichkeit.”
Aber wollte Hofmann letztlich nicht nur seine Experimente rechtfertigen, wenn er das Bewusstsein als grösstes Geschenk der Schöpfung bezeichnete? Ein Freibrief zum experimentieren. Mit seiner quasi-religiösen Sicht war er nicht allein. Auch Aldous Huxley, der Autor von “Schöne neue Welt”, hat das “grösstmögliche Bewusstsein” in seinen Drogenversuchen mit Mystischem in Verbindung gebracht. Diesmal mit der fernöstlicher Mystik eines Jiddu Krishnamurti, den er auch selbst kennenlernte. Huxley steht für die Verbindung der Drogen mit Okkultem und hatte gerade damit grossen Einfluss auf die 68-er-Generation. Mit seinen Essays “The Doors of Perception“ (Die Pforten der Wahrnehmung) und “Heaven and Hell“ rannte er im wahrsten Sinne offene Türen ein, und die Rockgruppe “The Doors” mit Jim Morrison soll sich nach “Die Pforten der Wahrnehmung” benannt haben. Das Ergebnis von Experimenten des Schriftstellers Ken Kesey mit psychoaktiven Drogen war auch der Film “Einer flog über das Kuckucksnest” (1975) mit Jack Nicholsen. Die Drogenkultur reichte von Intellektuellen bis zur Subkultur und wurde zunehmend zu einem Phänomen für diejenigen, die mit der Gesellschaft nichts mehr zu tun haben wollen. Die “New York Times” lobte Huxley damals für die Beschreibung der mystischen Bedeutung von Drogen. Wie den Menschen im Fühlkino seines Romans “Schöne neue Welt” – jahrzehntelang Schullektüre – die Sinne schwinden und sich die Realität auflöst, so war es wohl auch bei Huxley selbst. Das Paradies galt ihm nicht als Erfindung, weil wir dessen Bilder schon im Rausch des Diesseits sehen könnten. Da kann es nicht verwundern, dass Psychedeliker die totale Gegenwart wollen, die sie für das Absolute halten und mit Religion verwechseln. Im Totalrausch werden ihnen Ich und Welt zu Illusionen, das Aufwachen im Atheismus ist die Folge. Auch das ist typisch für Huxley: Kurz vor seinem Tod liess er sich von seiner zweiten Frau Laura 100 Mikrogramm LSD reichen, weil er auf einem Trip sterben wollte. Sie las ihm dabei aus dem “Tibetanischen Totenbuch” vor.
Die dunkle Welt des Rausches enthüllt Abgründe, die von der Verehrung des Körpers und seiner Zustände getragen werden. Nicht genug damit, dass Huxley die Menschen für Tiere hält (“Die Pforten der Wahrnehmung”), deren eingeengtes Bewusstsein eigentlich auf das erweiterte Bewusstsein angewiesen sei, das uns am Leben erhalte, 1930 traf er auch noch einen der übelsten Magier und Okkultisten der Weltgeschichte zu einem Essen in Berlin. Aleister Crowley experimentierte mit Laudanum, Opium, Kokain, Haschisch, Alkohol, Ether, Meskalin und Heroin, um die Droge zu finden, die die Dinge hinter dem Schleier der Welt zeige. Bis heute hat sich das Gerücht gehalten, Crowley habe Huxley in die Geheimnisse des Peyotl eingeweiht. Peyotl, der kleine Kaktus mit dem Wirkstoff Meskalin, den schon die mexikanischen Ureinwohner für ihre Kulte benutzt haben, erinnert eigentlich an einen anderen Schriftsteller. An Antonin Artaud, der auch Schauspieler, Dramatiker, Kunsttheoretiker und einer der Urväter der Perfomance-Kunst war. Sein Einfluss reicht von der französischen Postmoderne bis zum deutschen Komponisten Wolfgang Rihm. Die Sierra Madre lockte ihn unwiderstehlich und so reiste er zu den Tarahumara-Indianern nach Mexiko und liess sich in den Peyotl-Ritus einweisen. Auch Artaud beschreibt den Wahnsinn, der ihn mit der Droge erfasste: “Man fühlt sich wie in einer brausenden Woge, von der ununterbrochen nach allen Seiten ein Prasseln ausgeht. Dinge, gleichsam aus dem hervorgegangen, was die eigene Milz, die eigene Leber, das eigene Herz oder die eigene Lunge, waren, lösen sich unausgesetzt ab und platzen in dieser Atmosphäre zwischen Gas und Wasser, die die Dinge offenbar an sich zieht und ihnen befiehlt, sich zu sammeln. Was aus meiner Milz oder aus meiner Leber kam, hatte die Form von Buchstaben eines uralten, geheimnisvollen Alphabets, das von einem riesigen, aber grauenhaft zusammengepressten, stolzen, unlesbaren Mund gekaut wurde, der seine Unsichtbarkeit eifrig hütete; und diese Zeichen wurden kreuz und quer durch den Raum gefegt, während mir war, als stiege ich in ihm auf, aber nicht ganz von selbst. Mit Hilfe einer ungewöhnlichen Kraft. Doch viel freier, als wenn ich allein auf der Erde war.”
Auch Artaud war einer der Freigeister unter Drogen, der ein furchtbares Leben nach der Einlieferung in eine psychiatrische Anstalt und den folgenden Elektroschocks führen musste, “in denen das Ich zur Pfütze wird”. Sein spätes Theaterstück “Schluss mit dem Gottesgericht“ macht auch seinen Atheismus deutlich. Dennoch gibt es bei Artaud wie bei anderen Intellektuellen nicht die Sucht nach dem Wellnessgefühl des Berauschtwerdens, eher die verbissene Suche nach neuen Ufern und das aberwitzige Vertrauen in die Droge als der eigentlichen Wahrheit. Alle scheitern daran, dass ihnen nur die eigenen Nervenbahnen tanzende Bilder vorgaukeln. Mit Transzendenz hat das gar nichts zu tun, weder beim Pseudomystiker Huxley, noch bei Artaud, der im Peyotl-Kult der Tarahumaras die Trennung zwischen dem findet, was er in sich selbst hervorruft und was die Götter in ihm bewirken. Doch ist das scheinbare Zerreissen der Organe durch den Peyotl-Kaktus nur die Wirkung des Meskalin. Die Kontrolle verliert nur immer der eigene Körper. Mit Meskalin kannte sich übrigens auch der Schriftsteller Ernst Jünger aus, der eng mit Albert Hoffmann bekannt war und gemeinsam mit ihm Drogen nahm. Die Droge kommt gleich in mehreren Bücher Jüngers vor. In “Besuch auf Godenholm” (1952) wird dem Besucher Tee mit Drogen, LSD oder Mescalin, gereicht. Der Psychologe Moltner sieht in der Erzählung seine Wahrnehmung verändert, seiner Hand wohnt “Heilkraft inne“. Auch bei Jünger also der Versuch, in die Drogenwirkung Religiöses hineinzulegen. Von der Sucht war Jünger nicht bedroht, noch suchte er danach, seinen Schreibstil zu verbessern. Deutlich werden seine Ziele in seinem Buch “Annährungen“: “Der Rausch bleibt eine der Stationen auf dem Weg zum Nullpunkt, eine flüchtige Herberge, ein buntes Zelt, das für eine einzige Nacht aufgeschlagen wird (…) Der Nullpunkt ist auch Gefrierpunkt, und obwohl die Atome ihr Gewicht behalten, ändert sich ihre Anordnung.“
Wer sich dem Rausch hingibt, erkennt nicht nur die Macht des Körpers, sondern auch der Pflanze an. Dabei hatte doch schon Aristoteles dem Menschen als Vernunftwesen zugute gehalten, sich durch seine Geistseele von den Pflanzen zu unterscheiden. Jünger aber schreibt in “Annährungen“ ein Kapitel über “Die Pflanze als autonome Macht“: “Wenn wir die Pflanze als autonome Macht erkennen, die eintritt, um Wurzeln und Blüten in uns zu treiben, entfernen wir uns um einige Breitengrade von der schiefen Perspektive, die wähnt, Geist sei das Monopol des Menschen und existiere nicht ausser ihm. Ein neues Weltbild muss der planetarischen Nivellierung folgen; das ist die Aufgabe, die das nächste Jahrhundert in Angriff nehmen wird. Es vorzubereiten, sind die nihilistischen und materialistischen Theorien berufen; von dorther wirkt die ihren Gegnern unbegreifliche Überzeugungskraft. Wir sehen freilich auch im Sturm, der Wälder entwurzelt und Häuser abdeckt, nicht den Sog windstiller Ferne – dasselbe gilt für die Zeit.”
Jünger, der auch zusammen mit seinem Verleger Ernst Klett Drogen nahm, hat alle die Psychonauten in sein Drogen-Buch aufgesogen, die ihn beeinflusst zu haben scheinen. Und er wird mehr gewusst als geahnt haben, dass der Rausch mit der Nähe des Bösen zu tun haben muss. Daher seine Nennung von Beaudelaire, de Quincey oder dem Comte de Lautréamont (1846–70) mit seinen abgründigen “Gesängen des Maldoror“: Bei dem Namen Maldoror “erzittern die himmlischen Heerscharen; und mehr als einer erzählt, dass Satan selbst, Satan die Inkarnation des Bösen, nicht so schrecklich sei“. Hypnothische Zustände empfahl Lautréamont zur Überwindung aller Denkhindernisse. Brutalität und Ausschweifungen geben sich hier die Hand. Auch bei Thomas de Quincey (1785–1859), dem Autor der “Bekenntnisse eines englischen Opiumessers“ liegen Rausch und das Interesse an Verbrechen und Mord eng beieinander. In “Der Mord als schöne Kunst betrachtet“ beschreibt er eine Szene des gegenseitigen sich belauschens von Täter und Opfer, ähnlich wie bei Dostojewskij zwischen Raskolnikow und der Wucherin vor dem Mord.
Mit dem wohl grössten Schüler de Qinceys datieren Geisteswissenschaftler den Beginn der Moderne: Charles Beaudelaire. Die Themen, mit denen er die Moderne einleite, sind Überdruss, Langeweile, Mutlosigkeit und Melancholie. Wer sich wie Beaudelaire der Sinnlichkeit hingibt, sie wie in den “Blumen des Bösen“ verklärt, greift auch zu Haschisch und Opium. Ihnen hat er die Schrift “Die künstlichen Paradiese“ gewidmet, und er weiss, dass sich der “haschisch-betörte Geist“ gottgleich fühlt: “Niemand wird erstaunen, dass ein letzter, höchster Gedanke aus dem Gehirn des Träumenden hervorbricht: ‘Ich bin zum Gott geworden’…“ Das Heil in der Kunst zu sehen, war das Verhängnis von ganzen Künstler-Generationen. Ob Klimt, Kubin, Trakl, Benn, Klaus Mann, Arthur Conan Doyle, Robert Luis Stevenson oder Hans Fallada – sie und viele mehr gerieten in den Bann der Drogen, wollten die grosse mystische Einheit, wobei es doch letztlich um Ich-Steigerung ging. Darin, meinte schon Kierkegaard, gehe es ja überhaupt in der Schriftstellerei: Ich sein wollen gegenüber Gott. Das bezeichnete er in der “Krankheit zum Tode“ als Sünde. Alles andere ist Ausflucht, zumal im Nebelreich des exzessiven Lebens. Der Comte de Lautréamont hat das auf den Punkt gebracht: “Meine Subjektivität und der Schöpfer, das ist für ein Gehirn zu viel.” Er wollte einfach nicht, dass beides zusammengehört. Wie sang später Jim Morrison von den “Doors“: “Ich bin der Eidechsenkönig/ ich kann alles/ ich kann die Erde in ihrer Bahn anhalten/ ich liess die blauen Autos verschwinden.”
Schreibe einen Kommentar