Die Wiederkehr der wahren Caritas
Der neue Papst setzt um, was sein Vorgänger theologisch vorbereitete
Deus Caritas est: Enzyklika über die christliche Liebe
Das passt vielen nicht. Warum eigentlich? – Ein Gastkommentar von Albrecht Prinz von Croy
Rom, kath.net/FreieWelt.net, 4. April 2013
Treffen sich zwei Päpste… Was bis vor einem Monat wie der Beginn eines schlechten Pennälerwitzes geklungen hatte, ist an historischem Beispiel nicht zu übertreffende Wirklichkeit geworden. Die Bilder vom Zusammentreffen des neuen Papstes Franziskus und seines emeritierten Vorgängers Benedikt XVI. liessen den Betrachter ob der Einzigartigkeit fassungslos werden. Zwei Männer auf der gleichen Kniebank im gleichen Habit des Brückenbauers.
Erst langsam wird deutlich, dass entgegen des nun allenthalben anschwellenden journalistischen Jubelgesanges auf den argentinischen Pontifex es zuerst der deutsche Benedikt mit seinem spektakulären Amtsverzicht war, der für das gesorgt hat, was seine vor allem deutschen Belehrer und Berufskritiker ihm niemals zugetraut hätten: den Aufbruch zu wagen, das Erscheinungsbild der katholischen Kirche radikal zu verändern, Eingefahrenes zu erneuern und den Kern wieder in den Vordergrund zu rücken. Die Wahl seines beeindruckenden Nachfolgers ist vor allem eines: ein sehr markantes Zeichen der Kontinuität!
Es hätte die Bilder nicht gebraucht, um genau jene Botschaft nach draussen zu senden. Vielleicht war es im Überschwang des neuen Pontifikats ein bisschen zu viel des Guten, dieses Treffen zu filmen und zu fotografieren. Es kann durchaus heilsam sein, der Vorstellungskraft nicht allzu sehr nachzuhelfen, es dem Gottesvolk selbst zu überlassen, sich von historischen Ereignissen im wahrsten Sinn des Wortes ein Bild zu machen. Aber die Verantwortlichen im Vatikan konnten sich schon bei Benedikts Amtsverzicht kaum einkriegen vor geschichtlicher Entrückung. Noch der letzte Hubschrauberflug wurde nach allen Regeln der Kunst höchst ambitioniert ins Bild gesetzt, alles ganz nah dran und doch von der Wahrheit so weit weg.
Bilder sind Brot und Spiele der Neuzeit, Ablenkung der Massen, Zerstreuung der Zweifelnden. Und so erklärt es sich, dass die journalistischen Einlassungen im Umfeld des Konklaves an Unbedarftheit und Unwissen, an Niveaulosigkeit und vordergründigem Tand kaum zu unterbieten waren. Brot und Spiele auch hier: die immer gleichen Namen der Papabile (manche von diesen Papstkandidaten waren in Wahrheit schon wieder Kardinäle, bevor sich die Tür der Sixtina überhaupt geschlossen hatte), die immer gleichen “Experten”, die sich selber nicht satt hören konnten an ihren immer gleichen Floskeln von den “Reformen”, die nun aber doch endlich sein müssten, das ganze garniert mit belanglosen Filmchen und pseudoaktuellem Gehabe.
Wo blieb die eigentliche Botschaft, der Kern der katholischen Kirche? Wo blieben die Aussagen des grossartigen Theologen Ratzinger, der durch seine acht Jahre als Papst diesen neuen Papst erst möglich gemacht hat? Wo der durchaus zutreffende Befund, dass wahre Demut nichts zu tun hat mit Goldkreuz oder Mozetta?
Wenn die Kardinäle des Konklaves die “Werkzeuge des Heiligen Geistes” (der Kölner Kardinal Meisner) sind, so hat dieser durch sie ganze Arbeit geleistet. Er hat sie einen Mann wählen lassen, der sich nicht verstellt, wie sich die Kirche nicht verstellen sollte. Er hat sie einen Mann wählen lassen, der sich in seinem Erzbistum in Buenos Aires um die zu kurz Gekommenen gekümmert hat, wie sich die Kirche vor allem um die zu kurz Gekommenen kümmern sollte.
Er hat sie einen Mann wählen lassen, für den Bescheidenheit keine Attitüde ist, wie sie es für die Kirche auch nicht sein sollte. Er hat sie einen Mann wählen lassen, dessen erste Einlassungen und Gesten das fortführen, was Benedikt XVI. in seiner grandiosen Enzyklika “Deus Caritas est” begonnen hat, da er von der “Liebestätigkeit” schreibt, die “nie überflüssig wird, es wird nie eine Situation geben, in der man der praktischen Nächstenliebe jedes einzelnen Christen nicht bedürfte, weil der Mensch über die Gerechtigkeit hinaus immer Liebe braucht und brauchen wird.”
Der Heilige Geist hat durch die Kardinäle einen Mann wählen lassen, der schon beim Konklave vor acht Jahren eine beachtliche Stimmenzahl auf sich vereinigen konnte und der, wie sein Vorgänger, die Blicke der Kardinäle im Vorkonklave auf sich zog. Er sprach Klartext in reinster jesuitischer Form: “Evangelisierung setzt apostolischen Eifer voraus.
Sie setzt in der Kirche kühne Redefreiheit voraus, damit sie aus sich selbst herausgeht. Sie ist aufgerufen, aus sich selbst herauszugehen und an die Ränder zu gehen. Nicht nur an die geografischen Ränder, sondern an die Grenzen der menschlichen Existenz: die des Mysteriums der Sünde, die des Schmerzes, die der Ungerechtigkeit, die der Ignoranz, die der fehlenden religiösen Praxis, die des Denkens, die jeglichen Elends. Wenn die Kirche nicht aus sich selbst herausgeht, um das Evangelium zu verkünden, kreist sie um sich selbst. Dann wird sie krank (vgl. die gekrümmte Frau im Evangelium).
Die Übel, die sich im Laufe der Zeit in den kirchlichen Institutionen entwickeln, haben ihre Wurzel in dieser Selbstbezogenheit. Es ist ein Geist des theologischen Narzissmus. In der Offenbarung sagt Jesus, dass er an der Tür steht und anklopft. In dem Bibeltext geht es offensichtlich darum, dass er von aussen klopft, um hereinzukommen … Aber ich denke an die Male, wenn Jesus von innen klopft, damit wir ihn herauskommen lassen. Die egozentrische Kirche beansprucht Jesus für sich drinnen und lässt ihn nicht nach aussen treten.
Die um sich selbst kreisende Kirche glaubt – ohne dass es ihr bewusst wäre – dass sie eigenes Licht hat. Sie hört auf, das ‘Geheimnis des Lichts’ zu sein, und dann gibt sie jenem schrecklichen Übel der ‘geistlichen Weltlichkeit’ Raum … Diese (Kirche) lebt, damit die einen die anderen beweihräuchern. Vereinfacht gesagt: Es gibt zwei Kirchenbilder: die verkündende Kirche, die aus sich selbst hinausgeht, die das ‘Wort Gottes ehrfürchtig vernimmt und getreu verkündet’; und die mondäne Kirche, die in sich, von sich und für sich lebt.”
Kardinal Bergoglio sprach aus und führte fort, was sein Vorgänger in dessen berühmter Freiburger Rede mit dem Stichwort der “Entweltlichung der Kirche” angedeutet hatte: die Kirche muss raus, sie muss an “die Ränder” oder sie bleibt eine “um sich selbst kreisende Kirche”. Benedikt XVI. verkämpfte sich gegen die “geistliche Weltlichkeit” vor allem in seinem direkten Umfeld, es fehlte ihm letztlich die Kraft, Zeichen zu setzen. Papst Franziskus hat die Kraft und gibt die entsprechenden Signale.
Der Heilige Geist hat im Konklave für Kontinuität gesorgt, für Kontinuität einer Botschaft der Liebe Christi, die sich vor allem den Armen und Kranken, den Vergessenen und Verzweifelten, den Trost- und Hoffnungslosen zuwendet. Vielleicht ist das manchem zu einfach oder zu focussiert (den deutschen Journalisten ist es wohl schlicht zu langweilig), um es als das zu erkennen, was es ist, der Kern.
Und so heben in schönster Kirchentradition absurde Stellvertreterdiskussionen und oberflächliche Ablenkungsmanöver an. Zunächst wird jedes auch nur erdenkliche Zeichen der “Bescheidenheit” (dafür reicht schon die Tatsache, dass der neu gewählte Papst mit einem VW Phaiton durch Rom fährt) gierig aufgesogen, hin und her gewendet und natürlich sogleich gegen den Vorgänger instrumentalisiert. Schwarze statt roter Schuhe, Metall- statt Goldkreuz, Bus statt Staatskarosse, Gästehaus Santa Marta statt päpstlichem Apartamento, Mozetta ja oder nein: oh Herr, schmeiss Hirn herab!
Und die, die es etwas feiner gestrickt mögen, sich in ihrer Treue zu Benedikt XVI. als etwas besonderes dünken (und sich in ihrer Trauer über dessen plötzlichen Amtsverzicht, der zudem noch ohne ihre Konsultation geschah, ungetröstet verlassen fühlen), begeben sich schon mal auf einen neuen Kreuzzug, sehen in alldem eine nicht statthafte Absetzbewegung des neuen Papstes von seinem Vorgänger, weil doch Franziskus angeblich den Ausspruch tat, “der Karneval” sei vorbei. Diese Gruppe Traditionalisten zu nennen verbietet sich, gehört es doch zur guten Glaubenstradition, in jedem Papst einen vom Heiligen Geist Auserwählten und Gesandten zu sehen. Es ist Gottes Wille, dass dieser argentinische Armenpriester an der Spitze der Kirche steht, da möge es doch so manch strammer Besitzstandswahrer einfach auch mal mit der Glaubensübung der Demut versuchen.
Eine Übung, die die progressiven, die alles-immer-schon-gewusst-Habenden, die Erfinder der Selbsterfahrungs- und Stuhlkreise, schon lange beiseite geschoben haben. Selbstbewusst bis selbstgerecht straften sie Papst Benedikt mit Missachtung, jaulten wie getroffene Hunde, als er ihnen in Freiburg das Wort der “Entweltlichung” entgegen hielt und feierten angesichts seines Amtsverzichtes billige Triumphe, die mit Vokabeln wie “Respekt” camoufliert wurden.
Den neuen Papst empfingen sie zunächst mit distanzierter Neugier, mit Gesten wie schwarze Schuhe und fehlende Mozetta kann man solch intellektuell Entschwebte nicht wirklich beeindrucken. Sie warteten auf geistige Beute, die sich ordentlich ausschlachten lässt im Kampf für ihre immer gleichen, so engstirnig Weltkirche verweigernden Themen. Und so geschah es in der Karwoche: die Veröffentlichung der Vorkonklave-Rede des Kardinals Bergoglio war ihnen Anlass genug, mit Verve in die Falle zu tappen.
Angeführt von ihren Gesinnungspostillen “Spiegel” und “Süddeutsche Zeitung” tönten sie: “eine Abrechnung mit Benedikt, Papst setzt sich von seinem Vorgänger ab” etc. Herrschaften, nur zur Erinnerung: “Wenn die Kirche nicht aus sich selbst herausgeht, um das Evangelium zu verkünden, kreist sie um sich selbst. Dann wird sie krank… Die Übel, die sich im Laufe der Zeit in den kirchlichen Institutionen entwickeln, haben ihre Wurzel in dieser Selbstbezogenheit”.
Wen hat der neue Pontifex hiermit denn wohl gemeint, seinen Vorgänger oder die selbstbezogene Rätekirche deutscher Provenienz, die ständige Fixierung auf Randthemen, den nicht zu stillenden Durst nach Diskussionspapieren, die ausser Arbeitsbeschaffung doch nichts bewirken? Die europäischen Katholiken, voran die Deutschen, haben die soziale Frage, die diesem Papst so am Herzen liegt, schon lange an den Staat delegiert, man hat es sich bequem gemacht mit allen möglichen Versorgungspaketen, mit deren Umsetzung man doch gleichzeitig seine wirkliche Freiheit eingebüsst hat. Der vermeintliche Kronzeuge der sich erhaben Dünkenden, Papst Franziskus, gibt die Antwort: “Es ist eben gerade nicht in den Selbsterfahrungen oder den wiederholten Introspektionen, dass wir dem Herrn begegnen”, sagte er an Gründonnerstag im Petersdom, bevor er, wie zum Beweis, in einem Jugendgefängnis den dortigen Insassen die Füsse wusch.
Die katholische Kirche befindet sich an einem ganz wunderbaren Abschnitt ihrer Geschichte: mit diesem jesuitischen Papst bekommt die Hoffnung, die sein Vorgänger in grossartiger Weise in uns wachgerufen hat, einen neuen Schub. Die Hoffnung auf eine Wiederkehr einer der grössten “Erfolgsgeschichten” der Kirche: die wahre “Caritas”. Die Liebe, die Hingabe und Fürsorge für den Nächsten, für den “Nähe” ein Fremdwort geworden ist, der staatlich alimentiert sich selbst überlassen, und also verlassen war, der so die Gegenwart eines Anderen, eines Grösseren, nicht mehr spüren konnte und wollte. Es ist die Hoffnung, dass durch die Hinwendung zu den Bedürftigen auch und gerade für diese die unendliche Liebe Gottes erleb- und erfahrbar wird und so ein vielleicht verschütteter Glaube zurückkehrt. Das wäre das Werk von Franziskus und Benedikt!
Treffen sich zwei Päpste…
Albrecht Prinz von Croy ist Journalist, geb. 8. Mai 1959; Studium Politik und Geschichte; Nachrichtenredaktion FAZ, Chef vom Dienst des FAZ-Magazins. 1999 Chefredaktion und CvD Anlegermagazin “Die Telebörse”, 2002 Chefredaktion Wirtschaftsmagazin €uro. 2003 bis 2009 Geschäftsführender Redakteur und Chefredaktion Handelsblatt. Autor eines im Frühjahr 2006 bei Hanser erschienenden “Stilbuches für Manager”.
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